Gummersbach. Ein Landarzt aus Gummersbach versucht, zusammenzubringen, was zusammengehört: Gesundes Leben für den Einzelnen – und gesundes Klima für die Erde.

Der Arzt steht gerade selbst ein wenig unter Schock: Am Vorabend wäre Dr. Ralph Krolewski fast ein Auto auf den Kopf gefallen. Es kam ihm auf der falschen Spur, Dach unten, Räder oben, entgegengestürzt. Ihm, dem passionierten Radler, der aus Überzeugung als Landarzt in Gummersbach 90 Prozent seiner Hausbesuche mit dem E-Bike erledigt. Doch er ist wohlauf, der trunkene Autofahrer auch, jedenfalls physisch. So kann Krolewski erklären, warum eine Hausarztpraxis in Gummersbach mitentscheidend ist im Kampf gegen den Klimanotstand.

Denn der Klimawandel tötet. Hitzewellen bringen im Sommer die Menschen um. Nicht im fernen Indien, sondern hier. „Menschen mit Vorerkrankungen haben an heißen Tagen ein zwei- bis vierfaches Risiko zu sterben“, sagt er. „Bei jeder Hitzewelle lässt sich eine Übersterblichkeit feststellen.“ Bis 20.000 zusätzliche Tote sind für den Sommer 2018 an Tagen mit mehr als 30 Grad bilanziert. „Das ist der klassische Hitzschlag, aber es sind auch Zunahmen von Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen.“

20.000 Hitzetote in Deutschland gab es im Sommer 2018

Sogar auf dem Land, so Dr. Ralph Krolewski, müssen deshalb Hitzeschutzkonzepte her. In seiner Praxis hat er den Carport aufgerüstet: Mit einer Anlage zur Feuchtigkeitsverneblung zur Kühlung. Noch schlimmer: In Großstädten ist die Hitze um bis zu sechs Grad höher. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hat errechnet, dass allein in Köln nach wenigen heißen Tagen 62 % der Bürger in Hitzestress geraten, der Körper sich nicht mehr erholen kann.

IKinder, die an einem Hitzschlag leiden, werden in einem Krankenhaus in Prayagraj, Indien, behandelt
IKinder, die an einem Hitzschlag leiden, werden in einem Krankenhaus in Prayagraj, Indien, behandelt © dpa | Rajesh Kumar Singh

Was helfen würde: Trinkbrunnen, Frischluftschneisen, Fassaden- und Dachbegrünungen, Straßenbäume, kleine Wasserläufe, dazu Zufluchtsorte in Kirchen, geräumten Parkgaragen, U-Bahnhöfen. „In Deutschland sind wir ganz am Anfang, da es keine Vorgaben und Pflichten für die Kommunen gibt“, so Krolewski.

Für Krolewski ist das Grund, die Ärzteschaft wachzurütteln. Und nicht nur die. Er hat früh erfahren, dass der Mensch die Welt eben doch verändern kann – im Ruhrgebiet.

Als Medizinstudent arbeitete der heute 66-Jährige in den Städtischen Kliniken Dortmund, lernte Kumpel mit Steinstaublunge kennen, die Belastung durch Smog und Schwefeldioxid.

Im Ruhrgebiet hat er erfahren: Der Mensch kann die Welt verbessern

Aber er erlebte auch, wie der Himmel über der Ruhr wieder blau und die Luft sauberer wurden. Jetzt ist sein vielleicht wichtigster Patient noch ein wenig größer als Revier oder der Kampf gegen die Wirkungen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Beim Klimawandel geht es um den Globus – den größten denkbaren Patienten.

„Ich habe immer schon verfolgt, was auf der Ebene der Vereinten Nationen passiert“, sagt er. Und war da: beim Klimagipfel 2018 in Kattowitz, in Madrid 2019. Seitdem gibt es auch den Verein „KLUG – Klimawandel und Gesundheit.“, in dem sich Mediziner in Deutschland vernetzten. „Klimawandel ist verniedlichend für eine dramatische Entwicklung“, sagt Krolewski. „Das gesamte System ändert sich: die Atmosphäre, der Boden der uns nährt, die Meere, die Eismassen, die Biosphäre, das Netzwerk des Lebens. Und zwischen diesen Erdsystemen gibt es eine Vielzahl von gewaltigen Wechselwirkungen.“

Nicht nur die Temperatur macht’s: Dieses Messgerät ermittelt den Hitzestress des Individuums; Denn Wind, Feuchtigkeit und Hitze zusammen machen den manchmal tödlichen Mix.
Nicht nur die Temperatur macht’s: Dieses Messgerät ermittelt den Hitzestress des Individuums; Denn Wind, Feuchtigkeit und Hitze zusammen machen den manchmal tödlichen Mix. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Nicht nur, wenn, wie im vergangenen Jahr, nach langer Trockenheit die Wälder um Gummersbach brennen und Krolewski, der auch ärztlicher Psychologe ist, traumatisierte Feuerwehrleute behandeln muss, die zeitweise von den Flammen eingeschlossen waren.

Die große Politik, die dicken Reports für die Klimakonferenzen, an denen er mitschreibt, nützen nichts, wenn sie nicht individuell wirken. „Was machst du mit deinem Wissen in der Praxis jeden Tag?

Darauf habe ich eine Antwort gefunden“, sagt Krolewski: die Klimasprechstunde. „Zur Vorbeugung gehört unter anderem eine Risikobetrachtung. Dann kann ich sagen: Liebe Frau Müller, Ihr Risiko, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden, liegt bei 23 Prozent.

Aber wenn Sie bei Bewegung und Ernährung etwas ändern, können Sie Ihr Risiko halbieren.“ Bewegungs- und Ernährungsziele gibt es in Schriftform. „Dann hat sie das Gefühl: Ich kann ohne Tabletten selbst etwas für meine Gesundheit tun.“ Hinzu kommt, bei klassischer Rollenverteilung: „Wer über den Kochtopf entscheidet, entscheidet über Familiengesundheit.“ Und nebenbei führt eine gesündere, meist fleischärmere Ernährung zur besseren Klimabilanz.

Ernährung, Bewegung, Stadtentwicklung und internationale Politik

Noch schwieriger, als die Ernährung zu verändern, ist jedoch die Veränderung der Mobilität: 30 Prozent der Patienten haben Schmerzen im Bewegungsapparat. „Wir leben in einem absoluten Bewegungsmangel. Bei den 18-85-Jährigen liegen 54 Prozent unterhalb des Bewegungsminimums. Bei den Jugendlichen von 14 bis 18 sind es über 80 Prozent.“

Kein Zufall: Dr. Krolewski drapiert die Bücher bewusst so im Regal, dass die Titelseiten zum Gespräch einladen.
Kein Zufall: Dr. Krolewski drapiert die Bücher bewusst so im Regal, dass die Titelseiten zum Gespräch einladen. © Herm

Da ist nichts zu machen mit Medikamenten und Operationen, die machen vor allem Ärzte und Pharmafirmen reich: Wege zu Fuß oder mit dem Rad zurückzulegen, ist das beste Rezept. „Schlaganfall- und Herzinfarkt-Risiko sinken um ein Viertel, Demenz um ein Drittel, der Psyche geht es besser, das Krebsrisiko geht um 10 Prozent zurück. Der Mensch in Bewegung stärkt Immunsystem, Muskulatur, Herz und Kreislauf“, so Krolewski. Und schont das Klima. 19 Cent pro Kilometer bekommt daher jeder Niederländer, wenn er zur Arbeit radelt: sein Anteil an der Gesundheitsrendite.

„Großbritannien hat deswegen die Straßenverkehrsordnung umgestellt: Die schwächsten Verkehrsteilnehmer haben dort jetzt die größten Rechte.“ In Paris stelle man großflächig die Ernährung in Bistros und Kantinen um. Versorgungseinrichtungen sollen zu Fuß erreichbar sein. „Das wäre auch in Gummersbach möglich“, sagt Krolewski.

Was in Gummersbach geht, geht auch in Kranenburg und Schermbeck. Als grüner Kreistagsabgeordneter bohrt er an diesen Brettern. „Die Niederlande machen das seit 50 Jahren. Die können abrufen, was der Radschnellweg zwischen Arnheim und Nimwegen für Gesundheitsökonomie bringt. Wir müssen jetzt die gesunden Städte der Zukunft planen.“

Auch das Gesundheitswesen selbst muss umdenken

Das ist, neben dem Patienten und dem Globus, die Zwischenebene: die Politik vor Ort. Und es gibt noch eine Stelle, an der Krolewski ansetzen will. In der eigenen Branche: „Das Gesundheitswesen sorgt für 5,5 Prozent der Emissionen in Deutschland. Und jede überflüssige Leistung, die wir erbringen, setzt CO2 frei“, sagt Krolewski. „Wer nur das Kapitalkarussell bedient, verhält sich unethisch.“ Denn auch für jede Landarztpraxis gelte: „Wir sind Praxis der Weltgemeinschaft.“

Die sitzt längst im Wartezimmer: Menschen aus 54 Nationen behandelt er. Und sehen dort sein Fahrrad. Und wer im Behandlungszimmer mal ein wenig warten muss, blickt aufs Bücherregal. Einige Bücher stehen mit dem Einband nach vorn: Eckard von Hirschhausens Glücksbuch, „Der Ernährungskompass“, der „Hippokratische Eid“, „Planetary Health“ und einige mehr: „Gesprächsanlässe schaffen“, nennt Krolewski das. Und den Menschen erklären, dass ihr eigenes Wohlbefinden auch dem größten aller Patienten hilft: dem Globus.