Rhein und Ruhr. Neuer Baustein fürs „Sofortprogramm zur Stärkung der Innenstädte“: Für Städte gibt es nun nicht nur Geld für die Anmietung von Leerständen.

Die Ansiedlung von Lindt in der Essener Innenstadt sorgt derzeit für reichlich Diskussionen. Der finanzstarke Schokoladenkonzern aus der Schweiz hat auf der Limbecker Straße ein leerstehendes Ladenlokal angemietet – für zwei Jahre, zu stark vergünstigten Konditionen. Lindt profitiert vom „Sofortprogramm zur Stärkung unserer Innenstädte und Zentren in NRW“, das die Landesregierung vor einem Jahr als Reaktion auf den pandemiebedingten Lockdown aufgelegt hat. Das Programm hat vier Bausteine, einer davon sieht vor, dass die Städte mit Fördermitteln Ladenlokale anmieten, um sie dann an Einzelhändler oder auch Gastronomen günstig unterzuvermieten.

Bisher profitieren von dem rund 70 Millionen Euro umfassenden Sofortprogramm 275 Zentren in 186 Kommunen. Damit erreicht das Programm fast die die Hälfte der Kommunen in NRW. Es umfasst unter anderem neben der Anmietung von Ladenlokalen auch den Anstoß für ein Zentrenmanagement. Die Summen, die an die Städte ausgezahlt wurden sind unterschiedlich hoch und hängt von den Anträgen, die de Kommunen gestellt haben ab. Jüngst erst hatte Dinslaken einen Scheck über rund 752.000 Euro erhalten, Duisburg hatte dagegen im vergangenen Jahr nur 194.000 Euro für die Innenstadtförderung erhalten. Essen ist mit rund 2,6 Millionen Euro in der Region weit vorne.

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Das Land führt das Sofortprogramm auch über 2021 hinaus weiter als „Innenstadtfonds zur Stabilisierung von Innenstädten und Zentren“. Das verfügbare Programmvolumen beträgt 30 Millionen Euro. Neu: Nun ist auch die bauliche Anpassung von Ladenlokalen an eine neue Nutzung förderfähig. Dazu zählen Umbauten an der Fassade, Gebäudetechnik oder Innenausstattung. Auch die Zusammenlegung von Ladenlokalen zur Schaffung ausreichend großer Verkaufsflächen zum Beispiel für den Lebensmitteleinzelhandel wird mit höchstens 200.000 Euro gefördert. Auch die Förderung städtischer Beschäftigter in der Rolle eines Innenstadtkümmerers ist mit bis zu 75.000 Euro möglich.

Ministerium: Ausgestaltung obliegt den Städten

Zumeist unterstützen die Städte bislang kleinere Start-Up-Händler. Große Namen wie Lindt sind die Ausnahme. Umso größer ist die Kritik an der Stadt. Die SPD hat dazu eine Anfrage im Landtag gestellt, erwartet eine Antwort auf die Frage: Ist es seitens der Landesregierung mit dem genannten Sofortprogramm so gewollt, dass auch finanzstarke Unternehmen wie etwa Filialisten von den Landesmitteln profitieren? „So wichtig und richtig es ist, unsere Innenstädte zu beleben, so sorgt es doch für großes Unverständnis, dass sich finanzstarke Unternehmen mit zahlreichen Filialen auf Steuerzahlerkosten geringe Mieten für ihre Ladenlokale sichern“, begründet der Landtagsabgeordnete Frank Müller die Anfrage. Es dränge sich die Frage auf, warum ein finanzstarkes Unternehmen sich eine solche Ladenmiete nicht auch zu den normalen Marktkonditionen leisten kann.

Das zuständige Ministerium für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung distanziert sich vorsichtig von der steuerfinanzierte Ansiedlung des Schokoladenriesen. „Eine Mietsubventionierung von internationalen Filialisten sei nicht intendiert“, heißt es aus dem Hause Ina Scharrenbachs. Die Entscheidung über die Ausgestaltung der Fördergelder obliege aber der jeweiligen Stadt. Es sei nicht auszuschließen, dass es in Einzelfällen sinnvoll sein mag, „Impulse über die Ansiedlung von etablierten Anbietern zu setzen“. Die Stadt Essen wehrt bislang jegliche Kritik ab und steht zu der Vermietung.

Ladenbesitzerin: „Ohne Programm hätte ich es nicht gemacht“

Dass es auch anders geht, zeigen Beispiele aus der Region am Niederrhein. In Neukirchen-Vluyn hat Anfang September ein Laden für Kinderkleidung und Deko eröffnet. Inhaberin Christine Borkes, die zwei Tage in der Woche noch als Assistentin einer Geschäftsführung tätig ist, sagt: „Natürlich ist es mutig, aber das ganze Leben ist mutig.“ Sie sagt aber auch: „Ohne das Programm hätte ich das nicht gemacht“, sagt Borkes. Ihr Geschäft sei sehr gut angelaufen. Wenn es so weitergehe, sehe ich überhaupt kein Problem, „dass ich es fortführe.“

Dass er dies auch in ein paar Monaten sagen kann, hofft der Niederländer Rob van Leur auch. Er hat in Emmerich jüngst zwei Läden eröffnet: Elyon Blumen und die Modeboutique „Happy Fashion“. Der niederländische Unternehmer hatte auf Facebook gesehen, dass es in Emmerich Möglichkeiten für Neueröffnungen gibt und erkundigte sich näher. Er stieß auf offene Türen. Rund 487.000 Euro hat die Stadt aus dem Sofortprogramm für die Innenstädte erhalten und mit viel Engagement umgesetzt. Die Wirtschaftsförderung hat die Einzelhandelsberatungsgesellschaft Schneider + Straten ins Boot geholt. Seit März konnte Manuela Sommer vom Beratungsbüro die beiden Verträge mit Rob van Leur fix machen. Der Vertrag für ein drittes Geschäft am Alten Markt mit einem anderen Unternehmer ist bereits unterzeichnet. Und: „Ein weiteres ist in der Pipeline“, sagt Manuela Sommer. Allerdings sei es nicht immer leicht, mit den Hauseigentümern zu verhandeln. Bürgermeister Peter Hinze findet es schade, „wenn Vermieter lieber Baustoffe im Ladenlokal lagern, als es zu vermieten. Ein Leerstand zieht den nächsten.“

Einzelhandelsberater: „Der Schrumpfungsprozess der Städte ist nicht aufzuhalten“

Diese Erfahrung beobachtet auch Gisbert Schneider, Inhaber von Schneider + Straten. Fünf Städte, Emmerich, Hagen, Herne, Erkelenz und Velbert, berät er mit seinem Team im Rahmen des „Sofortprogramms für die Innenstädte“. Auch für Duisburg war er schon tätig. Anfang 2019 hatte er im Rahmen des dortigen „Innenstadtdialogs“ für die Stadt eine Analyse möglicher Mieter für Ladenlokale durchgeführt. Duisburg sei ein Vorzeige-Beispiel dafür, dass der Einzelhandel in den Städten schrumpft. „Dieser Prozess ist bundesweit nicht aufzuhalten“, so Gisbert Schneider. Umso mehr müssten die Kommunen aktiv werden. Und: „Eine erfolgreiche Vermietung beginnt damit, die möglichen Mieter zu kennen“, so Schneider. Weitere Fragen sind: Wie kann man Flächen moderner gestalten? Welcher Bedarf an Fläche ist überhaupt gegeben? Und welche Filialisten sind überhaupt interessiert, sich in der Stadt anzusiedeln?Duisburger Königstraße ist für Firmen keine A-Lage mehrDuisburger Königstraße ist für Firmen keine A-Lage mehr

Umso größer die Städte sind, umso größer ist der Filialisten-Bestand. Dies hänge auch mit den Mieten zusammen, die sich kleinere Einzelhändler bislang kaum leisten konnten. „Allerdings wendet sich hier das Blatt. Die Mieten im Einzelhandel sinken in den Städten“, sagt Gisbert Schneider. Und dies im Extremfall bis zu 50 Prozent. Zudem werden in der Regel mittlerweile Mietverträge für maximal fünf Jahre und nicht mehr für zehn Jahre abgeschlossen. Die Verlierer seien die Eigentümer. Die sinkenden Mieten seien aber auch eine Chance für die Städte, eine Vielfalt in die Einzelhandelslandschaft zu bekommen – „und eben nicht eine Monokultur der Filialisten in jeder Einkaufsstraße zu sehen.“

Gelder für Fassaden und Flächenzusammenlegungen

Wichtig sei es, dass die Wirtschaftsförderungen und Mitarbeiter der Stadt „Gas geben. Es muss ein gutes Team vor Ort sein“. Dies sei in Emmerich der Fall. Gisbert Schneider sieht sich und sein Team als Kontaktmanager. Nicht immer klappt die Vermittlung sofort. So berichtet Schneider von einer Frau, die in einer anderen Stadt einen Laden mit Obstsäften aufmachen wollte. Ein geeignetes Ladenlokal war gefunden, doch der Vermieter wollte nicht auf die 30 Prozent verzichten und hat letztlich lieber an einen Telekommunikationsladen vermietet. „Dennoch war dies für die Stadt nicht nur schlecht, weil wir so von dem Interesse der Existenzgründerin erfahren haben und nun eine geeignete Fläche suchen können.“ Man müsse sich oft „Stück für Stück vorarbeiten.“ Der Blumenladen in Emmerich funktioniere auch deshalb, weil es in der City der 30.000 Einwohner-Stadt vorher keinen mehr gab. In einer Stadt, in der es schon mehrere gibt, wäre ein zusätzlicher im Rahmen des Förderprogramms zu viel. Das Förderprogramm des Landes sieht Gisbert Schneider als eine gute Nachwuchsförderung an. Die Zielgruppe seien ganz klar Existenzgründer und keine Filialisten und Großkonzerne wie Lindt.