An Rhein und Ruhr. Viele Mädchen und Frauen erleben in der Öffentlichkeit sexuelle Belästigungen, Rufe oder Pfiffe. Eine Gruppe organisiert pfeifend den Widerstand.
Gehupe, „Hey Süße!“ oder lautes Miauen. Mitunter auch Aufforderungen zu sexuellen Handlungen, Prostitution oder Beleidigungen. Das so genannte Catcalling bezeichnet sexuell anzügliches Reden, Hinterherrufen, Nachpfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum. Es stellt eine Form der verbalen sexualisierten Belästigung dar, nicht selten sind Minderjährige davon betroffen. Das Perfide: Den Betroffenen bleiben oft kaum Möglichkeiten zur Reaktion, weil die Übergriffe im Vorbeigehen passieren.
Kira und ihr Kollektiv wollen genau an diesem Punkt ansetzen. „Wir haben an Silvester zusammengesessen und festgestellt, dass wir alle seit Jahren ähnliche Erfahrungen machen.“ Oft ducke man sich weg. Ein entmachtendes Gefühl. Da kam ihnen ein Gedanke: „Wenn die pfeifen, dann pfeifen wir halt zurück!“, erzählt Kira. Und das am besten nicht mit gespitzten Lippen, sondern mit einer Pfeife, die immer griffbereit ist und sich am Schlüsselbund tragen lässt.
Wirkliches Catcalling - Helen wurde „angemiaut“
Fünf Frauen zwischen Anfang zwanzig und dreißig bilden aktuell den Kern der Initiative #wirpfeifenzurück. Kira und Helen wohnen im selben Haus, haben schon gemeinsam Übergriffe erlebt. Auch Kasiani, Imke und Lisa gehören mit zum Team. Sie wohnen in verschiedenen Städten. Die meisten Treffen fanden daher bislang digital statt.
Lisa erzählt, dass sie früher häufiger selbst betroffen war, heute betreffe es mehr ihr Umfeld. „Jetzt höre ich das viel von jungen Frauen, bin aber selbst viel wachsamer als in meiner Jugend.“ Zwei Auszubildende bei ihrer Arbeit seien sehr oft von Catcalling betroffen. „Man muss jungen Frauen Mut machen, sich zur Wehr zu setzen“, meint Lisa. Helen hingegen sieht sich in ihrem Alltag häufig mit Belästigungen konfrontiert. Erst kürzlich wurde sie von Männern vehement „angemiaut“. „Bin ich eine Katze?“, fragt sie wütend.
Der Begriff catcalling erlaubt es zu differenzieren
Einen großen Unterschied habe die Verbreitung des Begriffs „Catcalling“ ausgemacht, sind sich Kira und ihre Freundinnen einig. „Durch den Begriff kann ich die Tat bewusst beschreiben“, erklärt sie. Denn lange Zeit fehlten Betroffenen Möglichkeiten, ihre Erfahrungen in Worte zu fassen. So kann die Bezeichnung als „Schönheit“ von einer vertrauten Person als nettes Kompliment wahrgenommen werden. Wird das Wort jedoch von fremden Menschen in der Öffentlichkeit in einem provokanten Tonfall hinterhergerufen, kann es zu einem bedrohlichen Gefühl führen. Der Begriff „Catcalling“ eröffnet die Möglichkeit, diese Fälle zu unterscheiden. „Oft kommt es eben nicht auf die Wortwahl, sondern auf den Tonfall an“, unterstreicht Helen.
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Bei einem Kreativwettbewerb konnte die Idee von #wirpfeifenzurück und den Pfeifen schon überzeugen. „Da haben wir Geld für die Pfeifen und weiteres Material bekommen“, erzählt Kira. Mittlerweile sind die Pfeifen angekommen. Schmal und silbern, mit der lila Aufschrift #wirpfeifenzurück. Und natürlich mit Schlüsselring – immer parat.
Aktion gegen catcalling: #wirpfeifenzurück erhält viele positive Rückmeldungen
Die Pfeife soll verschiedene Zwecke erfüllen. Zum einen steht der Solidaritätsgedanke im Vordergrund. Kira ist als Kulturpädagogin zwar schon oft in die sachliche Diskussion mit Männern gegangen, aber: „Es ist nicht jeder Mensch in der Lage, zu diskutieren oder sich im Schockmoment verbal zur Wehr zu setzen. Noch dazu ist es auch von der jeweiligen Tagesform abhängig.“ Außerdem kann das Herstellen von Aufmerksamkeit im Zweifel Hilfe herbeiführen. „Es dient auch als Kraftsymbol, als Arbeit an Denkweisen“, erklärt Helen. Denn wer sich einer Möglichkeit zur Selbsthilfe bewusst ist, kann schneller reagieren und ist im besten Falle weniger verunsichert.
Der Social Media-Auftritt sei angelaufen, erzählt Kira. „Wir bekommen sehr viel positives Feedback. Die Menschen können sich bei uns melden, und wir schicken ihnen kostenlose Pfeifen.“ Doch die Erzählungen und Nachrichten bleiben nicht nur bei verbalen Übergriffen. „Viele melden sich, weil sie körperliche Gewalt erfahren. Wir schauen gerade, wie wir diesbezüglich mit Organisationen zusammenarbeiten können.“ Denn nicht alle im Team fühlen sich wohl mit den expliziten Schilderungen sexueller Gewalt.
Catcalling: Die Pfeife zu benutzen hat ein wenig Mut erfordert
Weitere Ideen reichen von der Arbeit mit Schulen über Aktionen auf Feierlichkeiten. Daneben müsse auch immer wieder das Selbstbild der Gruppe diskutiert werden, erklärt Kira. Ob die Pfeife mittlerweile schon zum Einsatz gekommen sei? „Ja, und für mich war das tatsächlich spannend. Ich habe gemerkt, ich muss da ein bisschen mutig sein“, gibt Kira zu. „Für mein Gegenüber war es auf jeden Fall irritierend.“