Kreis Heinsberg. Am Samstag demonstrieren Braunkohlegegner am Tagebau Garzweiler. Bündnisse und Umweltverbände haben zu einer Menschenkette aufgerufen.
Armin Laschet spielt an diesem sonnigen Tag im Rheinischen Braunkohlerevier eine zentrale Rolle. Es ist keine, die ihm gefallen dürfte. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union schwebt als dicker, großer, blauer Ballon über den Demonstranten, auf seinem Bauch prangt „Klimaschutz bei CDU/CSU? Nichts als heiße Luft!“. Er ist, soviel ist schnell klar, die Reizfigur für die rund 2500 Menschen, die am Samstag hierhergekommen sind, um eine Menschenkette zwischen Keyenberg und Lützerath zu bilden, Dörfer bei Erkelenz, die wie vier andere der Braunkohle zum Opfer fallen sollen.
Aufgerufen zu dem Protest hatten die Umweltschutzorganisationen BUND, Campact und Greenpeace, die Klimaallianz Deutschland und „Alle Dörfer bleiben“. Sie alle kritisieren die Klimapolitik der nordrhein-westfälischen Landesregierung und die Klimaziele Laschets.
BUND: "Die Klimakatastrophe ist angekommen"
Die Flutkatastrophe in Deutschland und die Brände in Südeuropa zeigten, „dass die Klimakatastrophe angekommen ist“, so Verena Graichen, die stellvertretende BUND-Vorsitzende. Laschet, so lautet die Kritik, orientiere sich nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern nur an den Bedürfnissen des Kohlekonzerns RWE und lasse es zu, dass die Heimat Hunderter Menschen geopfert werde. „Armin Laschet ist ein klimapolitischer Totalausfall und er darf nicht Kanzler werden“, sagt Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz. Werde am Kohleausstiegsdatum 2038 festgehalten, werde das Ziel verfehlt, die Erwärmung der Erde auf 1,5 Grad zu begrenzen, warnen die Verbände.
Mit der Menschenkette, die sich um 12 Uhr formiert, wollen sie eine symbolische Grenze ziehen. Nur bis zu dieser Grenze dürfe der Tagebau wachsen, um das 1,5-Grad-Ziel nicht zu gefährden. Die Kette erstreckt sich entlang der Felder zwischen Keyenberg und Lützerath, 4,3 Kilometer sind es. Auf den Feldern stehen schon die Pumpen von RWE, im Hintergrund drehen sich Windräder, wenige Hundert Meter weiter türmt sich einer der gewaltigen Braunkohlebagger auf, noch weiter weg am Horizont qualmt das Kraftwerk Neurath, das Kraftwerk mit dem zweitgrößten Kohlendioxid-Ausstoß in Europa.
Scharfe Kritik an Klimapolitik von Armin Laschet
Unter den Demonstranten sind Veteranen aus der Anti-Atomkraft-Bewegung, junge Aktivisten aus verschiedenen Umwelt-Zusammenhängen und Familien. Ralf-Detlev Strobach singt lauthals das „Garzweiler-Lied“, das er selbst komponiert hat. „Kohlezeit ist längst vorbei, Kohle bleibt im Boden.“ Er ist aus Flensburg gekommen. „Wir haben keine Dämme, unsere Stadt wird eine der ersten sein, die bedroht ist, wenn der Meeresspiegel steigt.“ Er ist hier, weil das Wahljahr 2021 für ihn „das wichtigste Jahr für eine Weichenstellung ist.“ Laschet? „Seine klimapolitischen Ambitionen sind unerträglich.“
Wenige Meter weiter stehen Ute Feder und Alexander Meyer samt ihrem lackschwarzen Schäferhund Mausi in der Menschenkette. Die beiden sind aus Bayern angereist. Der Protest beschränkt sich längst nicht mehr auf Menschen im Braunkohlerevier oder Nordrhein-Westfalen. Ein Freund von Meyer lebt in Keyenberg, dem Dorf, das 2026 abgebaggert werden soll und in dem nur wenige der früher 900 Einwohner leben. „Ich bin fassungslos über das, was hier passiert“, sagt er. Selbst aus der Ferne in Bayern betrachtet, sei es „Irrsinn“, dass die Dörfer hier der Kohle weichen sollen.
Diskussionen über die Umsiedlung mehrerer Dörfer
Die Frage drängt sich immer mehr auf, ob das überhaupt nötig ist: Im Dezember vergangenen Jahres war ein Gutachten bekanntgeworden, aus dem hervorgeht, dass die Umsiedlung der Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath nicht notwendig wäre, wenn beim Kohleausstieg den Empfehlungen der sogenannten Kohlekommission gefolgt worden wäre.
Das Bundeswirtschaftsministerium hatte dieses bereits im November 2019 vorliegende Gutachten zurückgehalten. In dem Papier wird untersucht, welche Folgen der von der Kohlekommission im Januar 2019 vorgeschlagene lineare Ausstiegspfad aus der Kohle hat. Die Gutachter kommen zu dem Schluss, dass im Rheinischen Revier nicht nur der Hambacher Forst, sondern auch die fünf bedrohten Dörfer erhalten bleiben können.
Jedoch hielt sich die Politik nicht an die Empfehlung der Kohlekommission, sondern beschloss im Kohleausstiegsgesetz, das im August 2020 in Kraft trat, ein anderes, stufenförmiges Ausstiegsszenario, für das eine größere Menge Braunkohle ausgebaggert und verstromt werden muss.
Auf Druck der nordrhein-westfälischen Landesregierung und des Energiekonzerns RWE wurde in das Gesetz zudem die „energiewirtschaftliche Notwendigkeit“ des Tagebaus Garzweiler II hineinformuliert. Die Absicherung des Tagebaus „einschließlich der damit verbundenen Umsiedelungen“ sei ein „zentrales Anliegen von NRW/RWE“ gewesen, heißt es in einer auf der Plattform „Frag den Staat“ veröffentlichten Stellungnahme des Bundeskanzleramtes.
Weitere Aktionen sind in den nächsten Tagen geplant
Bereits ein Kurzgutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) war im Jahr 2018 zur dem Schluss gekommen, dass eine Zerstörung der Dörfer nicht notwendig ist, um die bis zum endgültigen Kohleausstieg im Jahr 2038 benötigen Braunkohlemengen auszubaggern.
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Im Januar bekamen die Aktivisten, die sich für den Erhalt der bedrohten Dörfer im Rheinischen Revier einsetzen, Unterstützung durch die katholische Kirche. „Ein Erhalt der Dörfer ist möglich und eine konsequentere Reduktion der Tagebaue und der CO2-Emissionen sind zum Klimaschutz dringend nötig“, sagte der Aachener Bischof Helmut Dieser. „Diese Entwicklung haben wir mit großer Freude wahrgenommen“, sagt Jasmin Ziemacki von der Klimaallianz Deutschland, „das war ein Riesenerfolg“.
Die Menschenkette ist nicht die einzige Aktion, mit der in diesen Tagen gegen die Kohlepolitik von Landes- und Bundesregierung protestiert wird. Bei „Kultur ohne Kohle“ gibt es in den nächsten Tagen in den bedrohten Dörfern Musik, Theater und Workshops.