An Rhein und Ruhr. Eine Pflegerin berichtet, wie sie seit der Pandemie unter dem Druck leidet. Es fehlt Zeit, sich ausgiebig um Kranke und Angehörige zu kümmern
Charlotte* kann nicht mehr. Ihr Hobby hat sie an den Nagel gehängt, ihre Freunde sprechen schon lange nicht mehr mit ihr, weil sie nie Zeit für sie hat. Seit der Corona-Pandemie ist die Intensivpflegerin, die in einer Klinik im Ruhrgebiet arbeitet, ausgebrannt.
„Ich komme nach Hause und schlafe wie eine 90-Jährige“, sagt sie im Gespräch mit der NRZ. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. So, wie es in ihrer Klinik ist, läuft es in vielen Krankenhäusern an Rhein und Ruhr. Die Krankenpflegerinnen und -pfleger leiden unter dem Stress, vor allem psychisch, und schauen sich nach anderen Jobs um. Auch Charlotte.
Dabei wollte sie so gern Intensivpflegerin werden, absolvierte nach ihrer dreijährigen Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin die Fortbildung zur Intensivpflegerin. Seit knapp acht Jahren arbeitet sie auf Intensivstationen, um „Patienten, denen es wirklich richtig schlecht geht, zu helfen, damit es ihnen wieder besser geht“.
Pflegerinnen werden bespuckt und angegriffen
Diese Motivation nennt fast immer das Pflegepersonal, das die zweijährige, berufsbegleitende Weiterbildung zur Intensivkraft auf sich nimmt, erklärt Judith Füsgen von der Deutschen Gesellschaft für Gesundheits- und Pflegewissenschaft in Kalkar und Essen. Sie bietet diese Fortbildungen an und ist selbst Intensivpflegerin. Die Kurse sind voll. „Intensivpflegekraft wird man, weil man gern kritisch kranken Patienten helfen möchte. Es ist ein schöner Beruf – eigentlich.“ Die Arbeitsbedingungen seien aber mit Beginn der Pandemie noch schlechter geworden. Sie arbeitet seit 27 Jahren in dem Bereich, inzwischen hat auch sie, wie viele andere ihrer Kolleginnen und Kollegen, ihre Arbeitszeit im Krankenhaus reduziert.
„Wir können einfach nicht mehr“, bestätigt Charlotte. Mit der Pandemie stieg die Zahl der Patientinnen und Patienten auf den Stationen, dazu kommt der gestiegene Hygieneaufwand für die Pflegekräfte. Klingelt ein Patient, heißt es: Rein in die Schutzkleidung. Beim Ausziehen müssen nach jedem Kleidungsstück, das ausgezogen wird, wieder die Hände desinfiziert werden. Und manche Patienten klingeln nicht nur einmal, weiß Charlotte. All das kostet Zeit.
Noch immer Angst vor einer Ansteckung mit Corona
Zeit, die die Pflegerin eigentlich für die Behandlung der Kranken brauchen würde. Oder zur Dokumentation von Blutdruck- und Lungenwerten. Oder zur Begleitung und Aufklärung der Angehörigen. All das kommt zu kurz. Und die Angehörigen haben oft kein Verständnis. Sie berichtet sogar von tätlichen Übergriffen in Extremsituationen: „Wir werden angegriffen, bespuckt, beschimpft und bekommen sogar Flaschen über den Kopf geschlagen...“
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Zu all dem kommt noch die eigene Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Charlotte ist zwar geimpft, ebenso wie ihre Mutter, die sie zu Hause pflegt. Aber trotzdem ist die Sorge noch immer da, weil sie sieht, was die Krankheit mit Menschen macht. „Sie verrecken wirklich an Covid“, beschreibt sie mit drastischen Worten. „Es ist wirklich schlimm, Luftnot zu haben. Die Menschen haben Panik.“
Charlotte hat noch 40 Überstunden – allesamt aus dem letzten Jahr. Nehmen kann sie die derzeit nicht, weil Personal fehlt. Kürzlich hat sich eine ganze Frühschicht krank gemeldet. In solchen Fällen müssen dann Pflegende von anderen Stationen einspringen. Wer jetzt Überstunden macht, bekommt sie ausgezahlt. „Aber da bleibt nach Steuerabzug kaum was übrig“, sagt sie.
Deswegen wünscht sich die 40-Jährige eine bessere Bezahlung. Und mehr Personal auf den Stationen. Charlotte kann nicht verstehen, dass manche Kliniken nur zögerlich Betten sperren. „Nur zwei oder drei, das würde schon helfen“, sagt sie. Doch die Krankenhäuser seien „leider auf das Geld fixiert“.
„Es ändert sich nichts“
Vor allem würde sie sich wünschen, dass die Kliniken mehr für das eigene Personal tun statt für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter. Diese hätten weniger Verantwortung zu tragen, bekämen aber mehr Geld. Eine Leiharbeiterin verdiene fast doppelt so viel wie sie, meint Charlotte. Einige Kollegen hätten in der Klinik gekündigt, um bei Leiharbeitsfirmen anzufangen. „Es wird immer viel geredet“, sagt sie, „aber es ändert sich nichts.“
* Der Name der Pflegerin wurde von der Redaktion geändert