Kreis Wesel. Die Inzidenz im Kreis Wesel steigt laut RKI über 200. Die Kontaktnachverfolgung liegt aber weitgehend in der Verantwortung der Bürger.
Vor einem Jahr lag die Inzidenz im Kreis Wesel bei 161. Bis zu 100 Mitarbeiter waren im Auftrag des Gesundheitsamtes mit der telefonischen Kontaktnachverfolgung befasst. Um Infektionsketten nachvollziehen und die Ausbreitung der Pandemie begrenzen zu können, wurde zusätzlich sogar die Bundeswehr eingesetzt. Laut RKI hat die Inzidenz im Kreis Wesel am Sonntag die Marke von 200 übersprungen. Die Kontaktnachverfolgung aber wurde weitgehend in die Verantwortung der Bürger übergeben.
Wer positiv auf Corona getestet wurde, soll seine Kontaktpersonen in ein Online-Formular eingeben. Das Formular wurde im Dezember 2020 eingeführt, der Kreis forderte die Bürger nun auf, es zu nutzen. Denn „aufgrund der stark steigenden Fallzahlen“ konzentriere sich der Kreis derzeit auf die Kontaktnachverfolgung in Risikogruppen – etwa in Pflegeheimen.
So werden „Kontaktpersonen“ definiert
Kontaktpersonen sind nach dem Formular Menschen, zu denen zwei Tage vor dem Test oder zwei Tage vor dem Auftreten von Symptomen Kontakt bestand – und zwar länger als zehn Minuten bei weniger als 1,5 Metern Abstand „ohne beidseitiges Tragen einer Alltagsmaske“ oder wenn ein schlecht oder nicht belüfteter Raum über eine längere Zeit geteilt wurde.
Was ist ein „schlecht belüfteter Raum“?
Allerdings lässt das Formular Fragen offen: Was ist ein „schlecht belüfteter Raum“? Kneipe? Restaurant? Klassenzimmer? Saalveranstaltung im Karneval? Das wird nicht definiert. Für Klassenzimmer lasse sich das „aufgrund der voneinander zum Teil stark abweichenden Gegebenheiten“ auch pauschal nicht sagen, so der Kreis Wesel. Die Experten des Gesundheitsamtes selbst würden sich dabei „nach den aktuellen Empfehlungen des Umweltbundesamtes“ richten und „jeden Einzelfall individuell“ bewerten. Das Formular frage „nur eine Ersteinschätzung“ ab, so der Kreis. Falls Bürger dabei falsch liegen, bleiben Infektionsketten möglicherweise unerkannt.
Ohne konkrete Daten keine Meldung von Kontaktpersonen
Gleiches gilt für den Aufenthalt in Gruppen. In Weihnachtsmarkt-Scheunen, Restaurants und Kneipen besteht am Platz selbst keine Maskenpflicht. Kontaktlisten seien in der Vergangenheit „bei Bedarf“ ausgewertet worden, so der Kreis. Seit Sommer 2021 aber müssen Gastronomen und Veranstalter gar keine Kontaktlisten mehr führen. Bei eventuellen Gesetzesänderungen sei der Kreis Wesel in der Lage, die „Daten etablierter Tracing-Apps digital auszuwerten und risikobasiert abzuarbeiten.“
Bis dahin fallen unbekannte Sitznachbarn in Kneipen oder Zuschauer bei Konzerten wohl aus dem System, wenn der Infizierte die Namen nicht kennt. Denn der Kreis Wesel kann eine Meldung nur bearbeiten, „wenn die vollständigen Daten einer Kontaktperson vorliegen“ – inklusive vollständiger Adresse, Telefonnummer, Impfstatus – und möglichst auch .
Wenn Cluster, bei denen vulnerable Gruppen betroffen sein könnten, aus Einrichtungen oder von Veranstaltungen gemeldet würden oder sich im Ermittlungsgespräch mit den Indexfällen ergäben, erfolge „nach wie vor eine direkte Kontaktnachverfolgung durch das Gesundheitsamt“.
Kreis: Bürger verhalten sich „sehr verantwortungsvoll“
Mit dem Meldeformular habe die Kreisverwaltung eine Vorgabe des Landes aus der Quarantäne-Verordnung um, so der Kreis Wesel. Die „Informationspflicht einer positiven getesteten Person“ leite sich aus Paragraf 15 (Absatz 5) der Corona-Test-Quarantäne-Verordnung ab. Danach sollen Infizierte ihre Kontaktpersonen selber informieren. Außerdem sollen sie, so der Kreis Wesel, ihre Kontakte „bitten, sich selbst in Quarantäne zu begeben“, so der Kreis. Die Regelung vertraut also auf verantwortungsbewusstes und verlässliches Verhalten der Bürger.
Damit delegiere der Kreis „selbstverständlich keine staatlichen Aufgaben auf Bürgerinnen und Bürger“, heißt es aus dem Kreishaus. Sondern auch das RKI empfehle die „risikoadaptierte Kontaktnachverfolgung“ seit September 2021. Und bislang, so meint der Kreis Wesel, würden sich die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich „sehr verantwortungsvoll“ verhalten.
Kritik von der Kreistagsfraktion der Linken
„Jährlich grüßt das Murmeltier“ unter diesem Motto übt die Linke im Kreis Wesel an der Kontaktnachverfolgung des Kreis-Gesundheitsamts. „Einen Monat früher als im vergangenen Jahr stellt das Kreisgesundheitsamt die telefonische Kontaktnachverfolgung corona-infizierter Personen ein“, so der Fraktionsvorsitzende Sascha H. Wagner.
Dafür könnten, entgegen der Darstellung des Kreises Wesel, nach Ansicht der Linksfraktion im Kreistag „nicht die steigenden Fallzahlen verantwortlich gemacht werden“. Diese Argument greife nach „20 Monaten in der Pandemie schlichtweg zu kurz“, findet Sascha H. Wagner: „Wenn der Landrat im Herbst 2021 vor dem Hintergrund der Impfkampagnen-Entwicklung die Aufgabe kommunaler Pandemieverantwortung erneut mit steigenden Fallzahlen begründet, wird er seiner Aufgabe als Krisenmanager nicht gerecht. Dass der öffentliche Gesundheitssektor aufgrund von Personalkosteneinsparungen nur bedingt abwehrbereit ist, haben mittlerweile alle verstanden. Dass das Gesundheitsamt den Dienst erneut quittieren muss, ist Ausdruck politischer Lernunfähigkeit im Kreishaus.“
Selbst wenn alle Bürgerinnen und Bürger einen Internetzugang hätten, sei es „naiv, davon auszugehen, dass sie mit der korrekten Bearbeitung des Onlineformulars in ausschließlich deutscher Sprache selbstständig zurechtkommen“. Für telefonische Hilfestellungen bei entsprechenden Fällen müssen Mitarbeiter des Kreises auch weiterhin erreichbar sein, findet die Linke. Entsprechende „Rahmenbedingungen für die Umstellung der Kontaktnachverfolgung lässt der Landrat jedoch wieder vermissen“.