Kalkar. Hunderte Menschen haben am Samstag gegen den Parteitag der AfD in Kalkar demonstriert. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort.

Samstag, acht Uhr, ein Parkplatz am Wisseler See in Kalkar. Es ist usselig an diesem Morgen. Menschen unterhalten sich in kleinen Gruppen, trippeln sich warm, alle tragen Mund- und Nasenschutz, manchen ist die Müdigkeit anzusehen. Jannik Berbalk trichtert seinen Ordnern ein, worauf in den nächsten Stunden zu achten ist. Abstand, Maskenpflicht keine Sonnenbrillen. Berbalk ist der Organisator der Demonstration gegen die AfD , die etwa drei Kilometer entfernt im Wunderland ihren Bundesparteitag abhält.

Das Wunderland war einmal ein Kernkraftwerk. Ans Netz gegangen ist es nie. In den siebziger Jahren demonstrierten Zehntausende Menschen gegen den Schnellen Brüter, der in der niederrheinischen Provinz gebaut wurde, weil sie so dünn besiedelt ist. Das Projekt wurde Anfang der neunziger Jahre begraben, offiziell deswegen, weil es nicht mehr als wirtschaftlich rentabel angesehen wurde. Geblieben sind der gewaltige Kühlturm und das klotzige, graue Reaktorgebäude.

1000 Teilnehmende sind angemeldet – 300 sind da

Ein niederländischer Investor hat auf dem Gelände einen Freizeitpark errichtet, in den Gebäuden sind nun Hotelzimmer, Restaurants und Tagungsräume. Bis zu 500.000 Menschen kommen in normalen Jahren hierhin, Messebesucher, Kegelclubs, Familien, die hier für kleines Geld Alles-Inklusive-Wochenenden verbringen. Seit einigen Jahren kommt die AfD . 2017 und 2019 hat sie bereits im Wunderland Landesparteitage abgehalten. Die Abgelegenheit des Wunderlands nützt auch den Rechtsauslegern. Bei den vergangenen Parteitagen gab es wenig Gegenprotest.

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Das soll sich an diesem Samstag ändern. 1000 Teilnehmer sind bei der Polizei angemeldet, tatsächlich machen sich aber vielleicht 300 Menschen auf den Weg vom Wisseler See zum Wunderland. Die Polizei hat das ganz große Besteck aus dem Instrumentenkasten geholt. Einige Hundertschaften, die Reiterstaffel, Hubschrauber, Drohne, einige Kilometer weiter stehen Wasserwerfer bereit. Die Demonstration zieht durch das niederrheinische Nichts. Acker rechts, Wiese links.

„Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland“, skandieren einige junge Antifaschisten . Eine Rednerin kritisiert über den Lautsprecherwagen die AfD, weil sie in Pandemiezeiten nicht auf den Parteitag verzichtet hat. Rücksichtslos sei das. „Wir demonstrieren mit Abstand und Anstand“, ruft sie. Im Demonstrationszug wehen Fahnen von Jusos, der SPD, der IG Metall, den Linken, der Antifa, der Grünen. Viele Demonstranten tragen Schilder der Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“. Eine junge Frau trägt ein Schild mit der Aufschrift: „Wir wollen keine Alice in unserem Wunderland“, ein Seitenhieb gegen Alice Weidel, die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion der AfD.

„Mordor“ ist weiträumig von der Polizei abgesperrt

Der Demonstrationszug bewegt sich auf das Wunderland zu, Nebelschwaden wabern um das Reaktorgebäude und den Kühlturm. „Ah, da ist Mordor“, sagt einer, seine Begleiter lachen. Mordor, das ist das Reich des Bösen im Fantasy-Klassiker „Der Herr der Ringe“. Direkt vor das Gelände dürfen die Demonstranten nicht ziehen. Mordor ist weiträumig von der Polizei abgesperrt. Vor einem Kreisverkehr ist in zweihundert Metern Entfernung zum Wunderland eine Bühne aufgebaut worden. Auf die Straße sind Kreuze aufgemalt, Abstandsmarker. Mittlerweile ist die Menge auf etwa 500 Menschen angewachsen.

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„Ich bin hier, um Solidarität gegen die AfD zu zeigen. Das ist das einzige Mittel, um die Demokratie zu retten“, sagt Tim Verfondern. Der 45-Jährige ist aus Kleve angereist. „Ich will meinen Enkeln nicht irgendwann sagen müssen, ich habe nichts gegen das Anwachsen des Rechtsextremismus getan.“ Eine Rednerin auf der Bühne wirft der Partei vor, die Pandemie und den Faschismus zu verharmlosen und geistige Brandstifterin zu sein. „Wir wollen die AfD gesellschaftlich ächten“, ruft sie. „Alle zusammen gegen den Faschismus“, skandiert die Menge.

„Ich demonstriere hier für die Demokratie“

Redner aus den Bundestagsfraktionen von CDU, SPD, FDP, den Grünen und der Linken verurteilen die Politik der AfD, warnen vor einem weiteren Rechtsruck und beklagen die Veränderung des Klimas im Bundestag, immer wieder kommt zur Sprache, wie AfD-Fraktionsmitglieder in der vergangenen Woche Störer in den Bundestag einschleusten, die Abgeordnete und ihre Mitarbeiter belästigten. „Wir müssen aufstehen gegen Kräfte, die einen Keil in die Gesellschaft treiben wollen“, sagt der Kreis Klever CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Rouenhoff.

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„Ich demonstriere hier für die Demokratie, weil ich die zunehmende Spaltung in Deutschland als großes Problem empfinde“, erzählt Maria Baumann. Die 61-Jährige kommt aus Rees. Sie hat hier schon vor vierzig Jahren gegen den Schneller Brüter demonstriert. „Es ist tragisch, dass die so viel Zuspruch haben“, sagt sie und hebt das Kinn Richtung Wunderland. Sie sagt, sie freue sich, dass so viele Demonstranten gekommen sind, obwohl es so kalt und die Region so abgelegen ist.

Bürgermeisterin von Kalkar hätte mehr Zulauf erwartet

Britta Schulz hingegen hätte mehr Zulauf erwartet. Und sie hätte sich mehr gewünscht. Schulz ist die Bürgermeisterin von Kalkar und hat im Vorfeld bereits deutlich gemacht, was sie von der Veranstaltung im Wunderland hält – nichts. Den Demonstranten stellt Schulz ein gutes Zeugnis aus: „Es ist ruhig und vernünftig gelaufen.“ Dieses Resümee zieht auch die Polizei, als die Kundgebung um halb zwei endet. „Es war absolut friedlich“, sagt ein Sprecher.

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Bereits am Freitag hatten gut 200 Demonstranten vor dem Wunderland den Delegierten des AfD-Parteitags einen „unfreundlichen Empfang“ beschert. Auch bei dieser Kundgebung gab es keine Zwischenfälle.