An Rhein und Ruhr. Wer ohne Auto auf dem Land am Niederrhein lebt, ist auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Wie schwierig das ist, weiß Nadja Büter genau.
Obwohl ihr Bus planmäßig erst in 40 Minuten kommen soll, wartet Nadja Büter bereits unter dem hölzernen Haltestellenhäuschen in der Ortsmitte des Weseler Stadtteils Bislich. Mit der Buslinie 84 soll es Richtung Innenstadt gehen. Weil der Bus nur einmal die Stunde kommt und auch gerne mal einige Minuten zu früh an der Haltestelle ankommt, geht Büter ganz auf Nummer sicher. „Es ist schon vorgekommen, dass der Bus mir vor der Nase weggefahren ist, obwohl er laut Plan eigentlich noch nicht da sein sollte.“
„Die Leute haben keine andere Möglichkeit, als mit dem Auto zu fahren“
Weil sie keinen Führerschein hat, ist sie auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Und weil es in dem beschaulichen Bislich auch keinen Einkaufsladen gibt, muss sie neben dem Weg zur Arbeit auch für den Lebensmittelkauf mit dem Bus fahren. Fällt ein Bus aus, wird die Fahrt zum Supermarkt mal eben zum Tagesausflug. „Wenn der Bus hier ausfällt, steh ich hier auch mal zwei Stunden an der Haltestelle. Bis ich dann wieder zuhause bin, können dann auch mal fünf, sechs Stunden vergehen.“
Und weil die Buslinie 84 werktags nur stündlich in Bislich hält, samstags nur bis in den Nachmittag und sonntags überhaupt nicht verkehrt, kann Büter jeden verstehen, der weiterhin auf den privaten Pkw setzt: „Die Leute haben hier keine andere Möglichkeit, als mit dem Auto zu fahren. Wenn ich zum Beispiel zu Freunden nach Rees oder Isselburg will, muss ich in den meisten Fällen erstmal zum Weseler Bahnhof. Dann ist man knapp 90 Minuten unterwegs. Mit dem Auto braucht man aber nur 25 Minuten.“
Dichtere Taktung muss von den Kreisen vorgegeben werden
Deswegen wünscht sie sich, das die Niederrheinischen Verkehrsbetriebe (Niag) eine dichtere Taktung in ländlichen Regionen in den Kreisen Wesel und Kleve anstrebt. Die Niag spielt den Ball aber an die Politik weiter. Eine dichtere Taktung sei zwar prinzipiell denkbar, den Auftrag müssen aber die Landkreise stellen, teilt das Verkehrsunternehmen mit: „Entscheidend sind hier die Vorgaben der Aufgabenträger im ÖPNV, also besonders der Kreise. Sie entscheiden, wann, wo und wie viele Angebote im ÖPNV zur Verfügung stehen. Als Dienstleister setzen wir diese Vorgaben dann um.“
Der Kreis Wesel plant für das laufende Jahr bereits erste Maßnahmen. So sollen Schnellbuslinien im VRR-Gebiet eingeführt werden. „Ziel ist es, attraktive Verbindungen im einheitlichen 60-Minuten-Takt, auch am Wochenende, anzubieten und eine konsequente Verknüpfung mit dem schienengebundenen Personennahverkehr (SPNV) und dem regionalen ÖPNV in den Kreisen Wesel, Kleve und Recklinghausen sicherzustellen.“
Um die Menschen in der Region von umweltfeindlichen Autos hin zu alternativen Verkehrsmitteln zu locken, werden alle zentralen Haltestellen in den 13 kreisangehörigen Kommunen zu Mobilstationen umgebaut. „Die Mobilstationen sollen verschiedene Verkehrsmittel besser miteinander verknüpfen und so den Umstieg erleichtern. Sie dienen nicht nur der Verknüpfung von Bus- und Bahnlinien untereinander, sondern verknüpfen den öffentlichen Personennahverkehr mit Fahrrad, Taxi und Kfz und dem Fußverkehr“, teilte der Kreis auf Nachfrage mit.
Niag und Kreise setzen in Zukunft auf „alternative Antriebstechniken“
Auch im Kreis Kleve will man die Verkehrswende nun weiter vorantreiben, sieht sich dabei dennoch vor große Aufgaben gestellt. Zwar sei der ÖPNV im Vergleich zu motorisiertem Verkehr jedes Einzelnen klimafreundlich und damit ein wichtiger Baustein im Klimaschutz. Die Etablierung innovativer Projekte für emissionsarme Fortbewegung gestalte sich in Flächenkreisen jedoch schwieriger als im städtischen Raum, teilte der Landkreis mit. Deswegen hat die Kreisverwaltung auch einen Arbeitskreis Mobilität unter Beteiligung aller 16 Kommunen etabliert.
Die Zielsetzung ist dabei durchaus ambitioniert: Kosteneffizient, umwelt- und sozialverträglich soll die Verkehrswende sein. Eine Umstellung auf alternative Antriebstechniken samt Infrastruktur soll ebenfalls folgen. Die Niag kündigt deshalb an, auf umweltfreundlichere Antriebe zu setzen: „Kurz- und mittelfristig halten wir den Einsatz von E-Bussen für sinnvoll. Perspektivisch werden auch mit Wasserstoff betriebene Busse auf unseren Straßen unterwegs sein, wenn die technologische Entwicklung weiter positiv verläuft, die Preise marktgängig sind und es genügend passende Tankstellen in unserer Region gibt.“
Ein weiteres beliebtes Konzept bei den Landkreisen ist der Ausbau des On-Demand-Verkehrs, also das Verkehrsmittel auf Abruf. Sammeltaxis oder Ruf-, und Bürgerbusse sollen noch mehr ins Verkehrsnetz eingebunden werden. Vor allem Bürgerbusse werden dabei von den Landkreisen gefördert und dabei auch gut genutzt, wie Franz Heckens von der Initiative Pro Bürgerbus NRW verrät: „Die meisten unserer Busse sind mit acht Passagieren immer komplett voll. Auch wir fahren nur stündlich, aber die Nachfrage ist auch nicht so groß, dass sich eine dichtere Taktung lohnt. Vor allem weil unsere Fahrer alle ehrenamtlich arbeiten“, so der Vorsitzende der Bürgerbus-Initiative.
Kreis Wesel: 50 Millionen Euro für den Radwegeausbau
Um nicht von der Buslinie 84 abhängig zu sein, könnte Büter auch mit dem Fahrrad zur Arbeit, oder in Stadt fahren. Vor allem in den kalten, dunklen Monaten wirkt die schlecht beleuchtete Mühlenfelder Straße, die aus Bislich rausführt, aber eher abschreckend. „Im Winter ist es schon gefährlicher, mit dem Rad aus Bislich rauszufahren. Es gibt ja nicht mal eine Fahrradspur.“
Der Kreis Wesel will deshalb viel Geld in die Hand nehmen: „Weitere Bausteine der Verkehrswende im Kreis Wesel sind der Ausbau der Fahrradinfrastruktur und die bessere Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsmittel. Durch die Umsetzung des Ende 2021 vom Kreistag beschlossenen Straßen- und Radwegebauprogramms werden in den kommenden zehn Jahren etwa 50 Mio. Euro in Rad- und Gehwege entlang der Kreisstraßen investiert.“
Zwar lebt sie schon seit 15 Jahre in Bislich, weil die Verkehrswende jedoch noch auf sich warten lässt, überlegt Büter, vom Land wegzuziehen. „Ich habe mir auch schon ein paar Wohnungsanzeigen in Dinslaken angeguckt, die Mieten sind aber deutlich teurer als hier. Aber das ist ein anderes Thema. Immerhin ist man dort aber wesentlich besser an die öffentlichen Verkehrsmittel angebunden. Außerdem ist vieles auch fußläufig zu erreichen, da ist man dann nicht auf den Bus oder ein Auto angewiesen.“