An Rhein und Ruhr. Bundesweit kommen laut Verband jede Woche mehr als 50.000 schlachtreife Tiere hinzu. NRW-Ministerin will mehr Flexibilität.

Bei der Fleischerzeugung strebt Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) eine stärker regionalisierte Schlachthofstruktur und "mehr Flexibilität in Ställen" an. "Ein erforderlicher Strukturwandel in der Fleischbranche ist am Ende immer auch eine Frage des Preises", erinnerte die Ministerin an diesem Sonntag (1. November 2020) gegenüber der Redaktion.

Heinen-Esser nahm damit Stellung zum sogenannten "Schweinestau" vor Schlachthöfen. Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) hat aktuell beklagt, dass dieser immer länger werde. Deutschlandweit kämen jede Woche 50.000 bis 80.000 Tiere hinzu, meldete der Verband. Wegen der Hygieneauflagen können Betriebe nicht so hochtourig schlachten wie sonst.

10% Schlachtkapazität fehlen aktuell in NRW

In NRW stehen nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums in Düsseldorf etwa zehn Prozent der Schlachtkapazitäten corona-bedingt derzeit nicht zur Verfügung. Bundesweit hatte es in diesem Jahr zahlreiche große Corona-Ausbrüche bei Schlachthofbeschäftigten gegeben, bis hin zur zeitweiligen Betriebsstilllegung. Mitarbeiter mussten in Quarantäne.

In NRW waren u. a. die großen Schlachthöfe von Westfleisch in Coesfeld und Tönnies in Rheda-Wiedenbrück betroffen. Erst nach einem Rückgang der Infektionszahlen und unter strengen Auflagen konnten die Betriebe wieder anlaufen. Man habe erhebliche Anstrengungen unternommen, um in der Fleischindustrie die Einhaltung der Infektions- und Arbeitsschutzvorschriften durchzusetzen, heißt es bei der Landesregierung.

Verband: "Schweinestau immer dramatischer"

Der Schweinestau werde "immer dramatischer", meldet aber nun die ISN. Die Ställe füllen sich. Der Interessenverband ging zur Mitte der vergangenen Woche von einem Überhang von bundesweit etwa 540.000 Tieren aus - was einer Größenordnung von etwa zwei Dritteln einer Schlachtwoche entspreche. Vor allem betroffen dürften die beiden großen Erzeugerländer Niedersachsen und NRW sein.

Fleischerzeugung ist in Deutschland stramm durchgetaktet. Wenn die einen Tiere zum Schlachthof gefahren werden, kommen schon die nächsten Jungschweine zur Mast, zugleich werden wieder Säue neu besamt. Die bundesweit 10.000 Mitglieder starke ISN fordert in der aktuellen Lage etwas nebulös "Notstandsregelungen".

Verband fordert deutlich mehr Schlachtungen

"Es geht darum, Bürokratie und behördlichen Formalismus so weit zurückzudrängen, dass die Schlachter tatsächlich deutlich mehr schlachten können", erläuterte ISN-Geschäftsführer Torsten Staack. Er betonte, es gehe nicht um Notschlachtungen auf den landwirtschaftlichen Betrieben selbst.

Das NRW-Landschaftsministerium erinnerte gegenüber der Redaktion daran, dass eine Tötung der Schweine auf den Betrieben zur marktwirtschaftlichen Entlastung auch durchs Tierschutzrecht verboten ist. Anlass für die geforderten "Notstandsregelungen" erkennt man dort offenkundig nicht.

Weniger Kraftfutter, Ausweichställe

Tierschutzprobleme habe man bei den Schweinehaltern bisher vermeiden könnten, hieß es im Ministerium ausdrücklich. Beim jüngsten Treffen mit der Fleischbranche seien Vor-Ort-Maßnahmen verabredet worden wie die Gabe von weniger Kraftfutter oder die Nutzung von Ausweichställen.

Im Hause von Heinen-Esser sieht man Anzeichen, dass sich die Lage mittelfristig klärt - indem mehr Sauen geschlachtet und weniger Ferkel importiert werden. Auf lange Sicht helfe aber nur "mehr Flexibilität im System", so eine Sprecherin der Ministerin.

Ausnahmen an Sonn- und Feiertagen, flexible Nachtschichten

In der aktuellen Lage habe das NRW-Gesundheitsministerium dafür gesorgt, dass Schlachtbetriebe auf Antrag verstärkt Sonntag- und Feiertagsarbeit nutzen und ihre Nachtschichten flexibler einsetzen können.

Arbeitsschützer seien in den Betrieben immer wieder vor Ort: "Ihre starke Präsenz sorgt dafür, dass die Infektionsschutzregelungen eingehalten werden und zugleich weitere Schlachtbeschränkungen möglichst vermieden werden", hieß es auf Anfrage der Redaktion.