Kreis Kleve. Anhupen, hinterherpfeifen, nachrufen. Elena Janßen ist schon oft Opfer von Catcalling geworden. Jetzt wehrt sie sich und kreidet Belästigung an.

Es ist gerade einmal eine Woche her, dass Elena Janßen zum Opfer wurde. Schon wieder. „Meine Freundinnen und ich wurden von einer Gruppe Jungs aus einem Auto heraus angehupt“, erzählt sie. „Als wir dann gefragt haben, wieso sie das machen, meinten sie: ‘Weil ihr hässlich seid!’“ Anhupen, hinterherpfeifen, nachrufen. Das sogenannte Catcalling kann verschiedene Facetten haben, doch eines steht dabei immer im Mittelpunkt: „Es sind ungefragte Kommentare, die Frauen oftmals auf ihr Aussehen reduzieren und absolut übergriffig sind“, erklärt die 19-jährige Studentin aus Kleve.

Während die verbale sexuelle Belästigung in anderen Ländern wie in den Niederlanden oder in Frankreich längst illegal ist, stellt sie in Deutschland aktuell keine Straftat dar. „Ein Unding“, findet Elena Janßen. Und gründet deshalb im Oktober vergangenen Jahres die „Cat Calls of Kreis Kleve“, ähnliche Gruppen gibt es zu diesem Zeitpunkt bereits in anderen Städten. Zunächst postet sie auf dem neuen Instagram-Account eine Definition von Catcalling, kurz danach aber schon eine Aufforderung: „Sendet mir eure Erfahrungen!“ Innerhalb kürzester Zeit erhält sie bewegende Nachrichten von Mädchen und Frauen.

Catcalling hat nichts mit Komplimenten zu tun

Es sind Situationen wie diese: Eine Frau wartet am Bahnhof auf den nächsten Zug, als sich plötzlich ein Mann neben sie setzt und sagt: „Ich beiße nicht. Bist du vergeben?“ Oder auch wie diese: Zwei Männer rufen einem Mädchen auf dem Nachhauseweg „sexy“ hinterher, ein dritter Mann fügt hinzu: „Ja...wenn die nur nicht so jung wie meine Tochter wäre.“ Mit Komplimenten, wie noch immer viele (Männer) ein solches Verhalten bezeichnen, hat all das nichts zu tun. „Frauen werden auf diese Weise sexualisiert“, betont Elena Janßen. Die Folge: Betroffene fühlen sich unwohl, verunsichert oder bekommen Angst.

Die 19-jährige Studentin Elena Janßen gründete die Gruppe „Cat Calls of Kreis Kleve“.
Die 19-jährige Studentin Elena Janßen gründete die Gruppe „Cat Calls of Kreis Kleve“. © Elena Janßen

Die Studentin will Catcalling ankreiden, im wahrsten Sinne des Wortes. Und schreibt deshalb die ihr zugeschickten Erfahrungen mit Kreide auf die Straßen im Kreis Kleve. Davon wiederum knipst sie Fotos, die sie auf dem Instagram-Account hochlädt. Innerhalb kürzester Zeit hat sie sich auf diese Weise eine Reichweite aufgebaut. „Das ging wie von selbst“, sagt sie. Und auch andere Frauen sind auf sie aufmerksam geworden, möchten sie bei ihren Aktionen unterstützen. Mittlerweile besteht die Gruppe aus sieben jungen Frauen, die regelmäßig mit Kreide auf die Straße gehen.

„Cat Calls of Kreis Kleve“ möchten aufklären

Eine von ihnen ist Malena Mauch. Mit gerade einmal 14 Jahren hat sie das erste Mal Catcalling erlebt, damals grölte eine Gruppe Jungs ihr lautstark hinterher. „Ich habe erst einmal überhaupt nicht kapiert, was da gerade passiert ist“, erzählt die 24-Jährige heute. „Aber ich war so schockiert, dass ich meinen Bus verpasst habe.“ Später spielt sie das Erlebnis vor ihren Eltern runter, fühlt sich mit der Situation überfordert. Vor allem junge Mädchen werden immer wieder Opfer von verbaler, aber auch körperlicher sexueller Belästigung. „Viele wissen allerdings nicht, dass ein solches Verhalten nicht normal ist“, sagt Elena Janßen.

Die 25-jährige Studentin Malena Mauch engagiert sich bei „Cat Calls of Kreis Kleve“.
Die 25-jährige Studentin Malena Mauch engagiert sich bei „Cat Calls of Kreis Kleve“. © Malena Mauch

Die „Cat Calls of Kreis Kleve“ möchten aufklären, die Opfer ebenso wie mögliche Täter oder Außenstehende. Wie wichtig Aufklärung ist, beweist auch folgende Situation: Die Gruppe schreibt mit Kreide die Erfahrung einer Frau auf, als ein älterer Mann vorbeikommt und sagt: „Früher haben die Frauen es noch schön gefunden, wenn ihnen hinterher gepfiffen wurde.“ So einfach ist es nicht, weiß Elena Janßen. Und erklärt dem Mann auch direkt, wieso nicht: „Früher hat es nur niemanden interessiert, was Frauen wollen.“ Diese Zeiten sollen im Jahr 2021 aber endlich vorbei sein.

Junge Frauen bauen ein Netzwerk auf

Und deshalb will die Gruppe nicht nur die Erlebnisse anderer Frauen öffentlich machen, sondern sich auch gegenseitig unterstützen. „Wir möchten ein richtiges Netzwerk aufbauen“, sagt Elena Janßen. Schon jetzt tauschen sie sich untereinander darüber aus, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten können. Geben sich Tipps wie: „Lieber nicht laut werden, damit das Gegenüber nicht aggressiv wird. Und sich besser der Situation entziehen.“ Wer einer betroffenen Frau helfen möchte, kann beispielsweise so tun, als ob frau sich kennt. Und dem Opfer so die Möglichkeit geben, aus der Situation zu gelangen.

Wichtig aber ist beiden Studentinnen eines zu betonen: „Frauen können sich wehren, müssen es aber nicht.“ Viele fühlen sich überrumpelt, sind wie gelähmt. Und ärgern sich im Nachhinein darüber, nichts gesagt oder getan zu haben. Über das Erlebte zu sprechen und mit Kreide aufzuschreiben, hilft dann beim Aufarbeiten. Diese Erfahrung hat zumindest Elena Janßen gemacht. Und deshalb will sie verbale sexualisierte Belästigung von Mädchen und Frauen im Kreis Kleve auch weiterhin ankreiden. „Bis Catcalling illegal ist“, sagt sie. „Und wahrscheinlich auch noch darüber hinaus.“

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>>> Kontakt zu „Cat Calls of Kreis Kleve“

Betroffene von Catcalling im Kreis Kleve können Elena Janßen und ihre Mitstreiterinnen über den Instagram-Account „Cat Calls of Kreis Kleve“ von ihren Erfahrungen berichten. Die jungen Frauen sammeln einige Nachrichten, bevor sie wieder losziehen und alles mit Kreide auf Straßen schreiben.

Verbale sexuelle Belästigung ist in Frankreich, Belgien, Portugal und in den Niederlanden bereits als Straftat in den Gesetzestexten vermerkt. In Deutschland haben knapp 70.000 Menschen die Online-Petition „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein.“ unterschrieben, die nun der Bundestag prüft.