An Rhein und Ruhr. Fast 100.000 Arbeitsunfälle gab es 2022 auf deutschen Baustellen, 74 mit tödlichen Folgen. Die IG BAU forder eine bessere staatliche Aufsicht.
Ein 51-Jähriger, der in einer Baugrube von einer einstürzenden Stützwand eingeklemmt wurde und tödliche Verletzungen erlitt, oder ein 29-Jähriger, der von einer sich lösenden Baggerschaufel erschlagen wurde: Diese beiden Unglücke, passiert innerhalb der vergangenen fünf Wochen in Duisburg und Pulheim, zeigen exemplarisch die Gefahren auf, die für Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter an ihrem Arbeitsplatz lauern.
„Eines der größten Risiken für die Beschäftigten, den Umgang mit Giftstoffen wie etwa Asbest, darf man dabei nicht vergessen“, ruft Jon Heinemann, stellvertretender Regionalleiter der Gewerkschaft IG BAU im Rheinland, in Erinnerung. „Im Unterschied zu einem Unfall können die Auswirkungen erst Jahrzehnte später wirksam werden.“ Zum Gedenktag „Workers’ Memorial Day“, der jedes Jahr am 28. April ein Schlaglicht auf verletzte und getötete Arbeiter legt, fordert der Gewerkschafter mehr Einsatz für die Arbeitssicherheit.
Giftstoffe auch im Fliesenkleber
„Rein formal legen die Firmen, vor allem die Branchengrößen, einen Wert auf die Sicherheit ihrer Beschäftigten. Die Realität sieht aber oft anders aus“, so Heinemann. Nach Angaben der Gewerkschaft wohnen 80 Prozent der deutschen Bevölkerung in Häusern, bei denen die Gefahr besteht, dass sich darin noch der hochgiftige Baustoff befindet. „Viele dieser Häuser werden jetzt renoviert, saniert oder sogar abgerissen.“ Dabei entstehen Stäube, in denen winzige Asbestfasern schweben können. „Selbst im Fugenkleber kann sich Asbest befinden“, führt Heinemann an. Ohne entsprechende Ausrüstung oder die Einbeziehung von Fachfirmen seien die Arbeiter gefährdet. „Einmal eingeatmet, setzen sie sich in der Lunge fest.“ Nach 30 Jahren könne dann Lungenkrebs auftreten.
„Viele Unfälle passieren auch, weil es einfach an Personal fehlt“, berichtet Jon Heinemann. „Die Baubranche, so wie andere Branchen auch, leidet unter einem Fachkräftemangel. Das kann auf dem Bau zu gefährlichen Situationen führen, wenn der Arbeitsdruck steigt.“ Dacharbeiten, die schnell noch ohne die nötige Sicherung stattfinden müssten, seien ein Beispiel. „Was wir verstärkt beobachten, ist auch ein Fehlen an Einweisern, wenn schweres Gerät bewegt wird.“ Gerade beim Rangieren sei die Unfallgefahr hoch.
Arbeitsinspektion soll für mehr Sicherheit sorgen
Perspektivisch fordert die Gewerkschaft darum die Einrichtung einer Arbeitsinspektion: „Wir brauchen eine übergeordnete Behörde, die Kontrollen bündelt. Sie muss die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten und Sozialvorschriften sicherstellen. Dazu gehört dann auch die Kontrolle des Arbeitsschutzes. Auch Verstöße gegen die Mindestlöhne oder das Arbeitszeitgesetz muss sie verfolgen“, erklärt IG BAU-Bundesvorstandmitglied Carsten Burckhardt.
„Jeder Unfall ist einer zu viel“, stellt eine Sprecherin des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie e.V. auf NRZ-Anfrage klar. „Abgesehen von der Unternehmensethik, der Fürsorgepflicht der Arbeitgeber gegenüber ihren Beschäftigten als ‘höchstes Gut’, ist die Gesundheit der Beschäftigten nicht zuletzt ein wesentlicher Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg der Bauunternehmen.“
Die Forderung der Gewerkschaft nach einer übergeordneten Behörde in Form einer Arbeitsinspektion lehnt die Bauindustrie ab. Mit dem Zoll, der etwa die Einhaltung des Mindestlohns kontrolliert, und der für den Bereich der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes zuständigen Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) gebe es bereits heute entsprechende Einrichtungen. „Eine solch gebündelte und spezifische Expertise kann durch eine übergeordnete branchenübergreifende Behörde nicht erreicht werden“, merkt die Sprecherin an. „Wir sprechen uns daher dafür aus, die gut ausgestalteten vorhandenen Verfahren weiter zu stärken und vorhandene Erfahrungen weiter zu nutzen.“
Gefahrstoffverordnung wird überarbeitet
Die Berufsgenossenschaft sieht einige positive Entwicklungen. „Mit großem Engagement ist es der Bauwirtschaft in den vergangenen Jahren gelungen, die Zahl der Unfälle und Erkrankungen zu senken und die Beteiligten für konsequenten Arbeitsschutz zu sensibilisieren“, sagt Bernhard Arenz, Leiter der Hauptabteilung Prävention der BG BAU. „Trotzdem gibt es noch viel zu tun, gerade beim vorbeugenden Handeln.“ Eine wichtige aktuelle Entwicklung sei so die Überarbeitung der neuen Gefahrstoffverordnung, die im Laufe 2023 erwartet werde.
In den Jahren 2019 (106.774), 2020 (103.970) und 2021 (103.525) gab es nach Angaben der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft bundesweit mehr meldepflichtigen Unfälle auf Baustellen als 2022 (99.380 ). Die Zahl der Unfälle mit Todesfolge lag zuletzt bei 70 (2019), 97(2020) und 85 (2021) – 2022 waren es 74. Im Jahr 1984 rief die kanadische Gewerkschaft für Angestellte im öffentlichen Dienst erstmals dazu auf, der im Arbeitsleben Verstorbener zu gedenken. Seither wird jeweils am 28. April dieser Gedenktag in vielen Ländern weltweit begangen. In Deutschland haben im Jahr 2011 erstmals der DGB und die IG BAU dazu aufgerufen.