Aus den Niederlanden. Automaten-Sprenger aus den Niederlanden schlagen regelmäßig in NRW zu – das hat mehrere Gründe. So will die Polizei ihnen das Handwerk legen.

Ein Knall durchbricht die Stille in den frühen Morgenstunden dieses Septembertages – wieder wurde ein Geldautomat nahe der niederländischen Grenze gesprengt, diesmal in einer Tankstelle im münsterländischen Vreden. Zeugen sehen noch, wie nach der Explosion ein dunkler Audi mit einem in Gouda gestohlenen Kennzeichen davonrast.

Die Unbekannten entkommen wohl in die Niederlande, trotz Einsatz eines Polizeihubschraubers und Verständigung der niederländischen Polizei. Zusätzlich muss die Feuerwehr anrücken: Die Sprengung hat einen Brand im Gebäude ausgelöst, aus dem die Täter ohne Beute fliehen müssen – denn der Tresor im Automaten bleibt trotz Explosion unbeschädigt.

Eine brandgefährliche Tat ohne Erfolg – dafür mit besonders hohem Risiko. Denn bei den Explosionen und halsbrecherischen Fluchten bei Tempo 200 können nicht nur Unbeteiligte, sondern auch die Täter selbst schwer verletzt werden. Zwei mutmaßliche Geldautomaten-Sprenger waren erst Anfang des Jahres nach einem missglückten Coup in Emmerich in den Tod gerast.

Geldautomaten-Sprenger fahren aus den Niederlanden nach NRW

Doch das schreckt die Kriminellen nicht ab: Noch nie wurden in NRW so viele Geldautomaten gesprengt wie in diesem Jahr. Nach Angaben des Landeskriminalamts schlugen die Täter bis Mitte September schon 145 Mal zu – im Jahr zuvor waren es bis zu diesem Zeitraum nur 63 Sprengungen. Nach Angeben von Innenminister Herbert Reul (CDU) wurden mit den Sprengungen in NRW innerhalb von fünf Jahren bereits mehr als 30 Millionen Euro erbeutet.

Dass die Spur auch nach dieser Geldautomaten-Sprengung wieder in die Niederlande führt, hat System: In 85 Prozent aller Fälle von Automaten-Sprengungen in NRW kommen die Tatverdächtigen – die oft einen marokkanischen Migrationshintergrund haben – aus den Niederlanden. Dort werden sie „Plofkrakers“ genannt. Wörtlich übersetzt: Knallknacker. Hochprofessionelle Gruppen mit Spezialisten für den Bau von Sprengsätzen, für Waffen und Autodiebstahl.

Während sich NRW immer massiveren Angriffen der „Plofkrakers“ ausgesetzt sieht, ist es in den Niederlanden gelungen, die Gasexplosionen auf „beinahe null“ zurückzudrängen, wie es seitens der niederländischen Polizei heißt.

Ein Grund: In den Niederlanden sollen die Banken auch selbst für ihren Schutz sorgen – was sie auch getan haben. So verfügen viele Automaten in den Niederlanden über Systeme, bei denen die Geldscheine im Fall von Sprengungen mit Tinte, Farbe oder Leim beschmiert und dadurch unbrauchbar gemacht werden.

Wälzt die Niederlande das Problem auf Deutschland ab?

Für diese Strategie greift der niederländische Kriminologe Cyrille Fijnaut die dortigen Behörden an. Das Problem werde auf Deutschland abgewälzt. Statt koordiniert gegen die Banden vorzugehen, werde das Problem privatisiert, sagte Fijnaut jüngst der Deutschen Presse-Agentur. „Es wundert mich, dass der niederländische Justizminister von Deutschland noch nicht einbestellt worden ist.“

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Das geht Polizeiexperten in NRW allerdings zu weit: „Dass das Problem auf Deutschland abgewälzt wird, ist falsch“, so Michael Maatz, Kripobeamter und stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei NRW (GdP). Es gebe zwar einen Verdrängungseffekt, da die Sprengungen in den Niederlanden unattraktiv geworden seien. Das werde aber auch in NRW der Fall sein, wenn die Automaten „endlich besser gesichert“ würden.

„Wer das Risiko schafft, muss auch für die Sicherheit sorgen“, sagt auch Thomas Feltes, der bis 2019 den Lehrstuhl für Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum inne hatte. „Es kann nicht sein, dass es Geldautomaten in Deutschland gibt, die die Sicherheitsmerkmale nicht erfüllen.“ Die Zusammenarbeit zwischen den deutschen und niederländischen Behörden laufe exzellent, betonen sowohl Maatz als auch Feltes.

Ist mehr Prävention in den Niederlanden nötig?

So gibt es eine eigens eingerichtete deutsch-niederländische Ermittlungskommission mit dem bezeichnenden Namen „Heat“ und weitere Gruppen, wie grenzüberschreitende Polizeiteams, die eng mit den Niederlanden kooperieren. „Alle diese operativ ausgerichteten Verfahren hatten in der Regel die Festnahmen und anschließende Verurteilung von Straftätern zur Folge“, so Frank Scheulen, Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA).

Doch muss die niederländische Polizei noch entschiedener gegen die Kriminellen in ihrem Land auftreten, wie es der Kriminologe Fijnaut fordert? Professor Feltes nennt diese Forderung „zu oberflächlich“. „Wir wissen, dass Menschen dort, wo sie sich nicht integrieren können oder wollen, möglicherweise in die Kriminalität abrutschen.“

„Was Herr Fijnaut meint, ist, dass man bei Jugendlichen frühzeitig präventiv tätig werden, ihnen eine Perspektive aufzeigen muss“, sagt Maatz von der GdP. „Ob man da in den Niederlanden mehr machen muss, kann ich nicht beurteilen. Es ist auch schwer, in diese Strukturen reinzukommen.“

Geldautomaten in NRW müssen besser gesichert oder abgebaut werden

Unterdessen heißt es seitens des LKA: „Bei der Anzahl der Taten, die zu bearbeiten sind und den sich daraus ableitenden Arbeitsumfängen, ist es offensichtlich, dass umfangreiche personelle Ressourcen in den Niederlanden zur Verfügung gestellt werden müssen“, so Scheulen. Hier sei NRW auf die Niederlande angewiesen.

Konkreten Handlungsbedarf gibt es aber vor allem in NRW. „Man sieht anhand der Fallzahlen, dass diese Taten trotz des Risikos einer Festnahme immer noch sehr lukrativ erscheinen“, sagt der LKA-Sprecher. Deshalb sei ein ganzheitliches Bekämpfungskonzept notwendig, das neben der Zusammenarbeit mit der niederländischen Polizei und Justiz auch Sicherung und Abbau von Geldautomaten erfordere. Auch die Akzeptanz des bargeldlosen Zahlungsverkehrs müsse weiter steigen. Um den Kriminellen keinen Anreiz zu bieten, weiterhin über die Grenze zu kommen – sodass Vreden und NRW nicht weiter von Geldautomatensprengungen erschüttert werden.

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