An Rhein und Ruhr. In jeder zweiten Kommune in NRW kommt es laut einer NRZ-Stichprobe bei der Kontaktnachverfolgung zu Verzögerungen. Die Lage am Niederrhein.

Die Zahl der Neuinfektionen ist in NRW auf einem Rekordhoch. Pro Tag infizieren sich durchschnittlich 5408 Personen mit Corona. Nie zuvor hatten es die Gesundheitsämter während der Pandemie mit so vielen Infektionsfällen zu tun – und es werden täglich mehr. Die Folge: Immer mehr Kommunen in NRW stoßen an ihre Belastungsgrenze. Eine stichprobenartige NRZ-Umfrage in sechs Städten und Kreisen zeigt: In jedem zweiten Gesundheitsamt kommt es bei der Kontaktnachverfolgung bereits zu Verzögerungen.

„Grundsätzlich bekommt jeder gemeldete Indexfall innerhalb von zwei Tagen ein Informationsschreiben mit allen relevanten Hinweisen und Maßnahmen per Post“, so Wesels Kreissprecherin Anja Schulte. „Eine persönliche Ansprache der Infizierten ist aufgrund der Infektionswucht aber nicht mehr tagesscharf möglich.“ Auch im Kreis Kleve sei es laut Sprecherin Ruth Keuken „in vielen Fällen“ nicht umsetzbar, die Betroffenen noch am selben Tag telefonisch zu informieren. Ähnlich ist die Situation in Essen: „Durch die steigenden Fallzahlen kann es zu Verzögerungen kommen“, schreibt Sprecherin Jasmin Trilling.

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Von Matthias Korfmann und Dennis Freikamp

In Mülheim, Duisburg und Düsseldorf könne eine lückenlose und tagesaktuelle Kontaktnachverfolgung nach Angaben der Stadtverwaltungen zwar aktuell noch gewährleistet werden. Das Mülheimer Gesundheitsamt arbeite aber bereits an einem Strategiewechsel. Falls sich die Pandemie weiter verschärfe, werde die Kontaktaufnahme künftig auf Infizierte reduziert „und der Fokus auf Kontaktpersonen mit Bezug zu vulnerablen Gruppen gelegt“, erklärt Sprecher Volker Wiebels. Dadurch würde ein Teil der Kontaktpersonen und möglichen Ansteckungen nicht mehr nachverfolgt werden.

Kontaktnachverfolgung: RKI empfiehlt Priorisierung von vulnerablen Gruppen

Die Strategie ist nicht völlig neu: Das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt bereits seit dem 9. September, Ausbrüche in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen oder sogenannte „Superspreading“-Veranstaltungen priorisiert zu behandeln. Zudem müsse beachtet werden, wie viele der Kontaktpersonen vollständig geimpft waren, wie anfällig die Betroffenen für einen schweren Verlauf sind und wo es zu einer möglichen Übertragung kam. Ein längerer Kontakt innerhalb eines Gebäudes sei „mit wesentlich höherem Risiko verbunden als in Außenbereichen“, so das RKI.

„Einzelinfektionen stehen aus infektionsepidemiologischer Sicht aufgrund der relativ hohen Impfquote im Kreis Wesel nicht mehr im Fokus der Präventionsmaßnahmen“, schreibt Kreissprecherin Schulte. Auch im Kreis Kleve würden Ausbruchgeschehen in vulnerablen Gruppen nach Kreisangaben vorrangig abgearbeitet werden. Die Städte Düsseldorf und Essen setzen hingegen gesonderte Teams ein, die sich auf Infektionen in Pflegeheimen, Schulen oder Kitas spezialisiert haben. „Diese Einteilung beinhaltet aber keine Priorisierung, sondern nur eine fallspezifische Abarbeitung“, sagt Essens Sprecherin Trilling.

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Um die Kontaktnachverfolgung trotz steigender Infektionszahlen bewältigen zu können, setzen einige Städte und Kreise auf die aktive Mithilfe der Bürgerinnen und Bürger. So haben der Kreis Wesel und Duisburg Online-Formulare erstellt, mit deren Hilfe Infizierte ihre möglichen Kontaktpersonen selbst dem Gesundheitsamt übermitteln können. Im Kreis Kleve sei ein ähnliches Online-Verfahren bereits in der Entwicklung.

Online-Verfahren: „Die zeitaufwendige Datenerfassung im Telefonat entfällt“

Mithilfe des digitalen Melde-Formulars könne die Bearbeitung einzelner Fälle beschleunigt werden. „Die zeitaufwendige Datenerfassung im Telefonat entfällt“, erklärt Duisburgs Sprecher Peter Hilbrands. Rund 40 Prozent der Infizierten würden das digitale Melde-Verfahren nutzen. „Wird das Formular nicht zeitnah ausgefüllt, muss die Person erneut telefonisch kontaktiert und die Daten dann dort abgefragt werden“, so Hilbrands. Im Kreis Wesel gebe es zwar keine konkreten Zahlen, das Gesundheitsamt registriere jedoch „bei der Bevölkerung eine hohe Motivation um Mitarbeit“.

Neben einer priorisierten Abarbeitung der Infektionsfälle sowie digitalen Melde-Verfahren setzt ein Großteil der Kreise und Kommunen auch auf zusätzliche Mitarbeiter. „Die Kontaktnachverfolgung wurde zuletzt angesichts wieder steigender Infektionszahlen mit weiterem Personal ausgestattet“, sagt Düsseldorfs Sprecherin Annika Mester. Derzeit seien rund 300 Mitarbeiter im Einsatz. „Im Sommer 2021 waren es rund 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ In den Kreisen Wesel und Kleve sowie in Mülheim gebe es zudem Überlegungen, die Hilfe der Bundeswehr hinzuzuziehen.