Kreis Kleve/Düsseldorf. Am Niederrhein sind Leiharbeiter-Sammelunterkünfte von deutschen und niederländischen Ordnungskräften durchsucht worden. Was sie dort fanden.

Der moderige Geruch bahnt sich trotz Maske und Durchzug seinen Weg in die Nase. Die Treppe mit dem spinnwebenverhangenen Holzgeländer führt zu einer Türöffnung, die mit einer Spanplatte zur Hälfte halb verbarrikadiert worden ist. Eine Tür gibt es nicht, Privatsphäre sowieso nicht. Im Aufenthaltsraum rechts lehnen Fahrräder an den schmutzbefleckten Wänden, ein Wäscheständer ist eingenickt, so dass die Pullover den Boden berühren. Die orangene zur Gardine umfunktionierte Tischdecke ist im Fenster eingeklemmt, sie flattert im eisigen Wind. In der zweiten Etage nickt uns ein junger Mann mit wenigen Haaren zu. Neben ihm steht seine Freundin. Sie wohnt seit acht Monaten hier in dieser Unterkunft in Geldern im Kreis Kleve. „Alles ok, alles gut“, sagt ihr Freund auf Deutsch. Nein, hier ist so vieles nicht gut.

In diesem Haus leben an die 40 Frauen und Männer, dabei seien nur 29 hier gemeldet. „Einige Räume sind überbelegt“, sagt der Ordnungsamtsleiter der Stadt Geldern, Johannes Dercks. Allerdings fanden die Ordnungskräfte nur rund 20 Personen vor, zwei Trupps waren beim Discounter einkaufen.

Transport und Wohnen vom Lohn abgezogen

Die Menschen sind aus Rumänien hergekommen, angeworben von einer Zeitarbeitsfirma, um in der Fleischindustrie in den Niederlanden zu arbeiten. Mit weißen Kleintransportern mit gelben Nummernschildern fahren sie in den Kreis Kleve, wo sie in solchen Unterkünften wie in Geldern hausen. Dafür und für den Transport wird ihnen Geld vom Lohn abgezogen.

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach macht sich ein Bild von der Aktion vor Ort im Kreis Kleve.
NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach macht sich ein Bild von der Aktion vor Ort im Kreis Kleve. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Und nicht zu knapp: Von rund 600 Euro Netto-Lohn wird die Hälfte für die Unterkunft einbehalten. Gelderns Bürgermeister Sven Kaiser (CDU) schüttelt den Kopf. „Wenn sich zwei zusammentun haben sie 700 Euro. Dafür bekommt man fast eine normale Unterkunft“, sagt er. Denn normal geht es in diesem Haus nicht zu.

Unterwäsche auf dem Kühlschrank

14 Frauen und Männer teilen sich ein Bad, eine Toilette, die Tür schließt schon lange nicht mehr richtig. Nebenan befindet sich eine kahle Gemeinschaftsküche, auf dem Kühlschrank im Raum nebenan liegt benutzte Unterwäsche, daneben steht der Herd, ein alter Teppich lehnt zusammengerollt in der Ecke neben der Arbeitsplatte an der Wand.

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In den Niederlanden ist der Abzug für die Wohnung gedeckelt, maximal 25 Prozent des Lohnes dürfen für die Unterkunft einbehalten werden, wie Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) erklärt. Auch sie war Samstag vor Ort, um sich ein Bild von der ersten Razzia dieser Art nach Inkrafttretens des Wohnraumstärkungsgesetzes im Juli 2021 zu machen.

So scheint es hier in Geldern Anhaltspunkte dafür zu geben, dass es sich nicht um eine Unterkunft, sondern um einen Beherbungsbetrieb handelt. Der ist zum einen so nicht genehmigt, zum anderen gelten dafür schärfere Regeln, vor allem beim Brandschutz, meint Gelderns Bürgermeister Sven Kaiser.

Bis zu 500.000 Euro Strafe

Würden die Mängel nicht unverzüglich beseitigt, muss das Haus im Zweifel leergezogen werden. Selbst ein Abriss durch den Eigentümer ist nicht ausgeschlossen. Das Wohnungsbaustärkungsgesetz gibt Kommunen zudem die Möglichkeit, Ordnungsgelder in Höhe von bis zu 500.000 Euro zu erheben.

Doch die Mängelliste nach der Razzia war noch länger. Neben Brandschutzmängeln stellten die Ordnungskräfte Meldeversäumnisse fest. Sie fanden einen verwahrlosten Hund und in einer Wohnung Schädlingsbefall mit toten Mäusen und Ungeziefer. Die Wohnung musste Dercks wegen das penetranten Geruchs aufbrechen lassen.

Ordnungsamt bricht die Wohnung auf

In der Garage, in der die Mülltonnen stehen, liegt ein Stück – vermutlich – von einem Schwein auf dem Boden. „Das ist modernes Sklaventum im 21. Jahrhundert“, sagt der Ordnungsamtsleiter über die Zustände, die Leiharbeitsfirmen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zumuten.

Ein Backofen und ein Kühlschrank stehen vor der Sammelunterkunft in Geldern
Ein Backofen und ein Kühlschrank stehen vor der Sammelunterkunft in Geldern © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Wochenlang hatte er diesen Einsatz am Zitterhuck gemeinsam mit der Kreis- und Bundespolizei, der Feuerwehr, der Bezirksregierung, dem Gesundheitsamt und den niederländischen Arbeitskontrolleuren der Inspectie SZW vorbereiten lassen. Zuvor hat es auch von der niederländischen Polizei Hinweise gegeben, dass in diesen Unterkünften etwas im Argen liegt.

Der Reeder-Paragraf als Vorbild

Bauministerin Ina Scharrenbach ist zwar froh über das neue Gesetz, sieht es allerdings auch nur als Lückenschluss. Sie hätte sich eine Änderung im Meldegesetz gewünscht, doch eine entsprechende Reform des Bundesgesetzes sei nicht durchgekommen, erläuterte sie am Samstag in Geldern. Ihr Anliegen: Die Unternehmen sollen verpflichtet werden, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu melden. Als Vorbild konnte der Reeder-Paragrafen dienen, so Scharrenbach. Dort heißt es: „Der Reeder eines Seeschiffes, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, hat den Kapitän und die Besatzungsmitglieder des Schiffes bei Beginn des Anstellungs-, Heuer- oder Ausbildungsverhältnisses anzumelden.“

Diese erste Razzia in einer Sammelunterkunft für Leiharbeitnehmer in der Fleischindustrie und die Zusammenarbeit mit den niederländischen Ordnungsbehörden soll ein abschreckendes Beispiel sein. „Das ist eins dieser Häuser, die man in NRW nicht braucht“, sagt sie.