Oberhausen. Nach zwei Jahren Corona laufen viele Seniorentreffs und Freizeitangebote langsam wieder an. Ein Besuch in der Guten Stube in Oberhausen.
Heinz, 94, ist das erste Mal da. Es dauert nicht lange, und er unterhält die Runde. Erzählt von seinen Hunden, die er mal hatte, davon, dass er froh ist, nicht mehr nur zu Hause zu sitzen. „Ich habe keine Freunde mehr, alle tot, die Freundinnen auch. Sohn und Schwiegertochter habe ich noch“, sagt er. Doch die sind ja auch nicht immer da. Heinz ist das erste Mal in die „Gute Stube“, einem Tagestreff für Senioren in Oberhausen-Sterkrade, gekommen. Nach Corona öffnet der wieder seit drei Monaten unter 2G-Plus-Bedingungen. Erstmal nur dienstags. Es ist ein Anfang nach zwei Jahren Pandemie.
Viele Kontakte, die hatte Heinz auch vor Corona nicht mehr. Wie ihm geht es den meisten hier in der Runde. Margarete, 86, ist aus dem Weserbergland zu ihrer Tochter nach Oberhausen gezogen. Ihr Haus wird vielleicht ein Enkel übernehmen. Ab und zu fährt sie noch hin. „Die Gartenarbeit fehlt mir. Der Garten war mein Hobby“, sagt sie nachdenklich. Doch die Kraft lässt nach, die Augen wollen nicht mehr, und in der Corona-Zeit merkte sie auch, wie einsam es wurde in dem Haus. „Mein Mann und eine meiner Töchter sind gestorben“, erzählt die Seniorin. Die Enkel haben sie während der Pandemie versorgt, „aber sie haben aus Sorge die Ware an der Türe abgestellt und sind wieder gegangen. Kuscheln konnten wir ja nicht. Das fehlte so sehr“, sagt Margarete und wird still. Dezent geschminkt, schick angezogen, sitzt sie in dem gemütlichen Clubsessel und schaut zu Heinz rüber, der schon wieder ins Plaudern gerät.
„Durch Corona war uns alles weggebrochen“
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Seit November öffnet die „Gute Stube“ wieder – ab diese Woche auch donnerstags. „Durch Corona war uns alles weggebrochen. Wir durften ja nicht öffnen und als wir durften, waren die Auflagen so hoch, dass es keinen Sinn machte“, sagt Sabine Fundament, die noch Mitarbeiter für ihr Team sucht.
Sie hat 2014 die Senioren-Tagesbetreuung zusammen mit ihrem Partner Volker Engel eröffnet. Einem Demenzkranken klarzumachen, dass er sich nur in dem ihm zugeteilten Kreis im Raum bewegen darf, auf Abstand sitzen bleiben muss, „können sie vergessen. Das wollen wir auch gar nicht“, erklärt die ausgebildete Therapeutin für Demenz und Gerontologie.
„Das war so langweilig zu Hause“
Es ist eine familiäre Atmosphäre in einem ehemaligen Ladenlokal, in der die Senioren den Tag verbringen können. Die Einrichtung ist bewusst im Altdeutschen Stil gehalten. Klönen, kochen, basteln, miteinander spielen, das Gedächtnis trainieren – oder auch einfach nur zuschauen. Auch das ist erlaubt. Maria ist mit ihren 96 Jahren die Älteste im Kreis. Ihre Demenz ist fortgeschritten. Sie kam schon vor Corona in den Tagestreff und ist die Einzige, die von der alten Gruppe übrig geblieben ist. „Zwei sind leider verstorben, die anderen kamen ins Heim“, bedauert Sabine Fundament.
Viel sagt Maria nicht. Aber sie ist dabei, schaut ab und an neugierig in die Runde. Und wenn sie ein paar Minuten ein Nickerchen macht, ist das auch okay. Ihre Couchnachbarin Edith unterhält sich derweil mit Johanna, die froh ist, dass die Tochter den Flyer von Sabine Fundament im Briefkasten gefunden hat. „Das war so langweilig zu Hause“, sagt sie. Außer einkaufen und mal auf den Markt zu gehen, war nichts an Abwechslung im Corona-Alltag.
Los geht es nach dem Frühstück
„Einsamkeit ist laut Studien so schädlich, wie 16 Zigaretten am Tag“, wirft Sabine Fundament in den Gesprächskreis ein. Doch noch immer hätten viele Ältere Angst, irgendwo hinzugehen. 100.000 Flyer hat sie in Oberhausen verteilt, um auf die Wiederöffnung der „Guten Stube“ aufmerksam zu machen. Vor Corona hatte die sechs Tage die Woche geöffnet. „Bis wir da wieder hinkommen, wird es noch dauern.“
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Das Angebot richtet sich inklusive Fahrdienst an Senioren mit und ohne Demenzerkrankung, die ein bisschen „unter Leute“ wollen oder auch mal eine Begleitung zum Arzt oder Einkaufen benötigen. Abgerechnet werden kann über die Pflegekasse. Los geht es um 10 Uhr. „Eher würde ich auch nicht kommen. Ich will in Ruhe frühstücken“, sagt Johanna bestimmt.
Auch der Sozialverband VdK weist seit Jahren darauf hin, dass Einsamkeit krank machen kann. Oft sei Scham im Spiel, Einsamkeit für viele ein Tabuthema. „Niemand gibt gerne zu, dass er einsam ist“, sagt Manuela Anacker, Referentin für Sozialpolitik des VdK in NRW. Sie weiß: „Einsamkeit ist eine ernstzunehmende Erscheinung, die besonders häufig Seniorinnen und Senioren und Pflegebedürftige betrifft.“ Gefährdet seien aber auch Alleinerziehende, chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung, Arbeitslose oder Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.
„Man muss die Bereitschaft haben, sich darauf einzulassen“
Uwe ist mit 67 Jahren der Jüngste in der Runde. Erst 67? „Ja und?“, fragt er zurück. Ihm mache es nichts aus, mit älteren Senioren seinen Tag zu verbringen. „Man muss die Bereitschaft haben, sich darauf einzulassen. Es war mir ja klar, dass hier Leute sind, die älter sind als ich“, sagt er. Wichtig sei, dass man sich gut verstehe. Und das macht man.
Sabine Fundament wirft kleine, blaue Stoffbeutelchen in die Runde. „Und: Was ist da drin?“, fragt die Gedächtnistrainerin. Margarete fühlt. Überlegt. Fühlt wieder. „Ein Korken.“ Sagt sie lächelnd. „Ja, super. Und was fühlst Du, Uwe? Und sage nicht, dass mir das fehlt“, scherzt Sabine Fundament. Uwe grienst. „Eine Schraube. Haste eine locker?“. Die Runde lacht. Humor wird hier großgeschrieben. Heinz will wiederkommen. Margarete auch gerne zweimal, dienstags und donnerstags: „Endlich wieder rauskommen. Das tut gut.“