Moers. Kunst gegen Leerstand: Piet Bohne zeigt seine Arbeit mitten in der Moerser Innenstadt. Vieles ist gesellschaftskritisch und stimmt nachdenklich.

Ein Schaufenster mitten in der Moerser Innenstadt zieht alle Blicke auf sich. Allerdings gibt’s dort nicht etwa ausgefallene Kleider, Schuhe oder Taschen zu sehen, sondern ein ausgebranntes Auto mit knallroten Rädern. Und als wäre das nicht schon genug, liegen darin auch noch unzählige Puppenbeine, die einem gelangweilt entgegenrufen: „Bla bla bla…“ Ja, das ist Kunst. Und zwar Kunst, die neugierig macht, die irritieren soll und die zum Nachdenken anregt. Auch – oder gerade – all jene, die während ihres Einkaufsbummels eher zufällig vorbeikommen und nicht so richtig wissen, was es mit dem seltsamen Gefährt auf sich hat. Kleiner Tipp: Einfach mal reinkommen und nachfragen!

Immer freitags und samstags sitzt Pit Bohne auf einer gelben Tonne und macht sich Gedanken über seine Arbeiten, so formuliert er es selbst, oder kommt regelmäßig mit Interessierten ins Gespräch über seine Kunst. Vor über einem Jahr, im November 2021, hat er die Räume auf der Neustraße bezogen. Einst war hier ein Kino untergebracht, danach Aldi… „1970-1974“ steht auf herausgebrochenen Fliesen, die er in eine geschichtsträchtige Installation verwandelt hat… später wurden hier Schallplatten und zuletzt Spielzeug verkauft. Und dann? Stand der Laden leer, vier lange Jahre, bis das Konzept „Kunst gegen Leerstand“ ihn mit neuem Leben füllen sollte.

Kunst in der Moerser Innenstadt

Pit Bohne war sofort begeistert von dem Ort, der mit seinem kaputten Boden und den herunterhängenden Kabeln zunächst an eine Baustelle erinnert hat. „Ich brauche immer mal wieder neue Anreize für meine Arbeit“, erklärt er. Ja, neue Inspiration hat er hier gefunden, aber auch neue Ausstellungsmöglichkeiten. Denn auf 400 Quadratmetern hat er plötzlich richtig viel Platz, wobei, das muss er auch zugeben: „Am Anfang war ich erst einmal von der Dimension erschlagen.“ Aber er wäre kein Künstler, wenn er für jedes aufkommende Problem nicht eine kreative Lösung finden würde. So hat er Planen aufgehängt, „um den Raum zu entzerren“, und Lampen hingestellt, „um gewisse Sachen in Szene zu setzen“.

Pit Bohne hat aus Autokennzeichen das Kunstwerk „Freedom“ geschaffen, das aktuell in seinem Stadtatelier in Moers zu sehen ist.
Pit Bohne hat aus Autokennzeichen das Kunstwerk „Freedom“ geschaffen, das aktuell in seinem Stadtatelier in Moers zu sehen ist. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Nun lässt es sich durch den Laden schlendern wie durch eine Galerie. Oder, wie Pit Bohne selbst sagt: „Es ist toll, für eine gewisse Zeit mein eigenes Museum zu haben.“ Und so führt er von Werk zu Werk, erzählt von seiner Idee dahinter, so wie bei der ersten Arbeit, die er für sein „Museum auf Zeit“ angefertigt hat. Auf einem Rollstuhl steht ein Toilettenstuhl, dann kommt ein Karren, ein Dreirad und schließlich, hoch oben, thront ein Spielzeugbagger über allem. „Bewegtes Leben“ hat der Künstler die Installation genannt, „weil alle Räder haben“. Aber auch, weil es die chronologische Erzählung eines exemplarischen Lebenslaufs ist? Er nickt.

Von Hamsterkäufen und der Freiheitsfrage

„Mir war erst gar nicht klar, dass es für manche so schwerlastig ist“, erklärt Pit Bohne. „Manche Besucher sind hier schon mit feuchten Augen wieder rausgegangen.“ Aber auch das gehört dazu, immerhin möchte er mit seinen „sozialen Plastiken“, wie er die Arbeiten selbst beschreibt, eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen in Gang setzen. Mal klappt das sofort, wenn beispielsweise unter einem Sack mit Milchtüten „Hamsterkäufe“ steht, mal darf aber auch nachgefragt werden. Was hat es denn mit dem Schriftzug „Freedom“ aus Autokennzeichen auf sich? „Die Kennzeichen sind nichts anderes als Daten.“ Alle Daten werden gesammelt, auf Handys & Co., „deshalb haben wir keine richtige Freiheit mehr.“

Die Zeit läuft – auch im Stadtatelier von Pit Bohne, denn wie lange er seine Kunstwerke hier noch zeigen kann, steht nicht fest.
Die Zeit läuft – auch im Stadtatelier von Pit Bohne, denn wie lange er seine Kunstwerke hier noch zeigen kann, steht nicht fest. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Anderes dagegen ist sehr wohl vergänglich, so wie ein Schriftzug im Sand, den schon so manch einer platt getrampelt hat. Ist aber nicht schlimm, sagt der Künstler, im Gegenteil. „Das gehört dazu.“ Denn, „die Zeit läuft, die Zeit läuft, die Zeit läuft“, so steht es geschrieben, aktuell zumindest noch, bis wieder jemand drüber läuft und den Sand womöglich bis zum hellblauen Trabi mit großer Rakete auf dem Dach mitschleppt. „Nee, das ist keine Rakete“, kommt schnell als Erklärung. „Das ist ein Zusatztragflächentank einer Mirage.“ Und den hat er im Jahr 2015 aus 30 Meter Höhe durch den Trabi rauschen lassen. Zum Beweis liegen Fotos von der Aktion aus, die eine „Vereinigung von West mit Ost“ symbolisieren sollte.

Das „Bla bla bla“-Auto

Kunst regt auf und Kunst regt an – zu Gedanken und Gesprächen. So auch hierbei, wie Piet Bohne erzählt: „Ich habe mich mit einigen unterhalten, die selbst in der DDR gewohnt haben und die Vereinigung nicht wollten.“ Deshalb hat er den Titel mit dem Zusatz „Vereinnahmung“ versehen. In einen Austausch mit den Menschen zu kommen, das wünscht sich der Künstler, deshalb freut er sich über alle, die nicht nur durchs Schaufenster gucken, sondern auch mal reinkommen. Um vielleicht darüber zu sprechen, wie es aktuell in der Politik läuft. „Es wird zu viel geredet und zu wenig gehandelt“, findet er. Deshalb das Auto, das langsam zusammenbricht, unter so viel „Bla bla bla“.

>>> Kunst gegen Leerstand

Pit Bohne öffnet immer freitags von 15 bis 18 Uhr sowie samstags von 11 bis 18 Uhr sein Atelier auf der Neustraße 20 in der Moerser Innenstadt. Weitere Termine sind nach Vereinbarung mit dem Künstler möglich unter 0152/09710 942 oder per E-Mail an pit@pit-bohne.de.

Mittlerweile haben über 5000 Menschen sein „Museum auf Zeit“ besucht, wie ein Blick in sein Gästebuch zeigt. Wie lange die Ausstellung noch zu sehen ist, hängt davon ab, wann ein neuer Mieter oder eine neue Mieterin für das Ladenlokal gefunden ist.

Der Objektkünstler zeigt einige seiner Arbeiten auch online auf seiner Homepage: www.pit-bohne.de