Kreis Wesel. Die Pandemie treibt immer mehr Menschen in seelische Not. Im Kreis Wesel gibt es zahlreiche Hilfsangebote - das raten die Fachleute Betroffenen.

Eine Frau gibt ihre Katzen im Tierheim ab - sie schaffe es nicht mehr in den Laden, um Futter zu kaufen. Ein junger Mann, eigentlich Nachrichten-Junkie, wirft seinen Fernseher aus dem Fenster. Überall bedroht die Pandemie nicht nur den Körper, sondern zunehmend auch die Seele der Menschen; auch solche die bislang keine psychischen Probleme hatten. Das stellen Fachleute fest. Sie raten dazu, sich Hilfe zu suchen - und bieten ein engmaschiges Netz im Kreis Wesel an.

„Es sind nicht unsere klassischen Klienten mit psychischen Erkrankungen, die jetzt vermehrt zu uns kommen. Es sind Bürger mit Arbeit und Familie, die plötzlich spüren: ‘Ich entwickele eine Depression’“, sagt Andreas Tiggelbeck, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes beim Kreis Wesel. Einsamkeit, kaum noch Kontakte oder fehlender Halt in der Familie bei Senioren sind dann die Stichworte, die fallen. „Hinzu kommt seit zwei Jahren die permanente Flut an Informationen, die die Menschen überfordert.“

Manche Menschen wagen sich kaum noch vor die Haustüre - leiden aber unter Einsamkeit, Ängsten und geraten unter seelischen Druck (Symbolfoto).
Manche Menschen wagen sich kaum noch vor die Haustüre - leiden aber unter Einsamkeit, Ängsten und geraten unter seelischen Druck (Symbolfoto). © picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Ständige negative Informationen lassen die Menschen hilflos zurück

Wie der junge Politikstudent, der die ständigen Negativmeldungen nicht mehr ertrug und sich auf drastische Art von seinem Fernseher trennte. Er gab sein Studium wegen seelischer Probleme auf, berichtet Tiggelbeck. Ein Weg könne es sein, sich die Kontrolle zurück zu holen, die Informationen zu kanalisieren und auch mal abzuschalten. Solche und andere individuelle Ansätze können sich in der Beratung ergeben.

Normalerweise berät der Sozialpsychiatrische Dienst des Kreises in Wesel, Moers und Dinslaken Menschen, die eine Diagnose haben, also in ärztlicher Behandlung sind. In den vergangenen zwei Jahren aber kamen rund 30 Prozent andere Hilfesuchende.

Auch die Beratungsangebote von Spix wurden von rund 20 Prozent mehr Menschen in Anspruch genommen als vor Corona, sagt Geschäftsführer Klaas Wagner. Der Verein bietet unter anderem ein Sozialpsychiatrisches Zentrum in Wesel (0281/163 33-17) und Xanten (02801/66 11) als Anlaufstellen an. „Die Angebote werden dankbar angenommen“, sagt er, gerade persönliche Gespräche – unter Hygienebedingungen – würden derzeit gebraucht. Phänomene wie die, dass aktuell vermehrt Tiere im Tierheim Wesel abgegeben werden, weil die Menschen seelische Probleme haben, wie Leiterin Gabi Wettläufer berichtet, zeigen ihm, dass das soziale Umfeld vieler Menschen in dieser Zeit wegbreche.

Hilfe annehmen, um aus psychischer Belastung keine Erkrankung werden zu lassen

Martina Kröber, Fachbereichsleiterin des Sozialpsychiatrischen Zentrums (SPZ) der Caritas im Edith-Stein-Haus in Dinslaken berichtet auch von diesen Erfahrungen. Zum Originalklientel kommen „normale“ Menschen. „Sie sind alleine, haben wirtschaftliche Not, sorgen sich um die Zukunft oder um die Impfung. Sie sind psychisch belastet, nicht erkrankt“, erläutert die Fachfrau. Auch sie betont, dass Hilfe jetzt wichtig ist. „Wir haben viele Ideen, wie Menschen aktiver ihr Leben gestalten können. Wichtig ist, dass bei jemandem erstmal ankommt, dass wir die Sorgen ernst nehmen - auch solche, die nicht immer nachvollziehbar sind.“

Manche und Mancher sei gefährdet, tatsächlich zu erkranken, der Gang zum Facharzt ist dann notwendig. „Das Problem sind derzeit die langen Wartezeiten.“ Um die zu überstehen, empfiehlt Kröber, sich an eine Selbsthilfe zu wenden - nicht als Ersatz für medizinische Betreuung, als Ergänzung. „Es gibt unterschiedliche Gruppen und Anlaufstellen, die wir vermitteln können“, sagt sie (Kontakt: 02064/44 93-51).

Selbsthilfe Kontaktstelle des Kreises Wesel kann die richtige Gruppe finden

Der Paritätische bietet darüber hinaus die Selbsthilfe Kontaktstelle des Kreises Wesel an, die unter anderem bei der Suche nach der richtigen Gruppe hilft. Sie berät in Moers, Wesel und Dinslaken, Termine gibt es für alle drei Orte unter 02841/90 00 16.

Neben Menschen in seelischer Not und solchen, denen eine psychische Erkrankung droht, gibt es die psychisch Erkrankten mit einer Diagnose. Das sind die meisten, die von den SPZ betreut werden. „Bei vielen verstärken sich die Symptome von Angst- und Zwangserkrankungen“, sagt Martina Kröber. Menschen mit psychotischen Erkrankungen haben häufig eine veränderte Wahrnehmung, „sie können sich in einen Wahn verrennen“. Mitunter hilft nur ein Krankenhausaufenthalt oder eine Psychotherapie. Wichtig für diese Erkrankten ist, dass sie im Hilfesystem angekommen sind.

Es gibt zahlreiche Hilfsangebote bei seelischer Not in den Kommunen. Wer darunter nach Orientierung sucht: Der Sozialpsychiatrische Dienst des Kreises Wesel berät trägerunabhängig und vermittelt passende Angebote. „Wir haben eine Lotsenfunktion, beraten kostenfrei und unverbindlich, wenn gewünscht auch anonym“, verspricht Tiggelbeck – und auch in den eigenen vier Wänden bei Hausbesuchen. Der Sozialpsychiatrische Dienst des Kreises Wesel ist linksrheinisch unter 02841/202 11 38 erreichbar, rechtsrheinisch unter 0281/207 75 26.