Duisburg/Essen. Viren, Bakterien, Parasiten: An der Uni Duisburg-Essen wird erforscht, was das Abwasser über den Gesundheitszustand der Gesellschaft sagen kann.

Der schnelle Blick auf das eigene Handy in die passende App genügt, schon wissen leidgeplagte Allergikerinnen und Allergiker Bescheid, wie stark der Pollenflug im Laufe des Tages wird. So eine einfache Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten schweben auch Michael Eisinger und Folker Meyer vor – auf Basis von Untersuchungen des Abwassers. Eisinger, Geschäftsführer des Zentrums für Wasser- und Umweltforschung (ZWU) der Universität Duisburg-Essen (UDE), und Meyer, Professor am Institut für Künstliche Technik in der Medizin des Uniklinikums Essen, möchten eine Landkarte des Gesundheitsstatus der Bevölkerung erstellen. „Wenn man versteht, wie Erreger und Antibiotika im Abwassernetz verteilt sind, können mögliche Gefährdungspotenziale für die Öffentlichkeit erkannt werden“, berichtet Eisinger.

Projekt auf drei Jahre ausgelegt

Das nun gestartete Projekt nennt sich etwas verklausuliert „Umweltassoziierte Infektionsgeschehen in Ballungsgebieten in NRW erkennen und eliminieren“. Es ist zunächst auf drei Jahre ausgelegt, wird von der Stiftung Zukunft NRW gefördert. Kooperationspartner ist die Emschergenossenschaft. Die Proben stammen aus dem Essener Abwassernetz.

„Es ist so einfach, man muss niemanden bitten, Blut abnehmen zu dürfen oder von ihm oder ihr eine Stuhlprobe zu erhalten“, berichtet Meyer. 2020 hat der promovierte Bioinformatiker den Lehrstuhl für Medizininformatik mit dem Schwerpunkt „Medical Data Science“ an der Universität Duisburg-Essen übernommen. Nun wirkt Meyer daran mit, einen „Datenschatz“ zu heben, der bislang im wahrsten Sinne die Toilette heruntergespült wurde.

Nicht erst das Aufkommen von Corona (SARS-CoV-2) habe gezeigt, wie wichtig informierte Entscheidungen sein können. „Wir müssen mehr über unsere Umwelt in Erfahrung bringen“, findet Meyer. „Das verringert auch die Gefahr, dass wir blind in eine nächste Pandemie hineingeraten.“ Und aus dem Abwasser der Menschen an Rhein und Ruhr können viele Dinge herausgelesen werden – mit den entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden.

Medikamente gelangen ins Wasser

„Wir wissen bereits jetzt, dass relativ viele Medikamente ins Abwasser gelangen“, wirft Meyer ein. Gerade Krankenhäuser seien hier „Übeltäter“. Sein Kollege Michael Eisinger, mit Vergangenheit als Meeresbiologe, berichtet, was wir schon heute über unser Abwasser wissen. „Wir können Chemikalien, wie etwa die gerade vielfach diskutieren PFAS, nachweisen.“ Dabei handelt es sich um per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, eine Gruppe von künstlich hergestellten und in großem Maßstab eingesetzten Chemikalien, die sich nach Erkenntnissen der Europäischen Umweltagentur im Laufe der Zeit im menschlichen Gewebe und in der Umwelt anreichern. Mit negativen Folgen für die Gesundheit. So können diese Stoffe zu Leberschäden, Schilddrüsenerkrankungen, Fettleibigkeit, Fruchtbarkeitsstörungen und Krebs führen.

In der Coronapandemie konnte in Pilotprojekten das Virus in Abwassern nachgewiesen werden – die Daten waren sogar teilweise aussagekräftiger als die über Testungen der Bevölkerung errechnete Inzidenz. Folker Meyer möchte sich diesen Grundstock an Erkenntnissen zunutze machen und darauf aufbauen.

Ihn interessiert etwa die Antibiotika-Resistenz von Bakterien, welche die Wirksamkeit von Behandlungen gefährden können. „In diesem Zusammenhang möchte ich mit dem bösen Trugschluss aufräumen, dass alle Bakterien gefährlich seien.“ Eher das Gegenteil sei der Fall, Menschen seien auf Bakterien, etwa bei der Verdauung angewiesen. Für eine gesunde Person seien resistente Bakterien auch keine Gefahr.

Kritisch werde es, wenn das Immunsystem, etwa durch eine Krebserkrankung bedingt, nicht anschlägt. „Ohne wirksame Antibiotika wird es dann sehr schwierig.“ Der Einsatz von diesen lebenswichten Medikamenten in der Landwirtschaft müsse darum eingestellt werden.

Weitere Maßnahmen vor Ort angehen

Meyer und Eisinger entwerfen ein Bild, wie Proben aus dem Abwasser im Labor Aufschlüsse über solche Resistenzen, Virenlasten oder Medikamentenrückstände geben können. „Den Gesundheitseinrichtungen vor Ort wollen wir so genauer Informationen zukommen lassen, auf deren Basis dann weitere Maßnahmen angegangen werden können“, erläutert Meyer.

Dies sei etwa in den USA bei der Bekämpfung der Polio (Kinderlähmung) schon erfolgt. „Eigentlich war die Polio in vielen Staaten durch die großen Impfanstrengungen besiegt.“ Doch käme es in jüngster Zeit vermehrt zu lokalen Ausbrüchen durch zugewanderte Menschen, die aus Regionen mit geringer Impfquote stammen. „Im Abwasser lassen sich dann Erreger erkennen, so dass im betroffenen Stadtteil reagiert werden kann.“ Etwa in Schulen in den Quartieren könne dann eine Impfaktion angeregt oder über Hygieneregeln informiert werden.

Datenschutzbedenken müsste die Bevölkerung nicht haben. „Wir reden hier vom Abwasser von tausenden Menschen, da gibt es keine Rückschlüsse auf einzelne Individuen“, versichert Eisinger.