An Rhein und Ruhr. Für Maßnahmen in der Covid-Bekämpfung wären belastbare Zahlen hilfreich. Die fehlen oft, wie die Debatte um die Impfquote unter Zuwanderern zeigt

Auch im zweiten Winter der Pandemie und in der vierten Welle leidet der Kampf gegen Corona an einem Mangel belastbarer Daten. Die Wahrheit wird häufig gefühlt, nicht belegt, und das erschwert zielgerichtete Maßnahmen, um die Pandemie einzudämmen. Ein Beispiel dafür ist die Frage, ob Menschen mit einem Zuwanderungshintergrund impfskeptischer sind, als solche ohne.

Da gibt es Grundschullehrerinnen, die berichten, vor allem Eltern, die zugewandert seien und zudem nicht deutsch sprächen, seien überdurchschnittlich häufig nicht geimpft. Oder Pflegepersonal, das erzählt, der Anteil von Migranten auf den Corona-Stationen sei größer als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Eine Recherche zum Thema gleicht einem Stochern im Nebel.

Das Landesintegrationsministerium antwortet auf eine entsprechende Anfrage sehr deutlich: „Migrantinnen und Migranten haben keinen größeren Anteil am Infektionsgeschehen als Nichtmigranten.“ Einen Beleg für diese Einschätzung liefert das Ministerium jedoch nicht. Dem Landesgesundheitsministerium jedenfalls liegen „keine Daten über Impfquoten bei Menschen mit Migrationshintergrund in Nordrhein-Westfalen vor“.

Ein Indiz ist ein Report des RKI aus dem Sommer 2021

Ein Indiz liefert ein Report des Robert Koch-Instituts (RKI) aus dem Juni dieses Jahres. In diesem Impfquoten-Monitoring ist zu lesen, dass zu dem damaligen Zeitpunkt unter den befragten Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte 28,5 Prozent vollständig geimpft waren, unter denen mit Zuwanderungsgeschichte waren es 24,1 Prozent. Es ist die bislang einzige Differenzierung des RKI. Jedoch wurden für diesen Report nur Menschen befragt, die Deutsch sprachen.

Es sei nun „eine gezielte Befragung für Menschen mit Migrationshintergrund geplant“, beteuert eine Sprecherin des RKI. Zugleich sagt sie auch, eine ausgeprägtere Impfskepsis habe oft mehr mit dem sozioökonomischen Status als mit einem Migrationshintergrund zu tun. Heißt: Bildungsgrad und Einkommen sind entscheidendere Faktoren für die Impfbereitschaft, als die Frage, ob ein Mensch Zuwanderungsgeschichte oder nicht hat. Auch das Landesgesundheitsministerium verweist auf Studien, die zu diesem Ergebnis kommen. Gleichwohl haben die Kommunen in NRW gezielte Kampagnen entwickelt, um Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu erreichen.

Sprecher: Diffuse Sorgen und Ängste

Auch wenn die Impfbereitschaft in der migrantischen Bevölkerung „nicht wesentlich besser oder schlechter“ ausgeprägt sei als bei der nicht-migrantischen Bevölkerung, sei in einigen Teilen noch festzustellen, dass eine gewisse Verunsicherung bezüglich des Impfens vorherrscht“, berichtet ein Sprecher der Stadt Duisburg. „Diffuse Sorgen und Ängste, sehr stark auch durch soziale Medien kommuniziert“, seien immer noch feststellbar.

Deswegen setze die Stadt Duisburg „konsequent darauf, Information und Aufklärung zu betreiben – insbesondere auch in den sehr diversen migrantischen Communitys und Kreisen und in einer Vielzahl von Sprachen“ und unter Einbeziehung von wichtigen und einflussnehmenden Persönlichkeiten aus Sport- und Kulturvereinen, Moscheegemeinden oder religiösen Gemeinschaften.

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In Essen will sich eine Sprecherin nicht auf eine Aussage zur Impfbereitschaft unter Menschen mit Zuwanderungsgeschichte festlegen lassen, einfach, weil es keine Auswertungen gebe. Jedoch sei eine Zurückhaltung in Teilen mancher Zuwanderungsgemeinschaften wie der afrikanischen oder der syrischen feststellbar. Als Gründe gegen eine Impfung, so die Sprecherin, würden immer wieder ein nicht vorhandenes Vertrauen in die Impfung genannt, bei Frauen auch eine befürchtete Unfruchtbarkeit. Argumente also, die auch von Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte immer wieder gegen die Impfung ins Feld geführt werden.

„Manche Leute sind Querdenker, egal ob sie Migranten sind oder nicht“, sagt Dr. Youssef Shammas, ein Hausarzt aus Essen. Er sagt, er habe „unheimlich viele Flüchtlinge geimpft“, und seiner Erfahrung nach sei die Impfbereitschaft bei Menschen mit oder ohne Zuwanderungsgeschichte gleich. Dr. Ebru Yildiz, Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Medizinergesellschaft in NRW, hat am Anfang der Impfkampagne in der türkischstämmigen Gemeinschaft eine „sehr große Abwehrhaltung“ registriert, das habe sich aber mittlerweile geändert. Weil ungeimpfte Menschen aus dem sozialen Umfeld an Corona schwer erkrankten oder weil Geimpfte eben nicht an den Folgen der Impfung erkrankten.

Impfangebote, um Menschen niedrigschwellig zu erreichen

Generell hätten Erfahrungen gezeigt, dass „aufsuchende Impfangebote im Umfeld der jeweiligen Lebensräume“ ein geeignetes Instrument seien, um „viele Menschen niedrigschwellig erreichen zu können“, schreibt das Landesgesundheitsministerium – das gelte aber egal, ob sie Zuwanderungsgeschichte hätten oder nicht.

Wird das aber nicht hinreichend kommuniziert, droht Frust: Als am Samstag vor zehn Tagen Hunderte Menschen aus dem gesamten Ruhrgebiet zur Essener Salahu d-Din-Moscheegemeinde kamen, der größten arabischen in NRW, um sich die dritte Impfung geben zu lassen, mussten viele wieder unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren – ihre zweite Impfung war noch nicht lange genug her.