An Rhein und Ruhr. Denkmalschutz genießt keinen guten Ruf. Doch Eigentümer haben auch Vorteile davon, erklärt ein Experte vom Landschaftsverband Rheinland.
Mit ernstem Blick zeigt Sven Kuhrau an die Holzdecke: „Das sind so Dinge, wo man sich denkt ‘Ach Schade’.“ Vor einigen Jahren, schätzt Kuhrau, sind hier im Bürgerhaus Oststadt in Essen die Lampen gewechselt worden. Die neuen, sie passen nicht mehr ganz in die vorgeschnittenen Formen in der Deckenverkleidung. Ein unschöne Kleinigkeit, die sein Urteil über das Haus aber nicht geändert hat: Es ist ein Denkmal.
Das Rheinland ist eine reiche Landschaft – zumindest aus Sicht des Denkmalschutzes. Rund 52.000 unter Schutz gestellte Objekte gibt es derzeit zwischen Emmerich und Bonn, so der Landschaftsverband Rheinland. Einige wenige davon prägen das Bild der Stadt, in der sie stehen, ganz besonders – die über Kleve thronende Schwanenburg, das Welterbe Zollverein in Essen oder der weltberühmte Kölner Dom. Eine große Mehrheit der Denkmäler hingegen fristet eher ein Schattendasein.
Denkmäler ermöglichen Blick in die Vergangenheit
Dabei ermöglichen sie einen Blick in die Vergangenheit: in Gesellschaftsentwicklung, Städtebau oder die Geschichte von Kunst und Kultur. „Das grundsätzliche Verständnis vom Denkmal“, sagt Sven Kuhrau, Wissenschaftlicher Referent beim Landschaftsverband Rheinland, „ist die alte Kirche oder die alte Burg. Dabei ist Denkmal viel mehr. Auch jüngere Gebäude können schon Denkmäler sein.“
Wie eben das Bürgerhaus Oststadt in Essen. Erst zwischen 1973 und 1976 nach den Plänen von Architekt Friedrich Mebes gebaut, ist es nun von der Unteren Denkmalbehörde in die Denkmalliste der Stadt aufgenommen worden. Einen großen Anteil daran hat Sven Kuhrau. Auf 24 Seiten Gutachten mit zahlreichen Quellenangaben hat der Kunsthistoriker für das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland fein säuberlich begründet, warum das Haus den Kriterien des Denkmalschutzgesetzes des Landes NRW entspricht und erhalten werden sollte.
Gestaltungsdetails überzeugen den Experten
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Was zunächst recht bürokratisch und für Außenstehende vielleicht etwas dröge wirkt, wird bei einem Rundgang mit Sven Kuhrau durch die zahlreichen Räume der Begegnungsstätte schnell mit Leben gefüllt. Denn was da leicht abseits im Grünen zwischen den Trabantenstädten im Essener Osten liegt, ist vor allem künstlerisch und architektonisch von besonderer Bedeutung, erklärt Kuhrau. „Die Detailarbeit ist grandios. Die soziale und künstlerische Grundhaltung des Gebäudes ist an allen Ecken und Enden zu sehen.“ Was er damit meint? Die Beplankung der Decken etwa, oder die gestaffelte Wand an der hauseigenen Kegelbahn, die kleinen Schalungsabdrücke im Beton, die die Richtung der Treppe betonen oder die schuppenartig gelegten Backsteine im Wendeltreppenaufgang. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Da stört es auch nicht, dass ein großes Fenster im ehemaligen Musik- und heutigen Nähzimmer nicht mehr exakt dem Original entspricht. „Der Erhaltungszustand der Originalsubstanz ist uns immer wichtig, hier liegt aber wesentliche Störung des Gebäudes vor.“ Denn so viel steht fest: Details können den Denkmalwert schmälern, sofern sie die Charakteristik des Objekts verändern, sagt Kuhrau. Glück für das Bürgerhaus: das erneuerte Fenster passt sich dem Konzept von Architekt Friedrich Mebes an.
Gebäude kann trotz Sanierung ein Denkmal werden
Aber auch dann, wenn ein Gebäude mal grundlegend saniert und verändert wurde, kann es noch ein Denkmal werden: „Es können mehrere Zeitschichten Denkmalwert haben“, so der Kunsthistoriker. Etwa bei Objekten aus dem Mittelalter, die im 19. Jahrhundert erneuert wurden. Dann können sowohl die Originalsubstanz als auch die Sanierung selbst erhaltenswert sein. Im Fall des Bürgerhauses hätte es eher einen anderen Haken geben können: Das Gebäude ist jung. Fast zu jung. Denn ältere Gebäude haben deutlich bessere Karten: „Je jünger ein Gebäude ist, umso kritischer sind wir.“
Das alles muss von Objekt zu Objekt individuell geprüft und begutachtet werden. Das LVR-Amt dient dabei als Fachamt, berät wissenschaftlich. Rund drei Wochen Arbeitszeit hat Sven Kuhrau in das Gutachten gesteckt, das Bürgerhaus vor Ort besichtigt, viel geforscht und in Archiven recherchiert. Bis zu 20 Gutachten hat er ständig auf dem Tisch. Von alten Bauernhöfe, über Wohnhäuser, Bunker oder eben öffentliche Gebäude. Einen Favoriten hat er nicht, sagt Kuhrau, es gebe zwar Objekte, die in ein bestimmtes Raster fallen, aber „man erlebt immer wieder Überraschungen“.
Eigentümer kann Zweifel anbringen
Bevor ein Gebäude allerdings zu einem Denkmal werden kann, durchläuft es einen Eintragungsprozess. Dem Eigentümer geht das Gutachten zu, er kann dann in einer Anhörung noch mögliche Zweifel vorbringen. Denn nicht jeder Eigentümer ist total begeistert von der Vorstellung, dass das eigene Haus ein Denkmal wird. „Die allgemeine Vorstellung von Denkmalschutz ist, dass er dem Eigentümer nur Probleme bereitet“, sagt Kuhrau, widerspricht aber sofort. Denn ein Denkmal zu besitzen, bringe auch Vorteile, etwa die fachliche Beratung des LVR-Amts für Denkmalpflege, steuerliche Vorteile bei Privatpersonen und unter Umständen sogar Fördergelder, erklärt Kuhrau. Zweck des Denkmalschutzes sei nämlich auch, dass Denkmäler genutzt werden. „Ohne eine Nutzung wird die Erhaltung schwierig.“
Für die Nutzung des Bürgerhaus Oststadt in Essen ist definitiv gesorgt. Zahlreiche Gruppen nutzen die Räume, die Stadtteilbibliothek lockt Leseratten aus den umliegenden Vierteln und in Integrationskursen werden Sprache und Kultur vermittelt. Ein Denkmal voller Leben. „Ich finde es für das Haus super, dass es jetzt ein Denkmal ist“, sagt Bürgerhaus-Leiterin Gisela Peters. Durch den ganzen Prozess habe sie das Haus, das sie seit 2015 leitet, völlig neu kennengelernt. „Ich sehe das Gebäude jetzt mit völlig anderen Augen.“