Mönchengladbach. Joseph Beuys feierte in Mönchengladbach große Erfolge, erntete aber auch viel Kritik. Das Ergebnis einer Kunstaktion wurde sogar überstrichen.

Stopp! Fast daran vorbeigelaufen. Wie gut, dass Karl Boland genau weiß, welches Mauerstück einst Teil einer spontanen Kunstaktion war. Denn für Unwissende sehen die mit Graffiti besprühten Wände alle gleich aus. Nichts weist darauf hin, dass hier mal ein Weltstar am Werk war. Boland aber war persönlich dabei, als Joseph Beuys am 23. Juni 1982 eine grüne Sprühdose in die Hand nahm und „Haus Zoar muss bleiben“ an die Mauer gegenüber des Museums Abteiberg in Mönchengladbach schrieb.

„Die Stadt hat es versäumt, den Schriftzug zu konservieren“, sagt Boland mit einem Blick zur Wand. „Schade, sonst hätte das hier zu einer Wallfahrtsstätte für Kunstfreunde und Geschichtenerzähler werden können.“ Wird es aber trotzdem irgendwie. Zumindest, wenn sich Boland selbst in einen Geschichtenerzähler verwandelt. Und in die Rolle schlüpft er gern, das beweist sein Engagement in der Geschichtswerkstatt Mönchengladbach. Aber auch seine Begeisterung, wenn er von jenem Tag im Juni 1982 berichtet.

Beuys umschwärmt von vielen Fans

„Wir hatten damals das Stadtzeitungsprojekt Lott Jonn“, erklärt Boland. „Wir“, das waren gut 15 junge Menschen. Darunter auch sein Studienkollege Hans Schürings, der ebenfalls so manche Geschichte über Beuys erzählen kann. Aber dazu später mehr … denn erst einmal geht’s um die Eröffnung des neuen Museums Abteiberg, zu dem der gefeierte Künstler eingeladen war. Die Presse war natürlich vor Ort, auch die alternative Lokalzeitung Lott Jonn.

Karl Boland hielt die spontane Kunstaktion von Joseph Beuys in Mönchengladbach in einem Foto fest. Heute ist der Schriftzug auf der Mauer längst nicht mehr zu sehen.
Karl Boland hielt die spontane Kunstaktion von Joseph Beuys in Mönchengladbach in einem Foto fest. Heute ist der Schriftzug auf der Mauer längst nicht mehr zu sehen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Boland war mit seiner Kamera unterwegs, hielt die Szenen in den Ausstellungsräumen und auf dem Dach des Museums fotografisch fest. „Beuys war umschwärmt von Damen“, erinnert er sich. „Alle wollten Autogramme, eine sogar auf ihren Unterarm.“ Immerhin waren in dem neu eröffneten Museum zahlreiche Werke von ihm ausgestellt, seine Großplastik „Unschlitt/Tallow“ stand unübersehbar im Foyer. Am frühen Nachmittag aber verließ der Star die Feier, um draußen mit den Gladbacher Grünen zu sprechen.

Virtueller Schriftzug auf dem Smartphone

Der Reporter Boland wusste von der Absprache und folgte Beuys nach draußen, wo gerade Jugendliche für den Erhalt des Jugendzentrums „Haus Zoar“ protestierten. „Einer hat Beuys dann bequatscht, etwas für sie zu tun und hat ihm die grüne Spraydose in die Hand gedrückt“, so Boland. Ob er die gesamte Situation kannte? Vom Deal zwischen Stadt und evangelischer Gemeinde wusste, dass das Jugendzentrum umziehen sollte? Boland glaubt nicht. „Das war aus der Situation heraus und er war bereit, mitzumachen.“

Am Tag der Neueröffnung des Museums Abteiberg in Mönchengladbach hat Joseph Beuys spontan „Haus Zoar muss bleiben“ an eine Mauerwand gesprüht.
Am Tag der Neueröffnung des Museums Abteiberg in Mönchengladbach hat Joseph Beuys spontan „Haus Zoar muss bleiben“ an eine Mauerwand gesprüht. © Karl Boland

Und so verschwand Beuys nach seiner spontanen Aktion schnell wieder nach drinnen, ließ draußen nur seinen grünen Schriftzug mit Hut zurück. Die Gesellschaft im Museum hatte von alledem nichts mitbekommen, auch die Presse interessierte sich nicht für das Schauspiel am Rande. „Bei uns aber war das unser Titelfoto“, sagt Boland und lacht. Heute erscheint sein Bild jenen virtuell, die mit ihren Smartphones die Yona-App heruntergeladen haben und ein Foto von der Graffiti besprühten Wand knipsen.

Erste große Beuys-Ausstellung in Mönchengladbach

Denn die grüne Schrift ist schon vor Jahren erst abgeblättert, dann überstrichen worden. Richtig verwundert ist Boland darüber aber ebenso wenig wie sein Studienfreund Schürings. Beuys und Mönchengladbach, die beiden führten von jeher eine schwierige Beziehung. „Mönchengladbach ist eine alte Textilstadt, die Menschen hatten nie viel mit Kunst und Kultur zu tun“, erklärt Schürings. Dass hier schon im Jahr 1967 Beuys’ erste große Einzelausstellung stattgefunden hatte, „das war eine Revolution“.

Das Museum Abteiberg in Mönchengladbach gilt heute als eines der Hauptwerke des Wiener Architekten Hans Hollein und als einer der Gründungsbauten der internationalen Postmoderne.
Das Museum Abteiberg in Mönchengladbach gilt heute als eines der Hauptwerke des Wiener Architekten Hans Hollein und als einer der Gründungsbauten der internationalen Postmoderne. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Ausgerechnet Beuys, dessen Kunst sich nicht gerade auf den ersten Blick erschließt. Tote Ratten und Bienen, getrocknete Hasenherzen und Fettteile sorgten dementsprechend für viel Spott. „Es gab Zuschriften an das Museum, dass sich Gladbach auf den Tag freut, an dem die Ausstellung geschlossen wird“, so Schürings. Dr. Johannes Cladders aber, der Direktor des Städtischen Museums und späteren Museums Abteiberg, wollte nicht verärgern, sondern die Stadt ins internationale Rampenlicht rücken.

„Exit“ als Kritik an der Institution Kirche

So richtig anfreunden konnten sich die Mönchengladbacher mit Beuys aber auch später nicht. 1969 kehrte er zurück für ein Fluxus-Konzert, 1972 für eine Friedensfeier und 1982 dann für die große Museumseröffnung. In all den Jahren hätte es mehr Kunstvermittlung gebraucht, vermutet Schürings. Vielleicht wäre dann auch das Interesse am „Haus Zoar muss bleiben“ größer gewesen, der Schriftzug noch erhalten. Und niemand müsste besagtes Mauerstück erst suchen.

Im Rahmen der „Friedensfeier“ hat Joseph Beuys 1972 das Wort „Exit“ mit Kreide an das Westportal der Basilika St. Vitus in Mönchengladbach geschrieben. Später hat ein Unbekannter die Buchstaben nachgeritzt.
Im Rahmen der „Friedensfeier“ hat Joseph Beuys 1972 das Wort „Exit“ mit Kreide an das Westportal der Basilika St. Vitus in Mönchengladbach geschrieben. Später hat ein Unbekannter die Buchstaben nachgeritzt. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Aber dafür gibt es ja noch die beiden Geschichtenerzähler Boland und Schürings. Praktischerweise kennen die beiden auch die anderen Ecken, in denen Beuys’ Einfluss aufs Stadtbild sichtbar wird. So geht’s mit ihnen nur wenige Schritte weiter zum Westportal der Basilika St. Vitus hoch oben auf dem Abteiberg, an das der Künstler mit Kreide das Wort „Exit“ schrieb. Eine Kritik an der Institution Kirche, das später ein Unbekannter noch mal nachgeritzt hat.

Über 200 Werke von Beuys im Museum Abteiberg

Ein Besuch des nahe gelegenen Museums Abteiberg sollte sich natürlich ebenfalls niemand entgehen lassen, über 200 Werke von Beuys zählen zum Besitz der Einrichtung. Wer anschließend noch am Museum und dem Haus Erholung vorbeigeht, kann sich übrigens Haus Zoar ansehen. Oder zumindest den Ort, an dem es einst stand. Nach seinem Abriss vor einigen Jahren liegt die Fläche brach, der Schriftzug eines Weltstars hatte die Pläne von Stadt und Kirche nicht umschmeißen können.

Und dann, auf dem Weg in die Innenstadt und zu einer leckeren Kugel Eis, steht der Künstler plötzlich höchstpersönlich vor einem. In Anglerweste und mit Zigarette im Mund blickt er lässig von einer riesigen Hauswand herunter, scheint das schwierige Verhältnis zu Mönchengladbach ganz einfach wegzurauchen. Schwamm drüber!

>>> „Beuys & Bike“ in Mönchengladbach

Herzlichen Glückwunsch, Joseph Beuys! In diesem Jahr wäre der Künstler vom Niederrhein 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass hat NRW Tourismus die Radtour „Beuys & Bike“ konzipiert, die verschiedene Stationen seines Lebens auf einer Strecke von 300 Kilometern miteinander verbindet.

Wer in Mönchengladbach Halt macht, sollte sein Rad am besten unten am Abteiberg abstellen. Von dort aus sind es nur wenige Meter, dafür aber viele Treppenstufen, bis zur Basilika St. Vitus, der Mauer, dem Museum Abteiberg und dem Graffito.

Im Beuys-Jahr finden übrigens gleich mehrere Beuys-Touren statt. Entweder geht’s gemeinsam mit einem Stadtführer durch die Straßen Mönchengladbachs oder alleine mit dem eigenen Smartphone. Mehr Infos gibt’s unter www.deinmg.de/project/joseph-beuys/

Als kulinarische Stärkung empfehlen die beiden Experten ein Eis bei „Die Eisdealer“, Sandratstraße 12. Leckeren Kaffee gibt es außerdem im „Hoffmanns Sonnenhaus“, Stepgesstraße 3. Vor dem Café stehen auf dem Sonnenhausplatz übrigens sieben Eselsfiguren, besonders beliebt als Selfie-Motiv.

Alle bereits erschienen Teile unserer Serie „Beuys entdecken“ finden Sie hier.