Nimwegen. Maßnahmen zu spät eingeführt, dafür zu früh gelockert: Eine Nimweger Parlamentarierin wirft Niederlandes Premier Rutte schwere Versäumnisse vor.

Für den Corona-Kurs der Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte hat die niederländische Sozialdemokratin und Wirtschaftswissenschaftlerin Esther-Mirjam Sent ein Wort: „Willkür.“ Die Nimweger Politikerin, die für die Partij van de Arbeid im niederländischen Parlament sitzt, wirft der Regierung schwere Versäumnisse bei der Bekämpfung der Pandemie vor. So habe es von Beginn an keine klare Linie gegeben, sagt Sent. Anfangs habe Premier Rutte noch auf das umstrittene Konzept der Herdenimmunität gesetzt. „Davon ist er dann aber schnell wieder abgerückt.“

Zudem sei die Kontrolle der Maßnahmen und der Quarantäneregeln in den Niederlanden nur „mäßig“ erfolgt, viele notwendige Schritte seien mit großer Verzögerung umgesetzt worden, wie etwa der Impfstart, die Ausgangssperre diesen Winter oder das Einführen der Maskenpflicht im vergangenen Jahr. „Da waren wir echt spät dran“, kritisiert Sent. Sie habe den Eindruck, dass das in den Nachbarländern Deutschland und Belgien besser funktioniere.

Esther-Mirjam Sent sitzt für die niederländischen Sozialdemokraten im Parlament.
Esther-Mirjam Sent sitzt für die niederländischen Sozialdemokraten im Parlament. © NRZ

Niederlande: Umstrittene Einführung der Ausgangssperre

„Die Regierung hätte mehr Führung zeigen müssen und während des Wahlkampfes im Winter nicht darauf hören sollen, was die Niederländer so wollen“, sagt die 54-Jährige. Doch die Opposition steht vor einem Dilemma: Es sei vor allem während des Wahlkampfes schwer gewesen, Ruttes Kurs anzugreifen, um die allgemeine Akzeptanz für die Coronaregeln nicht zu gefährden.

Was die Sozialdemokratin an Ruttes Kurs noch stört: Die Opposition sei bei den Beschlüssen zu Coronamaßnahmen nicht immer angemessen mit einbezogen worden. So war die im Winter umgesetzte und inzwischen abgeschaffte, nächtliche Ausgangssperre von der Regierung auf umstrittene Weise eingeführt worden, was sogar zu einem Rechtsstreit führte. Premier Rutte besserte nach.

Ruttes jüngste Lockerungen: Ein „Ausrutscher“

„Undurchdacht“ ist ein weiteres Wort, das Sent nennt, um das Vorgehen der niederländischen Regierung zu umschreiben. „Ich verstehe das auch“, räumt sie ein. „Das waren schwierige Umstände, mit denen niemand je zuvor konfrontiert war. Aber vor allem der letzte Ausrutscher mit den jüngsten Lockerungen, für die es keine Basis gab, war unverantwortlich. Das Land ist viel zu schnell wieder aus dem Lockdown gekommen.“ Sent spielt damit auf die Öffnungen des Nachtlebens im Juni an. „Die vierte Welle geht echt auf das Konto der Regierung“, betont sie.

Corona in den Niederlanden: Weitere Informationen

Nachdem die niederländische Regierung diesen Öffnungsschritt lange gegen kritische Stimmen verteidigt hatte, sah sich Premier Rutte Mitte Juli zu einem öffentlichen Schuldeingeständnis gezwungen. Zu langsam beim Impfen, Einführen und Umsetzen von Maßnahmen, zu schnell beim Lockern - Esther-Mirjam Sent hofft, dass die niederländische Regierung aus ihren Fehlern gelernt hat. Dem Land dürfte angesichts der dominierenden Deltavariante noch ein kritischer Herbst und Winter bevorstehen.