An Rhein und Ruhr. Ohne erkennbaren Anlass treibt die Landesregierung eine Neufassung des Denkmalschutzes voran, der vor allem eine Entkernung des Gesetzes ist.

Unter welchen Gesichtspunkten rechnet sich eine Burg, ein Stadttor oder eine Kirche – wenn man in ihr nicht ein immaterielles Erbe der Landesgeschichte sieht, von der ohnehin kaum etwas übrig ist? Gerade einmal 1,5 Prozent der Bauten in NRW stehen unter Denkmalschutz.

Daher sehen die Fachämter den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf des NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung. Die Abteilung Bau hat da offenbar über die Abteilung Heimat gesiegt, denn von den Dingen, die Heimat ausmachen, dürfte künftig wenig zu retten sein – und das Ministerium für Kultur hat schon mal gleich gar nichts zu sagen.

Wegfallen soll beispielsweise, dass ausgerechnet die Experten des LVR-Amtes für Denkmalpflege künftig beantragen können, dass Bauwerke in die Denkmalliste aufgenommen werden. „Derzeit stellen wir als Fachamt mit unseren Denkmalwertgutachten über 90 Prozent der Anträge auf Unterschutzstellung“, weiß Dr. Andrea Pufke, Leiterin des Amtes für Denkmalschutz beim LVR. „Dahinter steckt ein hohes Maß an Expertise, um die Denkmäler vor Ort zu entdecken, zu untersuchen und zu erfassen. Dieses Fachwissen können – insbesondere die kleineren Kommunen – gar nicht vorhalten“, so Pufke. Wer also wird künftig überhaupt noch Anträge auf Denkmalschutz stellen?

Untere Denkmalbehörden der Kommunen stehen oft unter Druck

Die unteren Denkmalbehörden in den 396 Kommunen des Landes stehen zudem oft unter politischem Druck: Neue Bauprojekte, bessere Nutzung von Grundstücken wiegen in kommunaler Abwägung oft mehr als ein Stück Stadtgeschichte. Künftig sollen solche wirtschaftlichen Erwägungen weit stärker wiegen – dank einer marktorientierten Unzumutbarkeitsklausel. „Wenn die Kosten der Erhaltung und Bewirtschaftung dauerhaft nicht durch die Erträge oder den Gebrauchswert des Denkmals aufgewogen werden können“, sei der Erhalt des Denkmals oder bestimmter Teile davon nicht zu fordern, heißt es in dem Entwurf.

Wohnsiedlung Eyhof in Essen: Hier liegen gerade Interessen einer Wohnungsbaugesellschaft und Denkmalschutzbefürworter über Kreuz. Künftig würde sich die Waage zu ihren Ungunsten neigen.
Wohnsiedlung Eyhof in Essen: Hier liegen gerade Interessen einer Wohnungsbaugesellschaft und Denkmalschutzbefürworter über Kreuz. Künftig würde sich die Waage zu ihren Ungunsten neigen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Und wenn eine Wohnungsbaugesellschaft zu dem Schluss komme, Abriss und Neubau einer Siedlung wie sagen wir der Margarethenhöhe verspreche mehr Rendite als eine Sanierung, öffnet die Neufassung des Gesetzes dafür die Türen.

Denkmalschützer sehen „Privilegierung fachfremder Interessen“

„Die Neufassung des Gesetzes verliert den Schutz der Denkmäler aus dem Blick“ kritisiert auch das Denkmalschutzbündnis NRW, in dem sich unter anderem die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, der Verband Deutscher Kunsthistoriker, der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, der Westfälische Heimatbund und die Landesgruppe Westfalen-Lippe der Deutschen Burgenvereinigung zusammengeschlossen haben. Ähnlich harsche Kritik wie vom LVR kommt auch vom Partnerverband Westfalen-Lippe.

„Insbesondere von der nachhaltigen Schwächung der Fachlichkeit und der Privilegierung fachfremder Interessen sowie einzelner Interessengruppen geht eine nicht zu tolerierende Gefährdung des baukulturellen Erbes in NRW aus“ heißt es beim Denkmalschutzbündnis. Die Denkmäler verlören mit den Denkmalämtern der Landschaftsverbände ihre weisungsungebundenen, von politischer Einflussnahme unabhängigen Fürsprecher. Der Gesetzentwurf gebe wirtschaftlichen Gesichtspunkten offenkundig Vorrang.

Das Irritierende an diesem Projekt: Bislang funktioniert der Denkmalschutz an Rhein und Ruhr weitgehend geräuschlos, auch, wenn sich mit zunehmenden Wohnungsdruck in attraktiven Lagen auch mal Konflikte abzeichnen wie beim Abriss der Beitz-Villa im schicken Essener Süden Doch mit Unterstützung und Moderation von Fachleuten des LVR gelingt in den meisten Fällen eine Einigung. Wenn neue Objekte in die Denkmalliste aufgenommen werden sollen oder wenn es um Veränderungen am Denkmal geht, gibt es eine sogenannte „Benehmensherstellung“ zwischen den Parteien statt. Diese geschieht durch eine intensive Diskussion aller Beteiligten über die aktuellen Nutzungswünsche im Sinne der besten Lösung für das Denkmal.

Bisher gab es kaum Kritik am bestehenden Denkmalgesetz

Davon soll ein bloßes Anhörungsrecht bleiben. „Das entspricht beinahe einer Kenntnisnahme am Ende des Entscheidungsprozesses, die für das weitere Verfahren im Grunde kaum Relevanz hat, denn die Unteren Denkmalbehörden vor Ort sollen im Wesentlichen ohne unser Fachamt entscheiden“, stellt Pufke fest. Sie fragt sich, warum eine geplante Neufassung eines Gesetzes zum Schutz der Denkmäler genau das Amt mit der größten denkmalpflegerischen Kompetenz so radikal beschneidet.

Kritiker der Neufassung vermuten unter anderem, neben den Interessen der Bau- und Immobilienwirtschaft einen Einfluss der Kirchen. In der Vergangenheit hatte der LVR vor allem den massiven Rückbau der Kirchen aus der Nachkriegsmoderne im Bistum Essen kritisch begleitet. Jetzt bekommen die Denkmalschützer des LVR gewissermaßen ein Betretungsverbot für die Gotteshäuser. So ist vorgesehen, dass zuständigen Behörden der Zutritt zu den Gebäuden verwehrt werden kann. In dem Entwurf wird dazu erläutert, dass damit die Achtung des Staates vor der Kirche zum Ausdruck gebracht werden soll. „Das würde ja im Umkehrschluss bedeuten, dass das Betreten eines sakralen Gebäudes aus Gründen des Denkmalschutzes eine Missachtung ausdrückt“, so Andrea Pufke.

Kirchen dürfen Denkmalschutz aussperren

Insgesamt, so der LVR, werde den Kirchen durchgängig eine maximale Eigenständigkeit zugesprochen. Diese gipfelt darin, dass die Kirchen in strittigen Fällen sogar selbst die Ministerin um Entscheidung anrufen können – ein Recht, das bisher nur den Landschaftsverbänden zusteht. Und sie dürfen an dieser Entscheidung sogar in einem Sakralausschuss mitwirken, die Fachämter werden dagegen nur bei Bedarf hinzugezogen.

Ähnlich kritisch wie der LVR äußern sich weitere Institutionen und fällen teilweise ein vernichtendes Urteil. So schreibt der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V. in seiner Stellungnahme, das Gesetz „sollte in dieser Form nicht dem Landtag zur Beratung vorgelegt werden.“ Das Gesetz sei mangelhaft, die fachliche Dimension werde geschwächt, NRW falle hinter globale und europäische Standards zurück bzw. berücksichtigt nicht den aktuellen Stand von Denkmalpflege.“ So drohe dem Kultur,, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen Relevanzverlust.