Professor Dirk Reiser (56) lehrt in Kleve „Nachhaltigen Tourismus“ und fordert ein Umdenken: Von Reisenden und Reiseunternehmen gleichermaßen.
Das Gute ist: Für einen Fachmann für nachhaltiges Reisen muss man nicht weit fahren: Dirk Reiser lehrt nachhaltigen Tourismus an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve. Warum Stephan Hermsen ihn dennoch per Videotelefonat interviewte, erklärt der Reiseexperte gleich selbst...
Herr Prof. Reiser, wo sind Sie gerade und woran arbeiten Sie?
Prof. Dirk Reiser: Im Moment habe ich ein Forschungsfreisemester und bin in Perth, Westaustralien und bearbeite gerade einen Text über die Auswirkung des Klimawandel und kleine Inseln wie beispielsweise Barbados, Mauritius, Seychellen, Trinidad und Tobago.
Nach Australien kann man vermutlich nicht ohne Kohlendioxid-Ausstoß kommen?
Nein, das muss man sich bewusst machen. Unser Leben ist nicht CO2-neutral und das Reisen gewiss nicht. Das wird es auch in der Zukunft nicht werden. Das ist auch für mich persönlich einer der Widersprüche unseres Lebens.
Die Sehnsucht nach Reisen, nach der Ferne, ist etwas, was zum Menschen gehört. Wie lässt sich der Schaden zumindest minimieren?
Das beginnt bei der Planung. Wie komme ich an mein Ziel? Wie bewege ich mich vor Ort und was mache ich dort? Mit dem Mietwagen oder dem öffentlichen Nahverkehr? Bei der Unterkunft kann man kann sich beispielsweise am Grünen Blatt des GSTC, des „Global Sustainable Tourism Councils“ orientieren. Man kann darauf achten: Ist das ein Hotel eines lokalen Betreibers, das auf Produkte vor Ort zurückgreift?
Faustregel: Versuchen Sie im Urlaub die Regeln zu befolgen, die Sie auch zuhause befolgen, was Energieverbrauch, Verpackungsmüll und Einkaufsgewohnheiten angeht. Lernen Sie vielleicht ein paar Worte der lokalen Sprache, kaufen Sie auf dem Markt ein, beispielsweise. Das macht Spaß, die Leute vor Ort verdienen etwas und es ist gut für die Ökobilanz. Bei Flügen kann man einen Kohlendioxidausgleich zahlen. Das ist zwar so eine Art Ablass, aber immer noch besser als gar nichts zu tun.
Je ferner das Ziel, desto länger die Reise?
Auf jeden Fall. Ich bin jetzt immerhin zweieinhalb Monate hier in Australien und werde auf dem Rückweg in Nepal eine Konferenz besuchen, das spart noch einmal Flüge. Aber so kann nicht jeder planen. Wenn ich meinem vorigen Chef gesagt hätte, ich bin mal drei Monate weg, hätte der gesagt: Prima. Du brauchst gar nicht wiederzukommen. Für solche Reisen braucht es andere Konzepte von Arbeit und Freizeit.
Vor Corona gab es doch eher eine Tendenz zu Kurztrips: Über das Wochenende nach London oder Barcelona. Auf Mallorca leben und zur Arbeit kurz in Düsseldorf einfliegen. Wird sich das ändern?
Das kennen wir ja vom Flughafen Weeze mit Ryanair. Die haben zwar sogar ein ganz gutes Klimaranking, weil ihre Maschinen immer voll sind. Aber die Anreize, die durch günstige Flüge geschaffen werden, sind natürlich fatal. Das Modell Billigflieger wird auf Dauer nicht überleben, weil sich Besteuerung und Preise verändern werden.
Apropos Weeze: Da gab es mit Green-Airlines den Versuch, Flüge teurer, aber klimaneutral anzubieten, durch geringen Verbrauch und entsprechende Kompensation. Der Versuch ist fehlgeschlagen. Muss die Bereitschaft, für Flüge mehr zu zahlen, erst noch wachsen?
Es gibt die Bereitschaft, aber sie ist nicht groß genug. Die Idee, mit Propellermaschinen ist im Prinzip gut. Aber ich finde, innerdeutsche Flüge sollten verboten werden. Es fängt ja damit an, dass Flugbenzin nicht besteuert wird. Kurzflüge müssten so teuer sein, dass sie sich nicht lohnen. Es darf nicht sein, dass Flüge von Düsseldorf nach Berlin günstiger sind als das Bahnticket.
Das ist ein Unding, der Flug spart da im Regelfall nicht einmal Zeit, wenn man die Wege von und zum Flughafen und das Einchecken mit einrechnet. Frankreich hat die Staatshilfen an Air France daran geknüpft, dass es keine Inlandsflüge mehr gibt. Das muss auch bei uns durch Ausbau der Bahn und entsprechende Preisgestaltung möglich sein – und dann innerhalb Europas.
Das große Geschäft machen große Anbieter, die den Menschen für 500 Euro zwei Wochen Urlaub am Mittelmeer versprechen. Müssen die sich ändern?
Ja, die vor allem. Klimawandel hat mit nachhaltiger Entwicklung zu tun. Vor der Pandemie hatten wir weltweit 1,5 Milliarden Ankünfte von Touristen weltweit. Der größte Teil davon sind Massentouristen. Genau deswegen muss sich dieses Geschäft sich ändern. Das ist ein Wechselspiel: Der Kunde muss es nachfragen und die Firmen müssen es anbieten. Da ist derzeit noch wenig Bewusstsein, aber es entwickelt sich. Hotels müssen sich nachhaltiger ausstatten, Transporte vor Ort anders organisiert werden.
Sie leben und lehren normalerweise am Niederrhein. Die Region setzt große Hoffnungen in einen regionaleren Tourismus, insbesondere den Radtourismus. Zurecht?
Ja, aber Radtourismus ist nur eines der Themen. Auch Wandertourismus wird zunehmen, da gilt es Angebote zu schaffen. Fahrradtourismus profitiert von der Entwicklung der E-Bikes und der Radrouten, die es auch für den Alltagsradler gibt. Es gibt neue Routen wie den Radschnellweg von Kleve nach Nimwegen, es gibt den Ruhrradweg. Diese Infrastruktur sollte so aufgebaut werden, dass sie auch Touristen hilft. Dazu gehören Fragen wie: Wo kann ich mein Fahrrad sicher abstellen? Wie wird mir bei einer Panne geholfen? Kann ich die Räder unkompliziert in Bahn und Bus mitnehmen?
Lässt sich das Reisen in künstliche Welten verlagern? Oder in Nachbauten touristischer Orte wie sagen wir „Tropical Island“ in Brandenburg?
Das Authentische wird immer gefragt werden. Ziele wie diese nachgebaute Copacabana in einer Zeppelinhalle in Brandenburg werden eher zusätzlich genutzt – und nicht stattdessen. Die Halle selbst ist nicht unproblematisch, weil sie einen immensen Stromverbrauch hat. Aber es ist sinnvoll, Touristen an Orten zu zentrieren, wo man sie managen kann. Künstliche Welten werden eine Rolle spielen – Kreuzfahrtschiffe sind ja schon so etwas.
Aber diese gelten als eines der Hauptübel: Großkonzerne betreiben Schiffe mit Schweröl und überschwemmen mit Tausenden Touristen malerische Orte, lassen aber kaum Geld vor Ort. Hat das Zukunft?
Das ganze Modell ist darauf ausgelegt, dass die Leute alles auf dem Schiff kaufen wie bei einem Resort-Modell. Aber Kreuzfahrtschiff ist nicht gleich Kreuzfahrtschiff. Es gibt beispielsweise auch Kreuzfahrtschiffe unter Segeln. Kurz- und mittelfristig ist der Trend leider eher hin zu mehr Kreuzfahrt. Die Schiffe verbinden eine gesicherte Umgebung mit der Exotik des Reisens und der Chance, in kurzer Zeit viel zu sehen, ohne das Zimmer räumen zu müssen. Es werden sich beim Antrieb sicherlich Dinge ändern, hin zu Flüssiggas und Hybrid. Aber die meisten Kreuzfahrten sind alles andere als nachhaltig.
Wie wird sich das Reisen in den nächsten zehn, 20 Jahren verändern?
Ich hoffe, dass Änderungen gelingen. Sehen Sie, in China, Indien und Indonesien entsteht eine neue Mittelschicht, die jetzt die Chance hat, zu reisen. Wenn die genauso reisen wie wir, entstehen riesige Probleme. Aber wir können kaum hingehen und sagen: Wenn ihr so reist wie wir, zerstört ihr die Erde. Das wäre ziemlich zynisch.
Von Wuppertal über Neuseeland nach Kleve
Mangelnde Welterfahrung kann man Professor Dirk Reiser nicht vorwerfen: er ist, ordentlich herumgekommen. Der heute 56-Jährige studierte zunächst der Sozialwissenschaften in Wuppertal, machte dann seinen Doktor in Neuseeland, später arbeitete er auch an der Uni in Canberra, organisierte ab 2006 Tourismusmanagement an der Universität von Tasmanien, immer noch am anderen Ende der Welt, wo er auch als Berater arbeitete.
Nach über 15 Jahren in Neuseeland und Australien kehrte Prof. Reiser 2011 zurück, unter anderem um an der Cologne Business School einen Master im nachhaltigen Tourismus aufzubauen. Seit März 2015 begann er als Professor für nachhaltiges Tourismusmanagement an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve.
Hinzu kommen Erfahrungen an Hochschulen in El Salvador, Indonesien, Thailand und den Niederlanden und zahlreiche Veröffentlichungen zu nachhaltigem Tourismus und unternehmerische Sozialverantwortung.
Dass er auch davon was versteht, liegt vielleicht auch daran, dass er unter anderem in einem Altenheim arbeitete und ein Hotel für Rucksacktouristen in Neuseeland gemanagt hat.