An Rhein und Ruhr. Die Zahl der Apotheken ist auf dem Tiefstand. Experten warnen vor sozialer Isolation auf dem Land. Das Apothekensterben hat mehrere Gründe.
Die Entfernung zur nächsten Apotheke wird für einige Menschen immer größer. Die Zahl der Apotheken in Deutschland ist nun unter die Marke von 18.000 gefallen und hat den niedrigsten Stand seit mehr als 40 Jahren erreicht. Das berichtet die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf Daten der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Bundesweit haben 146 Hauptapotheken oder Filialen im vergangenen Jahr geschlossen, nur 17 wurden neu eröffnet.
In Nordrhein-Westfalen zeigen sich die Auswirkungen des Apothekensterbens schon länger. Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, reagiert entsprechend wenig überrascht auf den Tiefstand. „Es wird für die übrigen Apotheken immer schwieriger, eine flächendeckende Medikamentenversorgung zu gewährleisten.“ Durch immer mehr alte und sehr alte Menschen steigen die Anforderungen an Apotheken. Preis wünscht von der Politik entsprechende Wertschätzung in Form von Investitionen. Der Bundesverband fordert konkret eine Anhebung der Beratungspauschale pro rezeptpflichtigem Medikament von 8,35 Euro auf 12 Euro. Die aktuelle Lieferknappheit von Arzneimitteln koste jede Apotheke viel Zeit und Geld, monatlich rund 3000 Euro.
Personalmangel in Apotheken: Jeder vierten Apotheke in NRW droht Schließung
Noch belastender ist jedoch der Personalmangel. Ein Blick in das Stellenportal der örtlichen Kammer zeigt, dass Pharmazeutisch-technische Assistentinnen, kurz PTA, ihren Arbeitsort praktisch frei wählen können. Eine aktuelle Umfrage des Apothekerverbandes belegt das. Aufgrund mangelnder Bewerbungen bleiben ausgeschriebene Stellen bis zu fünf Monate unbesetzt. Fast jede der 500 teilnehmenden Apotheken an Rhein und Ruhr (97 Prozent) gab an, von Mehrbelastung betroffen zu sein.
Jeder vierten Apotheke (25 Prozent) droht der Befragung zufolge wegen schleppender Nachfolgersuche sogar die Schließung. „Das Risiko wird für junge Menschen immer größer, die Selbstständigkeit mit einer eigenen Apotheke immer unattraktiver“, so Thomas Preis. Im ersten Quartal dieses Jahres haben rund 20 Prozent mehr Apotheken geschlossen als im Vorjahr. Ein neuer Tiefstand wird nicht lange auf sich warten lassen, vermutet der Verbandschef.
Apotheken schließen in NRW: „Viele haben die Nase voll“
Annette Freyhoff-Rogalli ist eine der Apothekerinnen, die ihren Betrieb nach langem Kampf aufgegeben hat. Die „Apotheke am Jubiläumshain“ in Duisburg-Marxloh wurde nach 62 Jahren endgültig geschlossen. Ihr potenzieller Nachfolger sei abgesprungen, sagte die langjährige Inhaberin des Traditionsbetriebs dieser Redaktion am Tag der Schließung am 31. März. Die Zukunft war unklar, zwei ihrer Mitarbeiter haben dann aufgehört. Die vorgeschriebene Mindestbelegschaft konnte sie nicht mehr einhalten. Die Stellen kurzfristig nachzubesetzen, war nicht möglich.
„Ich kann jeden Kollegen verstehen, der bei den derzeitigen Rahmenbedingungen die Nase voll hat und seine Apotheke schließt“, sagt Ulrich Schlotmann. Der Sprecher für die Apotheken im Kreis Kleve hat das Glück, dass die Zukunft seiner „Dorf-Apotheke“ in Goch mit Sohn Bastian als neuem Inhaber gesichert ist. Unter den vielen Problemen der Branche leide er aber gleichermaßen. Dabei geht es um den Bürokratiestreit mit Krankenkassen um die Rezeptabrechnung. Um die Konkurrenz aus dem Internet, deren Lieferdienste „unfairerweise“ nicht dieselben Bedingungen erfüllen müssen. Um altersbedingt schließende Arztpraxen, durch die einigen Apotheken der Kundenstamm wegbricht.
Experte über Apothekensterben in NRW: „Führt zu sozialer Isolation auf dem Land“
Und es geht um immer vollere Notdienstpläne. 2006 gab es im Kreis Kleve noch 74 Apotheken, heute sind es 52. Die Dienste der geschlossenen Betriebe fangen die verbliebenen Apotheken auf, selbst wenn in mancher Nachtschicht lediglich Nasenspray verlangt wird. „Noch vor wenigen Jahren mussten wir 19 Notdienste im Jahr leisten, mittlerweile sind es 29. Für uns Apotheker ist das kein Spaß, junge Kollegen schreckt diese Entwicklung ab.“
In den Stadtteilen und im ländlichen Raum kann man das Apothekensterben besonders stark beobachten. Die Wege werden weiter, für Kunden und den Botendienst. „Die Menschen auf dem Land trifft das besonders, auch wenn viele von ihnen durch die schlechte Bus- und Bahnanbindung leiderprobt sind“, meint Schlotmann. Gerade dort verschwinden neben Apotheken zunehmend Arztpraxen und Bankfilialen, die Hürden für eine persönliche Beratung werden höher. Der Vorsitzende des Sozialverbands VdK, Horst Vöge, sieht das kritisch. „Für viele Menschen ab 70 Jahren ist die Apotheke vor Ort ein sozialer Haltepunkt. Die Schließungen führen zu zusätzlicher sozialer Isolation auf dem Land.“ (pws/olk)