Kevelaer. Das Niederrheinische Museum in Kevelaer zeigt die Privatsammlung der Eheleute Ratermann. Darunter: berühmte, aber auch rätselhafte Kunstwerke.
Kunstwerke von Wilhelm Lehmbruck, Ernst Barlach oder auch Josef Scharl sind in großen Museen zu finden, nun ja, normalerweise, denn es gibt auch glückliche Zufälle, durch die sie in kleineren Häusern landen. So wie im Niederrheinischen Museum, das nun erstmals die Privatsammlung der Eheleute Ratermann der Öffentlichkeit präsentiert. Doch wer waren Dr. Georg und Eva Ratermann überhaupt? Wieso haben sie über 100 bedeutende Gemälde, Skulpturen und Plastiken besessen? Und wieso haben sie, die zeitlebens im Ruhrgebiet gewohnt haben, ihre Sammlung einem Museum am Niederrhein vermacht? Fragen, die nicht gerade leicht zu beantworten sind…
Museumsleiterin Veronika Kaenders versucht es dennoch: „Man findet kaum etwas über sie, aber beide wurden 1923 geboren.“ Er war Panzerfahrer, kehrte traumatisiert aus dem Krieg zurück und wurde anschließend Zahnarzt. Sie wurde in Homberg von ihrem Stiefvater aufgezogen und arbeitete später als medizinischtechnische Assistentin. Die beiden lernten sich über eine Zeitungsanzeige kennen, heirateten um das Jahr 1950 herum und zogen kurz darauf nach Mülheim an der Ruhr. Und dort, in ihrem Haus, begann langsam, aber stetig ihre Kunstsammlung zu wachsen. „Sie haben jedoch nicht in eine bestimmte Richtung gesammelt“, erklärt sie, „sondern haben nur Kunst gekauft, die ihnen gefiel.“
Einer der ersten Steingüsse von Wilhelm Lehmbruck
Das konnte ein Bild von einer bedeutenden Malerin oder die Skulptur eines bekannten Bildhauers sein, das konnte aber auch einen zufälligen Trödelfund meinen, wie Veronika Kaenders weiß. „Intuitive Sammelleidenschaft“, nennt sie es. Und die hat zu einer wahrhaften kunterbunten Sammlung geführt, die sich im ganzen Haus verteilte. Ein Piet Mondrian in der Küche? Ein Otto Mueller im Wohnzimmer? Wo genau sich was befand, ist zwar nicht überliefert, klar aber ist: „Die Arbeiten hingen in einem Haus, in dem gelebt wurde.“ Das hatte natürlich Folgen. Kleine Macken am Rahmen, abgeplatzte Farbe auf den Bildern oder dunkle Flecken an Skulpturen… all das gehört bei einer solchen Privatsammlung dazu.
Das zeigt sich am ältesten Werk der aktuellen Ausstellung, ein Gemälde aus dem 18. Jahrhundert, „oder auch hier“, Veronika Kaenders deutet auf eine Frauenbüste, die Wilhelm Lehmbruck 1910 in Paris hergestellt hat, „einer seiner ersten Versuche, mit Steinguss zu arbeiten“. Die über hundert Jahre sind dem Werk deutlich anzusehen, aber, das betont sie auch: „Wir können nicht einfach mal eben mit Wasser drüber gehen.“ Einiges konnte bereits restauriert werden, so wie Max Slevogts impressionistisches Portrait des Jungen „Chico“, anderes, wie eben erwähnte Plastik, kann erst gereinigt werden, wenn weitere Fördergelder bewilligt werden.
Rätselhaftes Gemälde
Schlimm aber findet die Museumsleiterin das nicht, im Gegenteil: „Wir binden das Thema in die Vermittlung ein.“ Über QR-Codes erhalten Besucherinnen und Besucher weitere Informationen zu jedem Bild – ob es noch restauriert werden muss oder wem es vor den Eheleuten Ratermann gehört hat. Die Provenienz, so der Fachbegriff, ist vor allem für Werke aus den Jahren vor 1945 bedeutsam, die bei den Nazis als „entartete Kunst“ galten. Um sicherzustellen, dass es sich im konkreten Fall nicht um Raubkunst handelt, musste das Museumsteam gründliche Recherchearbeit leisten. Ein Grund dafür, weshalb es rund zwei Jahre dauerte, bis die Ausstellung eröffnet werden konnte.
Und auch ein Grund dafür, weshalb zunächst nur 22 Arbeiten und noch nicht die komplette Sammlung zu sehen ist. Was nach 1940 entstanden ist, muss das Team erst noch überprüfen, bevor es ausgestellt werden kann. „Das ist erst der Anfang“, hält Veronika Kaenders fest. Aber der lässt sich durchaus schon sehen. Unbekannte Werke sind darunter, wie das „Kind im Grünen“ aus dem Jahr 1929, bei dem noch nicht geklärt ist, wer sich hinter dem Kürzel E. H. versteckt. „Aber manche Rätsel dauern eben länger.“ Anderes dagegen, wie die Plastik „Kuss Nr. 2“ von Ernst Barlach, gehört zu den berühmten Stücken. Dazu zählt übrigens auch ein großformatiges Ölgemälde von 1931…
Blind für das Wesentliche
Eine gesellige Runde in einem vollen Foyer. Menschen in schicker Abendkleidung plaudern munter miteinander, nur – können sie sich ja überhaupt nicht verstehen! Der eine hat keinen Kopf, die andere seltsame Ohren und dort drüben, sind das nicht blinde Augen? Josef Scharl hat das Bild „Im Foyer/ Der babylonische Turm“ gemalt, hat damit das „Kommunikationsproblem der Zeit dargestellt“, wie die Museumsleiterin analysiert. „Man redet, hört aber nicht zu und wird dadurch blind für das Wesentliche.“ Kunstwerke wie dieses faszinierten das Ehepaar Ratermann, deshalb nahmen sie es in ihre Sammlung auf – die nach ihrem Tod der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. So ihr Wunsch.
Doch wieso nun ausgerechnet in Kevelaer? „Die beiden gingen regelmäßig in Museen“, erklärt Veronika Kaenders. Und weil sie Verwandtschaft in der Wallfahrtsstadt hatten, die sie regelmäßig besuchten, kannten sie natürlich auch das Niederrheinische Museum. Als es schließlich darum ging, wer die Kunstwerke erben sollte, wollten andere Häuser nur die „Rosinen rauspicken“. Das aber war nicht im Sinne der Eheleute Ratermann, die ihre mit viel „Herzblut“ zusammengestellte Sammlung nur komplett verschenken wollten. Kein Problem fürs Niederrheinische Museum. Denn, das sagt die Leiterin: „Alles ist ausstellungswürdig“. Bis es aber soweit ist, dauert es noch ein wenig. Es ist eben erst der Anfang.
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Der Verein für Museumsförderung Kevelaer e.V. hat die Schenkung des Ehepaares Ratermann im Jahr 2021 erhalten, das Niederrheinische Museum darf sie nun der Öffentlichkeit präsentieren. In Zukunft soll ein Ausstellungsbereich für die gesamte Privatsammlung entstehen.
Die Sammlung ist während der Öffnungszeiten, dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr, zugänglich. Am Freitag, 24. Februar, können Interessierte um 15 Uhr an einer Führung durch die Sammlung Ratermann teilnehmen. Die Kosten liegen bei fünf Euro.
Weitere Veranstaltungen sind auf der Homepage zu finden: www.niederrheinisches-museum-kevelaer.de