An Rhein und Ruhr. Viele osteuropäische Leiharbeiter werden auch am Niederrhein sesshaft. Warum ihre Zuwanderung für die Caritas eine dauerhafte Aufgabe ist.

Durch die Corona-Massenausbrüche in Schlachthöfen im vergangen Jahr gerieten die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitsmigranten in den Fokus der Öffentlichkeit. Auch am Niederrhein wurden teils erhebliche Mängel in den Unterkünften der Arbeiter festgestellt. Emmerichs Bürgermeister Peter Hinze wollte ein eigenes Programm für die etwa 600 rumänischen Menschen in der Stadt auflegen: „Die meisten wollen hierbleiben“, war er sich sicher – auch mit Blick auf die Erfahrungen, die Emmerich mit jungen polnischen Leiharbeitern gemacht hat.

Neue Herausforderung für die Stadt Emmerich

Vor etwa 15 Jahren seien diese verstärkt nach Emmerich gekommen. Allein. Dann seien die Familien zugezogen, heute zählt die polnische Community etwa 2700 Mitglieder, es gibt polnische Lebensmittelläden, eine Beratungsstelle – und viele der ehemaligen Leiharbeiter haben längst eine Festanstellung. „Die Integration hat geklappt ab dem Zeitpunkt, als die Kinder in die Schule gingen“, sagt Peter Hinze.

Heute stellt sich die Stadt einer „neuen Herausforderung“ – dem Zuzug von rumänischen Arbeitsmigranten. Auch sie wollen sesshaft werden, mieten sich Wohnungen an, holen die Familien nach. Die Stadt versucht auch über diverse Beratungsstellen mit ihnen in Kontakt zu kommen.

Neues Arbeitsschutzkontrollgesetz reiche nicht aus

Wie wichtig diese Anlaufstellen sind, weiß Heribert Mählmann, Vorstandsvorsitzender des St. Elisabeth Caritas-Sozialwerks in Lohne im Kreis Vechta. Die Integration von Arbeitsmigranten und ihrer Familien in die Gesellschaft ist aus Sicht der Caritas eine der wichtigsten Aufgaben in der Zukunft. „Wir sind auf diese Menschen angewiesen, sonst läuft unsere Wirtschaft nicht“, sagte Mählmann bei der Vorstellung des Jahresberichts 2020. Seit Jahresbeginn gelte zwar das Arbeitsschutzkontrollgesetz, das etwa in der Fleischindustrie die Beschäftigung von Werk- und Leiharbeitern verbietet. Das reiche aber nicht aus. Die Kontrolldichte sei zu gering.

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Es seien längst nicht nur Beschäftigte in der Fleischindustrie, die den Weg in die Rechtsberatungsstelle des Sozialwerks finden. Sie arbeiteten in der Reinigungsbranche, als Paketfahrer, in der Landwirtschaft, im Baugewerbe oder der Gastronomie. Sie suchen Hilfe in Lohn- und Arbeitsrechtsfragen – „und bringen ihre Familien mit“, so Mählmann. 55 Prozent der Ratsuchenden lebten bereits mit ihren Familien in der Region. Die Beratungsstelle begleitet die Familien vermehrt in sozialen Fragen, wie der Betreuung der Kinder in Kitas und Schulen. Dabei gehe es eigentlich um Notlagen wie falsch berechnete Löhne, unterschlagene Stunden, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder ungerechte Lohnabzüge für unwürdige Unterkünfte.

Aufschrei vielerorts angesichts desaströser Zustände

Im vergangenen Jahr sei der „Aufschrei angesichts dieser vielerorts desaströsen Zustände groß“ gewesen, erinnert Heribert Mählmann. Seitdem das Arbeitsschutzkontrollgesetz Anfang des Jahres in Kraft getreten ist, sei es um das Thema aber ruhig geworden. Doch die Probleme seien nicht gelöst, wie die 318 und damit 42 Fälle mehr in der Beratungsstelle in 2020 zeigten. Zum Vergleich: 2019 wies die Bilanz 276 Fälle auf, 2018 waren es 140.

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Es sind Fälle wie die eines bulgarischer Bauarbeiters, der für einen ganzen Monat keinen Lohn bekommen hat. Eigentlich begann sein Arbeitsverhältnis im September 2020. Auf Drängen seines Arbeitgebers hatte er schon im August angefangen. Doch dann weigerte die Baufirma sich, diese geleisteten Stunden anzuerkennen. Der Mann erhob Zahlungsklage beim Arbeitsgericht, konnte seine Stunden aber nicht beweisen und auch keine Zeugen benennen. Die Arbeitskollegen kannte er nur per Vornamen. Seine Klage wurde abgewiesen.

„Die Zuwanderung von Arbeitskräften im Niedriglohnsektor bleibt eine dauerhafte Aufgabe“, glaubt Mählmann und fordert „eine Koalition der Willigen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“, um die Situation der Arbeitsmigranten zu verbessern.