An Rhein und Ruhr. Wer Wifi, Klima und Barrierefreiheit will, schaut derzeit bei einigen Zügen in die Röhre: Abellio-Pleite sorgt für ein Fest für Bahn-Nostalgiker.

Es ist kalt im Abteil, die Heizung funktioniert nicht, eine der beiden Toiletten im Waggon ist defekt und von den vier Türen lässt sich auch nur eine benutzen. Dafür sitzt man weich und es ist angenehm ruhig. Und sollte es je zu warm werden, womit im Februar nicht zu rechnen ist, vor allem nicht mit dem dicken Handgriff zur Heizungsregelung unter dem Aschenbecher, könnten Fahrgäste das Fenster aufreißen und den Kopf in den Fahrtwind stecken im Regionalexpress von Kassel nach Essen.

Ein Regionalexpress, der aus alten slowakischen Liegewagen besteht, die hier noch einmal Wiederauferstehung feiern. Den Mitreisenden gefällt es – größtenteils: Viele nutzen die Ruhe im Abteil, machen sich über die gepolsterte Sitzbank bequem, klappen die Armlehnen hoch und machen ein Nickerchen. Die Abstände zwischen den Haltestellen sind lang.

Das geht nur in historischen Zügen: Kopf aus dem Fenster, Fahrtwind genießen - und den Blick aufs Bahnviadukt Altenbeken.
Das geht nur in historischen Zügen: Kopf aus dem Fenster, Fahrtwind genießen - und den Blick aufs Bahnviadukt Altenbeken. © Herm

Wer nicht gerade W-Lan oder Steckdosen braucht, kann die Fahrt genießen. Viele mögen das Reisegefühl aus der Kindheit, als man noch im Abteil saß und im Glücksfall seine Ruhe hatte. Zugegeben, die oft filzigen Vorhänge gibt es hier mittlerweile auch nicht mehr. Dafür vorne, im ersten Waggon, macht eine meterbreite Schiebetüre das Verladen von Fahrrädern möglich. Selbst für Skier wären Stauvorrichtungen vorhanden. Ein Service, der zugegebenermaßen in diesem Winter hier kaum benötigt wird.

Für Bahnnostalgiker – Frauen sind bei dieser Spezies quasi nicht vorhanden – sind die Einsätze der alten Züge ein Fest: Immer wieder stehen sie am Rande der Strecke, die Kameras gezückt. Und dies nicht nur beim RE 11, der zwischen Essen und Kassel pendelt, auch auf der Strecke Essen-Hagen und bei einigen Zügen zwischen Düsseldorf und Emmerich rollen hochbetagte Waggons durchs Land.

Fremdfirmen schicken ihren Fuhrpark

Möglich macht es das Abellio-Ende: Weil beim schnellen Not-Wechsel zu DBRegio, Nationalexpress und Vias-Rail nicht alle Züge und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sofort startklar sind, rollen vertretungsweise Fremdfirmen mit ihrem Fuhrpark durchs Land. Schnell genug sind die Züge: Die Lokomotiven, die die vier Waggons da an den Haken nehmen, sind zumindest auf zwei der drei Linien hochmodern. Taurus-Leihlokomotiven bieten sogar was fürs Ohr: Wenn sie anfahren, summen ihre Motoren die Tonleiter in D-Dur über zwei aufsteigende Oktaven, etwa im Klang eines Tenorsaxophons.

Fanfarenstöße dürfen die engagierten Bahner, denen der Stolz auf ihren alten, aber gepflegten Fuhrpark anzusehen ist, seltener erwarten: Barrierefreiheit früher halt kein Thema, also man noch in Züge stieg. Aber es gibt ein paar Extras: Während in den slowakischen Liegewagen einige Abteile per Aufkleber zum Erster-Klasse-Abteil geadelt werden, ist in den „DB-Gebrauchtzügen“, die ebenfalls auf der Linie rollen, die klassenlose Gesellschaft eingeführt worden: „In den alten Möhrchen dürfen Sie sitzen, wo Sie wollen“, erklärt da die Schaffnerin.

Einmal bunte Tüte, bitte: Neue Lok, alte Waggons in vielen Farben, so rollt derzeit der RE11 durchs Land. Bahnnostalgie statt RRX-Komfort.
Einmal bunte Tüte, bitte: Neue Lok, alte Waggons in vielen Farben, so rollt derzeit der RE11 durchs Land. Bahnnostalgie statt RRX-Komfort. © Herm

Insgesamt vier Züge sind auf der Linie unterwegs: zwei mit den slowakischen Waggons und zwei mit je zwei Doppelstockwagen, Bauart Halberstadt (ja, die sind noch im Reichsbahnausbesserungswerk der DDR entstanden). Da darf man also zum gleichen Preis im fetten Polstersessel mit Holzarmlehnen im Oberdeck erster Klasse durchs Revier fahren. Sogar im Sandwich: So nennt es der Bahner, wenn vorn und hinten jeweils eine Lokomotive hängt.

In diesem Fall sind es auch die Lokomotiven, die die Bahnfans begeistern: Die ehemaligen Schnellzug-loks der Reihe 111 sind rüstige Rentner, haben knapp 50 Laufjahre auf den Drehgestellen. Für Tempo 160 reicht es immer noch – und damit auch, um den Fahrplan einzuhalten. Noch. Ende Februar sollen auf allen Linien wieder die gewohnten, modernen Züge rollen.

Wer dann Nostalgiezug fahren will, muss auf die Fußballbundesliga setzen: Bei Fanzügen kommt auch öfter historisches Material zum Einsatz. Das ist aber nicht der Grund, warum der Zug am Dortmunder Stadion vorbeirollt: Das liegt an einer Baustelle im Dortmunder Bahnhof. Ein Defekt am Schienenweg ist es an diesem Tag, der den alten Zug für eine Viertelstunde ausbremst. Sonst rollt er – zur Freude der Bahnfans, fast pannenfrei.

Hier fahren derzeit die alten Bahnen:

Auf der Linie RE19 sind die Nostalgiezüge noch bis Freitag im Einsatz, es handelt sich um drei Fahrten morgens um 5.52, 6.23 und 6.52 ab Emmerich und um 16.30, 17.02 und 17.30 Uhr ab Düsseldorf. Danach sollen die Züge bis 26.2 für den vorzeitigen Neustart der Linie RB 46 zwischen Bochum und Gelsenkirchen sorgen.

Auf der Linie RE11 ist der Einsatz bis 27. Februar geplant, etwa im Zweistundentakt ab Essen Richtung Kassel um 6.13, 8.13 und so weiter. Rückkehr aus Kassel um 7.45, 9.45 etc. Stündlich fährt zudem ein alter Zug bis zum 27.Monatsende auf der RB40 zwischen Essen und Hagen mit alten umgebauten Waggons – bis zum 27.2.