Hamminkeln. Insgesamt halten sich in Hamminkeln 902 Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. 474 Personen davon sind in Flüchtlingsunterkünfte untergebracht.

Eine mit Filzstiften gemalte Blume klebt an der weißen Tür. „5a“ steht darauf. Wo einst eine Schulklasse untergebracht war, schlafen nun Familien. Mit Bettlaken und Folien versuchen sie, sich zumindest ein wenig Privatsphäre zu schaffen. Auf Schulstühlen sind Kisten mit Spielzeug abgestellt, auf einem Etagenbett steht als Überbleibsel noch ein kleiner künstlicher Weihnachtsbaum.

Im Flur in der ehemaligen Kreuzschule in Dingden, einem Stadtteil Hamminkelns, läuft eine Frau aufgeregt hin und her. Sie spricht ukrainisch, aber es wird deutlich, dass sie sich ärgert. Der Mann vom Wachdienst schaut fragend zu Liliia. Die junge Frau ist eine der wenigen hier, die Englisch spricht. Sie hört ihrer Mitbewohnerin zu, versucht, den ehrenamtlichen Helfern in der Unterkunft das Problem zu erklären.

Die Frau lebt in einem ehemaligen Klassenzimmer mit ihrem Mann und ihren vier Kindern. Sie ist wütend über das Verhalten der älteren Männer in ihrer Familie, weil sie in Flaschen uriniert haben. „Das ist nicht gut für die Kinder“, übersetzt Liliia aus dem Ukrainischen ins Englische Szenen aus einer Sammelunterkunft. In der ehemaligen Schule in Dingden sind etwa 100 Menschen im Alter von drei bis 70 Jahren untergebracht.

Liliia ist eine davon. Sie ist wie alle hier vor dem Krieg geflohen und lebt seit November mit ihren Kindern, 9 und 11 Jahre alt, in Dingden. Ja, es ist oft chaotisch. Aber sie will nicht klagen, im Gegenteil. Vielmehr betont sie, wie froh sie ist, dass Deutschland ihnen hilft. „Das Leben ist zum Teil hart, andererseits aber schön. Wir haben keine Wahl, wir müssen derzeit hier leben“, sagt sie lächelnd. Sie lehnt an der Wand, in der Hand hält sie eine Frischhaltedose, zu Sweatjacke und Leggins trägt sie Badeschlappen an den Füßen. Praktische Kleidung, passend zum improvisierten Alltag.

Es ist kurz vor 13 Uhr. Von der Aula aus gelangt man auf den Flur, der zu den Schlafsälen führt. Am Ende des Flurs befindet sich die Gemeinschaftsküche, davor ein kleiner Extra-Flur, der voll mit Kühlschränken steht. Auf mehreren Herdplatten dampfen Töpfe und Pfannen. In einer Pfanne brutzeln Pilze mit Zwiebeln. Liliia umarmt ihre Mitbewohnerin Marina und erklärt: „Wir treffen uns hier in der Küche und jeder von uns kocht für die eigene Familie“.

Liliia (li.) und Marina (re.). sind aus der Ukraine geflüchtet und leben nun in der ehemaligen Schule in Dingden.
Liliia (li.) und Marina (re.). sind aus der Ukraine geflüchtet und leben nun in der ehemaligen Schule in Dingden. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Von Bochum an den Niederrhein

Die Ukrainerin wurde zunächst in Bochum registriert, dann nach Hamminkeln geschickt. Gemeinsam mit ihren Kindern möchte sie gern in eine eigene Wohnung ziehen. Doch dafür brauchen die Kinder zunächst einen neuen Aufenthaltstitel, ihr dreimonatiger Aufenthalt ist abgelaufen.

Nach der im letzten Jahr beschlossenen Massenzustrom-Richtlinie der EU haben die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine die Möglichkeit, sich frei in den EU-Ländern zu bewegen. Liliia darf später mit ihren Kindern eine Wohnung suchen, wo sie will. „Ich danke den Deutschen für alles, was sie für uns getan haben!“

Im Eingangsbereich der ehemaligen Schule stehen zwei Kinder am Kickertisch und drehen an den Griffen. Einige Kinder sind nicht in der Schule. „Viele nehmen es mit der Schulpflicht nicht so genau“, sagt Kristina Lübbe, ehrenamtliche Flüchtlingshelferin. „Wir weisen dann schon deutlich darauf hin, dass in Deutschland eine Schulpflicht besteht“, sagt sie. An diesem Tag sei ein Kind nicht zur Schule gegangen, weil es Geburtstag hat. Aber das, so Lübbe, sei ja kein Grund. Sie betreut die Familien in der Schule. Und sie hat eine Familie bei sich aufgenommen. Die Unterkunft hat die Stadt Haminkeln für Familien und alleinstehende Frauen hergerichtet.

Als die Frauen in die Schule einzogen, seien schnell „große Karossen“ vorgefahren, zwielichtige Männer hätten Kontakt zu den Ukrainerinnen gesucht, schildern Rainer Gewiss vom städtischen Sozialamt und der erste Beigeordnete Robert Graaf. Deswegen habe man sofort den Wachdienst eingesetzt.

Täglich auf der Suche nach einer Wohnung

Flüchtlingsrat NRW fordert Mindeststandards

Die Unterbringung von Geflüchteten ist für die Kommunen eine große logistische Herausforderung. Aufgrund der steigenden Zahl an Flüchtlingen wurden die Geflüchteten in den vorhandenen Gemeinschaftsunterkünften, in zusätzlich eingerichteten Notunterkünften, in privatem Wohnraum und auch in Turnhallen untergebracht.

Der Flüchtlingsrat NRW fordert allerdings verbindliche Mindestqualitätsstandards für die Unterbringung von Flüchtlingen. Dazu gehören geeignete Gebäude, zentral gelegene Einrichtungen sowie eine Mindestgröße der Wohn- und Schlaffläche von neun Quadratmetern pro Person.

Eine eigene Wohnung. Die wünscht sich Mohanad Al-Saloum. „Privatsphäre kann man nur haben, wenn man seine eigene Wohnung hat“, sagt der 30-Jährige. Aktuell lebt er mit seiner Familie in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamminkeln.

Hier hat die Stadt mehrere Container für Flüchtlinge aufgebaut. Sie erinnern an Mobilheime auf Campingplätzen in den Niederlanden. Diese Flüchtlingsunterkunft nutzt die Stadt vor allem für Familien.

Al-Saloum ist vor zweieinhalb Jahren aus dem Bürgerkriegsland Syrien nach Deutschland geflohen. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt er in einem der kleinen Container für vier Personen. Tritt man ein, steht man sofort inmitten einer Wohnküche. Die Familie besorgte sich eine kleine Couch, von dort aus blicken sie auf eine Küchenzeile mit einem Elektroherd. Rechts vom Eingang liegt der Schlafraum, in dem vier Betten, jeweils zwei übereinander, stehen. Auf der anderen Seite gibt es ein kleines Bad mit Dusche. „Meine Kinder können nicht im oberen Bereich schlafen. Wir haben Angst, dass sie herunterfallen. Deswegen habe ich zwei Betten abgebaut, damit sie auf dem Boden sicher schlafen“, sagt der Vater.

Mohanad Al-Saloum (30) ist mit seiner Familie aus Syrien geflüchtet.
Mohanad Al-Saloum (30) ist mit seiner Familie aus Syrien geflüchtet. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Ihre Aufenthaltstitel hat die vierköpfige Familie vor acht Monaten bekommen. Der Vater besucht derzeit einen Sprachkurs bei der Volkshochschule. Die Mutter kümmert sich währenddessen um die kleinen Kinder, darunter ein neugeborenes Baby.

Eine eigene Wohnung haben sie noch nicht in Aussicht. „Ich versuche seit acht Monaten eine Mietwohnung zu finden, aber keiner möchte uns eine Wohnung geben“, schildert er enttäuscht.

Syrische Familie: Trotz Aufenthalt keine Wohnung

Rainer Gewiss vom Fachbereich Soziales der Stadt nickt. Viele Vermieter würden es bevorzugen, ihre Wohnung an ukrainische Familie zu vermieten.

Da die syrische Familie keine freie Mietwohnung in Hamminkeln findet, hat sie in anderen Städten gesucht. In Wesel hat sie eine gefunden. Doch dorthin dürfen sie nicht ziehen, „weil wir in den ersten drei Jahren unseren Aufenthaltsort nicht ändern dürfen“, erklärt der Syrer seufzend.

Es sei denn, er würde eine Arbeit finden. Die syrische Familie hat das Gefühl, dass sie um alles kämpfen muss: um eine Wohnung, einen Kitaplatz und ihre Bewegungsfreiheit.