Bedburg-Hau. Sieben Kreative haben zwei Wochen lang im ArToll Kunstlabor gearbeitet. Das Ergebnis „entre nous“ präsentieren sie nun der Öffentlichkeit.

Der hintere Teil des ehemaligen Klinikgebäudes hat Kerstin Kästner sofort in den Bann gezogen. Drei Kammern gehen von ihm ab, und die kleinen Gucklöcher in den hölzernen Türen verraten, was sich an diesem Ort vor vielen, vielen Jahrzehnten abgespielt haben muss. Frauen mit der Diagnose Hysterie wurden darin eingesperrt, festgeschnallt, separiert. Die Geschichte des einstigen „Frauenhauses“ hallt in den lichtdurchfluteten Zimmern nach, stimmt nachdenklich, lässt aber gleichzeitig auch Raum für etwas Neues. Und so hat die Künstlerin, die übrigens zudem Historikerin ist, mittendrin ihren Tisch aufgebaut, um genau hier kreativ zu werden.

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„Entre nous“ heißt das Projekt des ArToll Kunstlabors, an der sieben Künstlerinnen und Künstler zwei Wochen lang gearbeitet haben. „Unter sich“ haben sie die Räume aufgeteilt, haben in jedem ihr temporäres Atelier eingerichtet, um zwischendurch doch immer mal wieder rüberzugehen und sich auszutauschen. Über die großen Fragen in der Kunst, aber auch die kleinen Befindlichkeiten der Menschen. Was wollen wir heute Abend zusammen essen? Der Austausch ist ein wichtiger Bestandteil des Projekts, das eigentlich als deutsch-marokkanisches angedacht war, durch Corona aber erst verschoben und dann neu konzipiert wurde. Ein marokkanischer Künstler ist nun dabei, die anderen kommen aus NRW.

Orangefarbene Körperlinien

Und doch, Kerstin Kästner musste sich zunächst einmal an diesen ungewöhnlichen Ort mit all seinen Besonderheiten gewöhnen, das gibt sie zu. Nun aber, kurz bevor sie und die anderen all ihre Arbeiten der Öffentlichkeit präsentieren, kann sie sagen: „Ich bin hier in den Räumen wie eine andere Person.“ Das erklärt, weshalb die Bildhauerin plötzlich viel häufiger als sonst zum Stift gegriffen und Skizzen von Menschen angefertigt hat. Zu sehen sind Frauen, die mit der Umgebung verschmelzen, die auf dem Kopf liegen oder ins Nichts flüstern. Alles verschwimmt in einem flüchtigen Moment, selbst die Blätter scheinen nur schnell vom Zeichenblock abgerissen und an dünnen Nägeln wie zufällig aufgehängt.

Scarlett Schauerte holt die Natur ins ArToll Kunstlabor in Bedburg-Hau.
Scarlett Schauerte holt die Natur ins ArToll Kunstlabor in Bedburg-Hau. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

So ganz lässt das Dreidimensionale die Bildhauerin jedoch nicht los, deshalb muss sie nun auch noch etwas weiterarbeiten… Es geht also weiter, vorbei an den provokanten Zeichnungen von Birgit Pardun, bis zu Annette Piscantor, die gerade orangefarbene Gurte an den Wänden befestigt. „Ich bin jeden Tag hier rein und wieder raus, bis ich irgendwann begriffen habe, was hier geht“, erklärt sie. „Man kann nur mit dem Raum arbeiten.“ Und der besteht aus patiniertem Boden, löchrigen Decken, fleckigem Weiß. Das Knallorange, die „Körperlinien“ so der Titel des Werks, bilden einen harten Kontrast. Die Gurte, ja sie stellen einen Bezug zum Ort her, erinnern an das Fixieren von „hysterischen“ Frauen. „Kann man so sehen, muss man aber nicht“, so die Künstlerin.

Beziehung zwischen Mensch und Natur

Vorbei an wackeligen Füßen, die weglaufen wollen, aber nicht können, und rein in den nächsten Raum. Oder doch raus? Scarlett Schauerte hat die Natur von draußen nach drinnen geholt, hat Erde, Pflanzen und das Rauschen der Blätter zum Kunstwerk installiert. „Sind wir Teil der Natur oder setzen wir uns darüber hinweg?“, fragt sie und zeigt dabei auf die organisch geformte Platte, auf der ein kleiner Roboter vor- und zurück- und wieder vorfährt. Die Antwort darauf müssen Besucherinnen und Besucher selbst finden… Auch Karola Teschler beschäftigt sich intensiv mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur, wenn sie Plastikplanen filmt, von denen sich der Wald mit aller Kraft zu befreien versucht, und die Videoinstallationen anschließend „covered“ und „trapped“ nennt.

Siegbert Altmiks stellt noch schnell die fehlenden Objekte fertig, die sich Interessierte am Donnerstagabend bei der Präsentation im ArToll Kunstlabor e.V. in Bedburg-Hau ansehen können.
Siegbert Altmiks stellt noch schnell die fehlenden Objekte fertig, die sich Interessierte am Donnerstagabend bei der Präsentation im ArToll Kunstlabor e.V. in Bedburg-Hau ansehen können. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Dass sich ein ehemaliges Klinikgebäude tatsächlich in ein kreatives Kunstlabor verwandeln kann, beweist nicht zuletzt Siegbert Altmiks. Überall stehen Töpfe, liegen Pinsel und mittendrin werkelt der Bildhauer an seinen gefalteten Objekten. Die weißen Schichten erinnern an Gips, Klinik, Haut. Was verbirgt sich dahinter? Noch eine Frage, die jeder und jede für sich beantworten muss… Ja, die zeitgenössische Kunst ist vielfältig, lebt vom Austausch, auch über Ländergrenzen hinweg. Und so ist Mohamed Ghannaj extra aus Marokka angereist, um hier an seinen abstrakten Bildern zu arbeiten. Schließlich, so sagt er auf Französisch, sei die Abstraktion wie das Leben. Titel gibt er seinen Werken nicht, denn sobald er den Pinsel weglegt, ist seine Arbeit beendet. Die Interpretation überlässt er den anderen. Ob er noch einmal wiederkommt, hier an den Niederrhein? Er lächelt. „C’est possible.“ Möglich.

>>> Das ArToll Kunstlabor lädt ein

Seit dem 15. Juli arbeiten die sieben Künstlerinnen und Künstler in den Räumen des ehemaligen Klinikgebäudes, Zur Mulde 10 in Bedburg-Hau. Zum Abschluss ihres Projektes laden sie am heutigen Donnerstag, 28. Juli, ab 18 Uhr zur Präsentation der neuen Werke ein. Diese Präsentation mit dem Titel „entre nous“ zeigt Skulptur, Malerei, Zeichnung und Installation.