Duisburg. 1964 wurde der Meidericher SV in der ersten Bundesliga-Saison Vizemeister. Kapitän Günter Preuß erinnert sich an die große Zeit des Vereins.
Dieser Titel eignet sich nicht für den Briefkopf, dafür ist er aber tief im Herzen der Fans des MSV Duisburg verwachsen. 1964 feierten die Zebras, noch unter ihrem Gründungsnamen Meidericher Spielverein, die deutsche Vizemeisterschaft. Auf Anhieb erreichte der MSV in der neu geschaffenen Fußball-Bundesliga den zweiten Platz.
Während des ersten Lockdowns im Frühjahr lebten die Erinnerungen an den größten Erfolg der Vereinsgeschichte nicht nur auf, sie gaben den Duisburger Fußball-Fans die Gelegenheit, Corona für ein paar Stunden beiseite zu schieben. Der MSV Duisburg hatte ins Autokino neben seiner Arena eingeladen und zeigte den 2014 veröffentlichten Dokumentationsfilm „Meidericher Vizemeister.“
MSV-Kapitän Günter Preuß im Autokino gefeiert
Günter Preuß, der Kapitän der damaligen Mannschaft, war nicht nur in einer Hauptrolle auf der Leinwand zu sehen, er war mit seiner Frau Ursel gekommen, um sich den Film über die historische Saison selbst noch einmal anzuschauen. Preuß, heute 84 Jahre alt, war der Mann des Abends. Fotos, Autogramme auf Distanz – Fans, die 1964 noch gar nicht auf der Welt waren, feierten den ehemaligen Spielführer. Günter Preuß nutzte die Gelegenheit, den Fans Anekdoten von damals zu erzählen. Der gebürtige Meidericher genoss den motorisierten Kino-Abend im Schatten des Stadions.
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Der Meidericher SV beendete die Premierensaison in der Bundesliga mit 39:21 Punkten auf dem zweiten Platz. Meister wurde der 1. FC Köln mit sechs Punkten Vorsprung. Vielleicht wäre für die Zebras ja noch mehr drin gewesen – am Ende stellten die Kölner aber die konstantere Mannschaft. Immerhin: Die Zebras begegneten dem Ligaprimus auf Augenhöhe. Die beiden Duelle endeten jeweils mit einem Unentschieden: 3:3 und 2:2.
Der MSV hatte die letzte Saison der Oberliga West 1963 hinter dem 1. FC Köln und Borussia Dortmund auf dem dritten Platz beendet. Damit hatten die Meidericher die Türe zur Bundesliga weit aufgerissen, hindurch schreiten durften sie aber erst etwas später. Alemannia Aachen meldete ebenfalls Ansprüche auf den Bundesliga-Platz an. Am Abend des 6. Mai 1963 hatten die Meidericher jedoch Gewissheit, Vereinswirtin „Jette“ Hesselmann konnte im Klubhaus an der Westender Straße die Korken knallen lassen. Aus der Zentrale des Deutschen-Fußball-Bund war das legendäre Telegramm in Duisburg eingetroffen. Fünf Wörter versetzten die Zebras in einen Freudentaumel: „Ihrem Aufnahmeantrag Bundesliga wurde stattgegeben.“
Meiderich gehörte somit zu den 16 wichtigsten Standorten im deutschen Fußball. Im Saisonverlauf soll Uwe Seeler vor dem Gastspiel mit „seinem“ Hamburger SV beim MSV gefragt haben: „Meiderich, wo liegt das denn?“ „Uns Uwe“ dementierte das viele Jahre später mit dem Hinweis, er habe sich nicht despektierlich über die Zebras äußern wollen, doch den Spruch wurde Seeler nicht mehr los. Die Meidericher gaben zwei Antworten: Sie besiegten den HSV im Wedaustadion mit 4:0. Und im „Zebra-Twist“, der ältesten Stadionhymne Deutschlands, hieß es später: „Wo Meiderich liegt, wo Meiderich siegt, ist überall bekannt.“
MSV Duisburg holt Helmut Rahn: Was für ein Paukenschlag
Zum Bundesliga-Debüt wartete der MSV mit einem Paukenschlag auf dem Transfermarkt auf. Der Boss hielt Einzug in Meiderich. Die Zebras verstärkten sich mit Helmut Rahn, dem Weltmeister von 1954, der im Endspiel gegen Ungarn den Siegtreffer für die Herberger-Elf erzielt hatte. Rahn, damals 33 Jahre alt, kam aus Enschede nach Duisburg und sorgte im beschaulichen Meiderich für Glanz und Trubel.
4000 Fans kamen zum ersten Training, um den „Helden von Bern“ zu sehen. So manchen Trubel hätten sich die MSV-Verantwortlichen gerne erspart: So blieb Rahn im Saisonverlauf mal für mehrere Tage vom Training fern. Der Klub brummte ihm dafür eine Geldstrafe in Höhe von 300 Mark auf. Trotzdem war Helmut Rahn wertvoll für die Zebras. In 18 Spielen erzielte der Weltmeister acht Treffer.
Vater des Erfolges war ein junger Trainer, der im weiteren Verlauf seiner Karriere noch weltweit für Furore sorgen sollte. Der MSV verpflichtete den 35 Jahre alten Rudi Gutendorf, der beim TSV Marl-Hüls tätig war. Der spätere Weltenbummler – mit 55 Trainerstationen in 32 Ländern schaffte es Gutendorf ins „Guinness-Buch der Rekorde“ – erwies sich schon in jungen Jahren als Fuchs. Seinen Trainervertrag unterschrieb er auf einer Speisekarte in einer Kölner Gaststätte – inklusive einer Prämie für die Vizemeisterschaft.
Die Mannschaft der Meidericher lebte vom Teamgeist
Die Duisburger Funktionäre, die nur an den Klassenerhalt dachten, staunten und mussten am Saisonende zahlen. 35.000 Mark wurden fällig.„Mit dem Abstieg wollte ich mich gar nicht befassen“, sagte Gutendorf, der im September 2019 im Alter von 93 Jahren verstarb, einmal. Gutendorf überraschte zudem mit einem damals unkonventionellem Spielsystem, das Taktiker heute als eine 4-2-4-ausrichtung bezeichnen würden. Der berühmte Riegel war erfunden, so hatte der Meidericher Coach auch schnell seinen Spitznamen weg: Riegel-Rudi.
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Neben Helmut Rahn hatte Gutendorf auch Heinz Höher und Torwart Manfred „Cassius“ Manglitz (beide spielten bei Bayer Leverkusen) nach Duisburg gelockt. Sie erwiesen sich als Königstransfers und ergänzten das Team perfekt. Die Neuzugänge verstärkten eine Mannschaft, die vom Teamgeist lebte. Beim MSV spielten echte Meidericher Jungs, die auch im Stadtteil aufgewachsen waren – so auch der legendäre Werner „Eia“ Krämer. „Wir waren ein eingeschworener Haufen“, erinnert sich Günter Preuß. Das Team funktionierte auch abseits des Spielfeldes, die Kicker verbrachten auch privat viel Zeit miteinander. Fußball-Romantik.
Der Meidericher SV startete fulminant in die Saison. Beim Karlsruher SC siegte die Gutendorf-Elf am ersten Spieltag 4:1. Eine Woche später folgte vor 36.000 Zuschauern ein 3:1-Heimsieg gegen Eintracht Frankfurt. Schon am zweiten Spieltag stand der MSV auf Platz zwei. Das galt zu diesem Zeitpunkt noch als eine schöne Momentaufnahme. Niemand – außer Rudi Gutendorf vielleicht – erahnte, dass der MSV auch am Saisonende auch auf diesem Platz stehen würde.
MSV macht den Vize-Titel am letzten Spieltag klar
Die Vizemeisterschaft machten die Meidericher am letzten Spieltag mit einem 3:0-Sieg über den 1. FC Kaiserslautern perfekt. Die punktgleiche Frankfurter Eintracht wies zwar aufgrund der mehr geschossenen Tore das bessere Torverhältnis auf, damals war jedoch der Torquotient entscheidend. Hier stand es am Ende 1,67:1,59 für den MSV.
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Noch heute ist Günter Preuß, der kurzzeitig (1985) beim MSV Cheftrainer war, mit Leib und Seele ein Zebra. Als der MSV 2019 dem Abstieg aus der 2. Bundesliga entgegen taumelte, wandte sich der ehemalige Kapitän mit einem Appell an die Fans, zu ihrer Mannschaft zu stehen – auch wenn dies angesichts der phasenweise desolaten Leistung der Mannschaft, schwer war.
Die Anhänger folgten Preuß und hielten ihrem Team die Treue. Geholfen hat es nicht, die Zebras stiegen ab. Es wurde in der Folgezeit sogar noch schlimmer: der verpasste Wiederaufstieg, der Einzug der Geisterspiele, finanzielle Probleme, und in der neuen Saison kämpft der MSV nun sogar in der 3. Liga gegen den Abstieg. Nicht nur Günter Preuß hofft, dass die Zebras bald die Wende zum Guten schaffen.