Essen. Bitte mehr Unordnung! Hobby-Ornithologe Uwe van Hoorn appelliert an alle Gartenbesitzer, wieder Lebensräume für bedrohte Arten zu schaffen.

Das Garagentor lebt. Ein Weißstorch stakst von links nach rechts, oben kreist ein Seeadler. Vogelkundler Uwe van Hoorn geht gründlich vor gegen graue Flächen. Er hat das Panorama-Foto einer Auenlandschaft auf Lkw-Plane drucken lassen und so seine Garage getarnt. Die idyllische Szene ist wie ein Trailer für das Naturschauspiel im Garten. Öffnet man die eiserne Pforte, bricht der schönste Radau der Welt los. Spatzen, Meisen, Finken, ein Specht. Das Grundstück hinterm Siedlungshaus ist wie eine Voliere ohne Gitter. Uwe van Hoorn und seine Frau Elke haben mitten im Ruhrpott, umzingelt von Asphalt und Schottergärten, ein Reservat für heimische Tiere geschaffen.

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Harte Maloche? „Nee“, sagt der Umweltschützer, „gezieltes Nichtstun. Die Menschen sollten dringend mehr Unordnung in ihren Gärten zulassen.“

Vogelfutter flächendeckend von Flugzeugen abwerfen

Nichtstun ist in diesem Fall das Gegenteil von Desinteresse. Das sanfte Verwildern eines 600-Quadratmeter-Grundstücks will gelernt sein. Hecken voller Beeren, Wildrosen, Obstbäume… eine gesunde Balance zwischen Park und Dschungel. So entsteht ein Gourmet-Buffet für Piepmätze. Elke Petri verfeinert das Catering für die große Gartenfamilie. Täglich füllt sie Futtersilos mit Mehlwürmern und Körnern. „Wenn ich mich verspäte, randalieren die Spatzen vor der Tür.“ Meisenknödel klemmt sie hinter ein Gitter, in den üblichen Netzen können sich die Krallen verfangen. Rotkehlchen und Buntspechte schwärmen für das Glas mit Erdnussbutter. Die Eichhörnchen bekommen eine Kiste voller Nüsse. Etwa 15 Kilo Futter verteilt die 71-Jährige jeden Monat im Garten.

Auch im Sommer?

„Unbedingt!“, betont Uwe van Hoorn, Vorstandsmitglied im Naturschutzbund Ruhr (NABU) und seit 50 Jahren Hobby-Ornithologe. Zu viele Böden in NRW sind versiegelt oder mit Pestiziden totgespritzt. Es gibt mancherorts 80 Prozent weniger Insekten als vor 40 Jahren. Unseren Vögeln geht die Nahrung aus, sie brauchen Hilfe: „Der langjährige Chef des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell, Professor Peter Berthold, forderte sogar, flächendeckend Vogelfutter von Flugzeugen abzuwerfen.“

Wie die Spatzen den Buchsbaumzünsler besiegten

Aber was kann ein Garten in Gerschede gegen das Artensterben ausrichten? „Wir müssen vor allem umdenken. Das geht auf dem kleinsten Balkon.“ Hier beginnt der Naturschutz mit der Auswahl der richtigen Pflanzen und durch weise Zurückhaltung im Herbst. „Warum schneiden die Leute dann alles runter? Weil sie keine Unordnung dulden!“, ärgert sich der 73-Jährige. Die Vögel sind angewiesen auf die Sämereien der Pflanzen, die Beeren von heimischen Büschen. In den hohlen Stängeln der Stauden überwintern Insekten.

Junge Kohlmeise im Garten von Uwe van Hoorn.
Junge Kohlmeise im Garten von Uwe van Hoorn. © privat | Uwe van Hoorn

Wer nun fürchtet, dass die Wildnis das Haus verschlingt: Die Natur ist der klügere Gärtner. Mit ihrer Hilfe hat Uwe van Hoorn sogar den Erzfeind des Edel-Vorgartens besiegt – den Buchsbaumzünsler. Als das Insekt die niedrige Buchs-
hecke angefressen hatte, schnitt der Rentner die Büsche runter. Jetzt zahlte es sich aus, dass bis zu 50 Spatzen in seinem Sauerkirschbaum wohnen. Die kleine graubraune Armee stürzte sich mit großem Appetit auf die Raupen. Die Hecke überlebte.

Der Dank: 70 Vogelarten in einem Garten

Auch der Hornissen-Kasten neben den Brennnesseln birgt keine Raubtiere: „Hornissen sind völlig harmlos und zugleich das beste Mittel gegen Wespen.“ Eine gefährliche Art ist der Hobbygärtner mit Gas-Flammenwerfer, der ganze Ameisenvölker abfackelt. Uwe van Hoorn lehnt sich lieber im Wintergarten zurück und schaut zu, wie der Grünspecht fleißig die Ameisen hinterm Haus verspeist.

Der ehemalige Vermessungstechniker besitzt eine stattliche Sammlung von Ferngläsern – das wichtigste Werkzeug des Ornithologen. Schließlich beobachtet er nicht irgendwelche Federviecher, sondern fliegende Persönlichkeiten. Wie den Graureiher, der die Punktlandung im Mini-Gartenteich beherrscht. Oder die geizige Ringeltaube, die ihrer Sippe kein Körnchen gönnt.

 Grünspecht im Essener Garten.
Grünspecht im Essener Garten. © Privat | Uwe van Hoorn

Fast 70 Vogelarten hat das Ehepaar schon auf und über dem Grundstück gesichtet. Darunter selten gewordene Hohltauben, Gimpel und Haubenmeisen. Ihre Lieblinge aber sind die Spatzen, die Rotzlöffel, die nonstop zetern und zanken. Links das Gebüsch ist lauter als ein Schulhof. Klar, das Zwitschern hat biologische Gründe. Doch für den ehemaligen Jugendwart des NABU ist es nach 50 Jahren Hinhören ein ungeschriebenes Naturgesetz: „Vögel singen auch einfach nur zum Spaß!“

Warum dieser Hass auf die schöne Elster?

Seltsam, dass dieses Glück so vielen Menschen entgeht. „Da schmettert in einer Hecke volles Rohr eine Nachtigall – und alle laufen vorbei!“, wundert sich van Hoorn. Oder dieser verbreitete Hass auf die Elster: „Haben Sie mal die Federn bei Sonne funkeln sehen? Wäre die Elster selten, hat ein bekannter Ornithologe gesagt, würden die Leute durch ganz Deutschland reisen, um derart viel Schönheit zu finden.“

Sperbermännchen startet zur Jagd.
Sperbermännchen startet zur Jagd. © privat | Uwe van Hoorn

Womöglich muss man in Zukunft sogar weit fahren, um vertraute Arten wie die Feldlerche zu sehen. In Europa sind Abermillionen Vögel (siehe Kasten) für immer verstummt. Im Garten ruft umso lauter die Pflicht. „Wir haben eine Verantwortung“, appelliert Uwe van Hoorn an alle Hobbygärtner: „Naturschutz fängt ganz unten an. Aber natürlich müssen auch die Kommunen und die Politik aktiver werden – etwa, wenn es um Schottergärten geht, die sind ja in einigen Städten erfreulicherweise verboten.“

Und wer nur Pflaster, Rasen und überzüchtete Rosen hinterm Haus hat, sollte morgens mal horchen: Lebt da eigentlich noch was?

Zaunkönig im Essener Garten.
Zaunkönig im Essener Garten. © privat | Uwe van Hoorn
  • Das große Vogelsterben: Die Natur verstummt
  • Stellen Sie sich vor, Sie gehen im Frühling aus dem Haus – und nirgendwo ist ein Zwitschern zu hören. Eine Horrorvision? Leider ist das an immer mehr Orten die traurige Realität. Die Zahl der Vögel in der EU und auf den britischen Inseln sank laut einer neuen Studie in den vergangenen 40 Jahren um rund 600 Millionen.
  • Am stärksten betroffen sind Feld- und Wiesenvögel. Mehr als die Hälfte von ihnen ist verschwunden, darunter 75 Millionen Stare und 68 Millionen Feldlerchen.
  • Die Bestände der früher allgegenwärtigen Kiebitze, Rebhühner und der zierlichen Turteltauben nahmen um ca. 90 Prozent ab. Hauptursache ist die industrielle Landwirtschaft.
  • Im Sommer 2021 wurde die Rote Liste heimischer Vögel aktualisiert. 43 Prozent der 259 in Deutschland brütenden Vogelarten gelten offiziell als bedroht.
Grünfink, auch Grünling genannt.
Grünfink, auch Grünling genannt. © privat | Uwe van Hoorn

Die Zutatenliste für den naturnahen Garten:

Wer in seinem Garten ein guter Gastgeber für Vögel sein will, muss nicht viel Geld ausgeben, aber gründlich umdenken:

Gepflanzt werden vor allem einheimische Wildblumen und Gehölze. Nur sie liefern Nahrung für hiesige Vögel und Insekten: Hecken aus beerenreichen Sträuchern wie Weißdorn, Holunder oder Schlehe. Dazu samentragende Stauden aus regionaler Anzucht (Mehr dazu in unserer Klimaserie am 19. 4.). Wildrosen statt überzüchteter Rosen, für die sich nur Blattläuse interessieren. Die Blumenerde sollte auf keinen Fall Torf enthalten, Torfabbau ist extrem schädlich fürs Klima.

Wer Schmetterlinge mag, gönnt sich Brennnesseln im Garten. Sie ernähren die Raupen von über 30 Falterarten. Noch mehr Leben kommt hinters Haus, wenn man einen Teil des Rasens durch eine Wildblumenwiese ersetzt. Spätvorstellung: Nachts blühende Duftpflanzen wie die Nachtkerze locken Falter und Fledermäuse.

Obstbäume sollte man im Herbst nicht komplett abernten und verblühte Stauden bis zum Frühjahr stehenlassen, sie sind die beste Futterquelle für Insekten und Vögel.

Rotkehlchen im Wildrosenstrauch.
Rotkehlchen im Wildrosenstrauch. © privat | Uwe van Hoorn

Vogelfutter im Fachhandel kaufen und auf den Vermerk „ambrosiafrei“ achten. Mit Billigware holt man sich oft die hochallergene „Beifußblättrige Ambrosie“ ins Beet.

Praktischer und hygienischer als Vogelhäuschen sind Futtersilos. Vogelhäuschen und -tränken müssen regelmäßig gereinigt werden, sonst vermehren sich Krankheitserreger. Futter an erhöhten, übersichtlichen Orten anbringen, damit sich keine Katzen anschleichen können.

Unordentliche Ecken veredeln den Garten. In Laub- und Reisighaufen und offenem Kompost machen es sich Igel, Kröten, Molche und Käfer gemütlich. Feldsteinmauern bieten einen idealen Lebensraum für nützliche Insekten.

Nistkästen sind eine Hilfe für Vögel, Fledermäuse und Eichhörnchen. Vorsicht – viele billige Insektenhotels sind Todesfallen für Bienen. Nistquartiere selber bauen ist einfach und preiswert.

Insektizide und andere Chemie sind im Garten tabu – genau wie Mähroboter, die oft nachts eingesetzt werden und Igel und andere Kleintiere brutal verletzen.

Tipps zu Pflanzen, Vogelfutter und Insektenhotels finden Sie auch unter https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/tiere/voegel/