An Rhein und Ruhr. Wie Corona Kinder verändert hat, weiß Deeskalationstrainer Klaus Wagner aus dem Alltag einer Duisburger Grundschule. Er gibt einen Einblick.

„Die Kinder sind die großen Verlierer der Pandemie.“ Ein vielzitierter Satz der vergangenen Monate. Grundschulleiterin Uta Gottschalk und Deeskalationstrainer Klaus Wagner unterstreichen ihn sofort. Vor allem Kinder aus bildungsfernen Familien seien in den zwei Corona-Jahren auf der Strecke geblieben. „Die Kinder haben nicht nur große Wissenslücken. Sie haben auch viele soziale Kontakte und Fähigkeiten verloren“, weiß Uta Gottschalk aus ihrem Alltag an der Gemeinschaftsgrundschule in Duisburg-Bruckhausen. Kinder seien diejenigen, „die die fehlenden sozialen Kontakte am schlechtesten kompensieren können.“

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Klaus Wagner berichtet von seiner Arbeit im Kinderheim. Ein sechsjähriges Mädchen konnte nur sehr stockend und unsicher lesen. In einer intensiven Betreuung von acht Wochen hat es flüssig und sicher lesen gelernt - vor Corona. Dann kamen Lockdown 1 und 2, Homeschooling. „Und jetzt nach zwei Jahren, liest das Mädchen wieder stockend.

„Viele Kinder können keine Gefühle mehr zeigen“

Einmal in der Woche arbeitet Wagner seit Jahren in einem vom Kinderschutzbund Duisburg finanzierten Projekt „Respekt für Dich und Mich“ mit Dritt- und Viertklässlern an der Grundschule im Duisburger Norden gewaltpräventiv. Coronabedingt fiel viel Präsenzunterricht aus, Quarantänefälle unterbrechen weiterhin einen regelmäßigen Unterricht. Die Folgen: „Viele Kinder können keine Gefühle mehr zeigen, sich nicht mehr auf andere Kinder einlassen. Ich war entsetzt, wie wenig Empathie noch vorhanden ist“, sagt Klaus Wagner.

Zuhören – für viele Kinder ist das nach zwei Jahren Corona nicht mehr so einfach. Deeskalationstrainer Klaus Wagner arbeitet mit den Grundschülern an der Gemeinschaftsgrundschule in Duisburg-Bruckhausen.
Zuhören – für viele Kinder ist das nach zwei Jahren Corona nicht mehr so einfach. Deeskalationstrainer Klaus Wagner arbeitet mit den Grundschülern an der Gemeinschaftsgrundschule in Duisburg-Bruckhausen. © FFS | Foto: Lars Heidrich

Das Deeskalationstraining

vermittelt begleitend zum Unterricht Verhaltensalternativen zur Gewalt und arbeitet mit den Kindern zu Themen wie Respekt, Stärkung des Selbstbewusstseins, Erkennen eigener Grenzen, Teambildung und Stärkung der Klassengemeinschaft. Schulleiterin Uta Gottschalk ist dem Kinderschutzbund dankbar für die Unterstützung. Über 250 Schüler, 95 Prozent von ihnen mit Zuwanderungsgeschichte, unterschiedliche Sprachkenntnisse: Probleme im Miteinander sind dann viel schwieriger zu lösen.

„Kinder sprechen nicht mehr soviel“

Schon vor Corona gab es Konflikte. Viele der Kinder, die an dem Deeskalationstraining teilgenommen haben, „konnten einen nicht anschauen“, erzählt Klaus Wagner. Konflikte wurden aber verbal ausgetragen. Nach zwei Jahren Pandemie „sprechen Kinder nicht mehr soviel. Sie haben durch die Maske Gestik und Mimik zu deuten verlernt.“ Es sei zu beobachten, dass viele Schüler konfliktanfälliger geworden sind, schneller in körperliche Auseinandersetzungen gingen. „Es ist keine massive Gewalt im Spiel, aber der Umgang ist aggressiver geworden“, berichtet Klaus Wagner.

Ein normaler Unterricht sei derzeit nicht möglich. Seit zwölf Jahren ist Uta Gottschalk Schulleiterin, die vergangenen zwei Jahren waren sicher die schwierigsten. Die Pandemie hat die meisten Kinder an ihrer Schule weit zurückgeworfen. Onlineunterricht war kaum möglich, weil die Schüler die Voraussetzungen daheim nicht hatten. „Wir haben viele Unterrichtsmaterialien in Papierform nach Hause geschickt, doch leider wurde in vielen Familien zu wenig gemacht“, blickt Uta Gottschalk auf den Schulalltag im Lockdown.

Hohe Dunkelziffer an Gewalt

Aufs Neue müsste nun im Präsenzunterricht Regelverhalten eingeübt werden, „am härtesten hat es die jetzigen Drittklässler getroffen, ihnen fehlt die schulische Alltagsroutine. Sie wissen gar nicht, wie schön Schule sein kann“, sagt Uta Gottschalk. Die Kinder erfahren keinen normalen Schulalltag mehr. „Viele haben auch Angst wenn sie in der Klasse positiv getestet werden und dann nach Hause geschickt werden. Sie haben Sorge, die Oma nicht sehen zu können“, beschreibt Uta Gottschalk die Gefühlswelt der Jungen und Mädchen. Daheim erlebten viele von ihnen in beengten Wohnverhältnissen patriarchale Strukturen, auch Gewalt. „Die Dunkelziffer ist hoch“, sind Klaus Wagner und Uta Gottschalk überzeugt. Auch bei vielen Eltern liegen die Nerven blank.

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Ohne das Engagement der Lehrer würde die Situation für viele Schüler noch schlimmer sein, sagt Klaus Wagner: „Was in der Pandemie an Grundschulen geleistet wird, kostet Kraft und viel Energie“, lobt er den Einsatz der Lehrer.

Die Wissenslücken sind groß

Die Kinder seien „lernwillig, geben sich Mühe, versuchen mitzumachen und kommen gerne zur Schule“, sagt Uta Gottschalk. Der persönliche Kontakt zu den Lehrern als Bezugspersonen fehlte vielen sehr. „Es wäre gut, wenn die Grundschüler noch einmal starten, ein, zwei Jahre ihre Grundschulzeit verlängern könnten“, sagt Uta Gottschalk. Die Wissenslücken seien groß. Sicher nicht bei allen Kindern, aber bei vielen. Viele Eltern waren überfordert, ihren Kindern bei den Schulaufgaben zu helfen.

Die Rektorin ist froh, dass Klaus Wagner das Deeskalationstraining an ihrer Schule macht. „Wir brauchen viel mehr Raum für andere Dinge als nur den Unterricht und nicht unbedingt nur Lehrer, um die Kinder zurückzuholen. Allein nur den Lehrplan einzuhalten, das ist es nicht, was die Kinder zurzeit brauchen“, sagt sie. Ihnen nütze es auch nicht, wenn von vielen Seiten die Probleme nicht gesehen oder schöngeredet werden. Den Kindern helfe nur, „wenn wir die Probleme mit offenen Augen angehen.“