An Rhein und Ruhr. Der Bedarf an Corona-Impfungen wächst in NRW von Woche zu Woche. Während Ärzte über Lieferengpässe klagen, rüsten die Kommunen immer weiter auf.

Es ist überall das gleiche Bild: In ganz NRW strömen die Menschen Richtung Impfstationen. Vor der AOK-Zentrale in Essen bildete sich in der vergangenen Woche eine mehrere hundert Meter lange Schlange. In Hamminkeln waren bei einer Impfaktion schon vor dem Start alle Termine ausgebucht. Kommunen und Ärzte rüsten auf. „Ein großer Kraftakt, der allen Beteiligten eine Menge abverlangt“, schreibt das NRW-Gesundheitsministerium (Mags). Aber wieso steigt die Nachfrage so plötzlich an? Und kann der Andrang ohne Impfzentren überhaupt bewältigt werden?

Wer lässt sich aktuell impfen?

Ein Blick auf die Impfzahlen verdeutlicht: Für die steigende Nachfrage vor den Impfstationen und mobilen Angeboten sind in erster Linie die Booster-Impfungen verantwortlich. Ihre Anzahl hat sich allein in den vergangenen vier Wochen fast verfünffacht. 83,3 Prozent aller verabreichten Dosen gehen derzeit in NRW auf das Konto der Auffrischungsimpfungen. Zum Vergleich: Anfang Oktober, als die Ständige Impfkommission noch keine Booster-Impfempfehlung für Ü70-Jährige und bestimmte Berufsgruppen ausgesprochen hatte, gab es mehr Erst- als Drittimpfungen.

Steigen auch die Erstimpfungen?

Ja, wenn auch in deutlich kleinerem Maße als die Booster-Impfungen. Allein seit der Ankündigung von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst vom 16. November, Ungeimpfte von vielen Bereichen des öffentlichen Lebens auszuschließen, ist die Zahl der wöchentlichen Erstimpfungen von rund 45.000 auf aktuell knapp 85.000 gestiegen – ein Plus von 88,9 Prozent. „Mit Blick auf die Zweitimpfungen ist davon auszugehen, dass diese entsprechend nachziehen werden“, so das Mags.

In Essen machen die Auffrischungen rund zwei Drittel der städtischen Impfungen aus. „In den vergangenen Tagen hat es aber auch wieder vermehrt Erstimpfungen gegeben“, sagt Stadtsprecherin Silke Lenz. „Das hat sicher mit der Einführung der 2G-Regelung im Freizeitbereich sowie der 3G-Regelung am Arbeitsplatz zu tun.“ Auch Duisburg, Düsseldorf und der Kreis Wesel berichten von einem Anstieg der Erstimpfungen. In Düsseldorf hat sich die Zahl laut Stadtangaben seit Mitte November sogar mehr als vervierfacht.

Gibt es ausreichend Impfstoff?

„Es ist grundsätzlich ausreichend Impfstoff vorhanden“, so das Mags. „Aktuell kommt es jedoch aufgrund der momentan immensen Nachfragen nach Impfungen zu Schwierigkeiten bezüglich der Impfstoffbereitstellung durch den Bund.“ Für die Ärzte bedeutet das: Sie erhalten weniger Dosen, als sie bestellt haben – und müssen teilweise bereits vereinbarte Termine unverschuldet wieder absagen. „Da ist langsam das Maß auch voll“, kritisiert Monika Baaken, Sprecherin des Hausärzteverbands Nordrhein. „Die Logistik ist weiterhin eine Katastrophe.“

Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) berichtet von „zahlreichen Hilferufen von Praxen im Rheinland“. Es gebe massive Lieferengpässe. Auch die vom Bund verkündete Deckelung der Biontech-Lieferungen an die Ärzte erschwere den Praxisteams die Arbeit. „Es ist die Politik, die hier ihre Hausaufgaben nicht macht und den Fortschritt beim Impfen bremst“, so der Vorstandsvorsitzende Dr. Frank Bergmann. Der Erfolg der gesamten Impfkampagne stehe auf dem Spiel.

Wie viele Ärzte impfen mit?

In NRW führen aktuell nach Angaben des Mags rund 8.000 Arztpraxen Corona-Impfungen durch. Allein in der vergangenen Woche seien 1.000 hinzugekommen. „Im Bereich Nordrhein beteiligen sich rund 85 bis 90 Prozent der Hausärzte an der Impfkampagne“, sagt Baaken. Die Praxen würden laut KVNO-Sprecher Christopher Schneider „impfen, was das Zeug hält“, einige sogar an den Adventswochenenden. „Insofern sind Vorwürfe, die Praxen würden die Impfkampagne bremsen, in keinster Weise nachvollziehbar.“

Die Ärzte seien für Bürgerinnen und Bürger weiterhin die „erste Anlaufstelle“, so Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetages NRW. „Allerdings zeigt sich schon, dass diese Kapazitäten nicht ausreichen.“ Um die große Zahl der Impfungen zu stemmen, hält der Kreis Wesel deshalb die Einbeziehung der Apotheker in das Impfgeschehen für sinnvoll. Eine ähnliche Forderung kommt aus Essen: „Auch Zahnarztpraxen sollte das Impfen ermöglicht werden“, sagt Sprecherin Lenz. Zudem müssten Betriebsärzte stärker eingebunden werden.

Braucht es wieder Impfzentren?

„Es ist nicht entscheidend, ob die Kreise ein großes Impfzentrum, mehrere Impfstellen oder mobile Impfteams eingerichtet haben“, schreibt das Mags. „Entscheidend sind niedrigschwellige, erreichbare und passgenaue Lösungen vor Ort.“ Der Städtetag NRW fordert eine Verstärkung der kommunalen Angebote. In vielen Städten hätten feste Impfstellen bereits aufgemacht, auch einzelne Impfzentren seien wieder im Aufbau. „Was wir für all unsere Angebote aber brauchen, ist ausreichendes Personal“, fordert Dedy. „Das Land muss für die Bereitstellung des Impfpersonals sorgen und alle Kosten tragen.“

Wie rüsten die Kommunen auf?

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Die Stadt Duisburg hat vor anderthalb Wochen drei zusätzliche stationäre Impfstellen errichtet und ihr Angebot am Hauptbahnhof ausgeweitet. Die vier Impfstationen seien „von der Kapazität vergleichbar mit dem früheren Impfzentrum im Theater am Marientor“, so Böttner. Auch aus dem angrenzenden Kreis Wesel waren Bürger in den vergangenen Tagen zum Duisburger Hauptbahnhof gefahren, um sich impfen zu lassen. Dort hat die Kreisverwaltung nun auf die rasant steigende Nachfrage reagiert und die Errichtung eines neuen Impfzentrums am Moerser Gesundheitsamt bekanntgegeben.

„Wir arbeiten unter Hochdruck daran, das Impfangebot auszuweiten, haben die Öffnungszeiten der Impfstellen verlängert und stellen ab dem 6. Dezember auf einen Sieben-Tage-Betrieb um“, so Wesels Kreissprecherin Anja Schulte. Zudem setzt der Kreis Wesel bei Booster-Impfungen auf ein Terminbuchungsverfahren, um lange Warteschlangen zu vermeiden. In Düsseldorf hat die Stadt in der vergangenen Woche das „Impfzentrum 2.0“ eröffnet – eine zentrale Impfstelle am Düsseldorfer Hauptbahnhof mit zwölf Impfstraßen.