Hünxe. Weil Sanierungen am Wesel-Datteln-Kanal verschlampt wurden, müssen die Schiffe in der Schleuse in Hünxe an Land vertäut werden - für viel Geld.
Die Copenhagen schiebt sich langsam in die Schleusenkammer. Links und rechts hat der 110-Meter-Kahn nur wenig Platz, die Hünxer Schleuse ist gerade einmal vierzig Zentimeter breiter als das Schiff. Ein Matrose wirft ein unterarmdickes Seil zu Marcel Dohmen, der junge Mann schlingt es um einen Poller, dann ein zweites Seil. Danach sinkt das Schiff mehr als fünf Meter tiefer, ehe sich das Schleusentor Richtung Westen öffnet und Dohmen die Seile wieder lösen kann. Dohmen ist ein Festmacher. Dass er hier arbeitet, ist der Tatsache geschuldet, dass die Wasserstraßeninfrastruktur in den vergangenen Jahrzehnten sträflich vernachlässigt wurde. Es ist eine Posse.
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Die Schleuse in Hünxe ist eine von sechs Schleusen im Wesel-Datteln-Kanal, und der Kanal ist nach dem Rhein die zweitwichtigste deutsche Wasserstraße. „Für uns ist der Kanal überragend wichtig“, sagt Jens Schwanen, der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB). 16 Millionen Tonnen Güter werden jährlich auf dem Kanal transportiert, hierüber werden die Kraftwerke im Ruhrgebiet oder der Chemiepark in Marl versorgt. Gebaut wurde die Schleuse in Hünxe im Jahr 1923. Seitdem sind zwar die großen Hubtore ersetzt worden, das war vor 29 Jahren. Einige kleine, aber ziemlich wichtige Bauteile sind noch immer dieselben wie vor beinahe einhundert Jahren: Die Nischenpoller in den Spundwänden der Schleusenkammer.
Schon vor vier Jahren wurde die Nutzung der maroden Poller untersagt
An diesen vertikal angebrachten Pollern konnten die Schiffer bis vor einigen Jahren selbst die Taue anbinden, die das Schiff beim Schleusen auf Position halten. Im März 2018 war damit Schluss: „Da wurde die Nutzung der Poller untersagt. Es hieß, sie seien baufällig, könnten abreißen und zu lebensgefährlichen Geschossen für die Schiffsbesatzungen werden“, erinnert sich BDB-Geschäftsführer Schwanen.
Das Nutzungsverbot hatte erhebliche Auswirkungen auf die Schifffahrt im Kanal: Statt der üblichen zwei konnte nur noch jeweils ein Schiff in die Schleusenkammern, vor den Schleusen bildeten sich lange Staus. Eine mittlere Katastrophe.
Als der BDB nachhakte, wie es zu dieser spontanen und folgenreichen Entscheidung gekommen sei, wurde Schwanen Erstaunliches beschieden: „Dass die Poller baufällig waren, sei schon seit 1989 bekannt gewesen.“ Es wären also mehr als zwanzig Jahre Zeit gewesen, die Poller zu reparieren. Jedoch, sagt Barbara Stockem, die stellvertretende Leiterin des zuständigen Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt „Westdeutsche Kanäle“, gab es lange Zeit weder die personellen noch die finanziellen Ressourcen, um die Schleusenbauwerke auf dem Kanal grundlegend zu sanieren.
Und so arbeiten jetzt seit vier Jahren Menschen wie Marcel Dohmen als Festmacher am Kanal, insgesamt etwa 30 von ihnen, die in drei Schichten die Schiffe vertäuen. Es ist ein ruhiger Job. Die Schleuse bei Hünxe passieren etwa 30 Schiffe in den drei Schichten. Insider schätzen die Kosten für die Anstellung der Festmacher auf rund eine Million Euro pro Jahr. Wie lange die Dienste von Dohmen und seinen Kollegen noch benötigt werden, ist unklar. „Wir arbeiten uns jetzt langsam heran“, sagt Barbara Stockem, deren Amt ein Anlagevermögen in Höhe von sieben Milliarden Euro verwaltet.
Hinter acht Schiffen sieben Stunden vor der Schleuse gewartet
Allein zum Standort Duisburg-Meiderich gehören 24 Schleusen und ein Hebewerk. Derzeit werden im Wesel-Datteln-Kanal die Poller in der Schleuse in Dorsten saniert. Das wird noch gute fünf Monate in Anspruch nehmen und führt zu Staus. „Wir haben vor ein paar Tagen sieben Stunden vor der Schleuse gewartet, da standen acht Schiffe vor“, ruft ein Matrose vom Deck der Copenhagen. Er lacht. „Warten kann ja entspannend sein.“ Bis 2025 soll die letzte der sechs Kammern saniert sein.
Eigentlich muss der Wesel-Datteln-Kanal dringend ausgebaut werden. „Das Bauwerk ist in die Jahre gekommen“, drückt es BDB-Geschäftsführer Schwanen diplomatisch aus. Bis zum Jahr 2030 könnte die Menge der transportierten Güter auf dem Kanal bis zu 23,5 Millionen Tonnen ansteigen, sagen Prognosen. Der „Aktionsplan Westdeutsche Kanäle“ sieht tatsächlich einen Ausbau samt des Baus neuer Schleusen vor. Mit den Planungen wurde allerdings erst vor zwei Jahren begonnen.