An Rhein und Ruhr. Rechtsextremismus-Vorwürfe, Parteiauschlussverfahren, Anzeigen: Vor den Kommunalwahlen eskaliert der Machtkampf in den Kreisverbänden der AfD.

Seit Anfang Juni kursiert ein Video-Schnipsel vom Kreisparteitag der AfD in Herne im Netz. Auf ihm ist zu sehen, wie ein Mann nach einem Gerangel zu Boden geht. Es ist Armin Wolf, der im Dezember vergangenen Jahres vom Landesvorstand seines Postens als Kreissprecher enthoben wurde. Aus dem Off ist hören, wie eine Frau laut lacht und sagt: „Ich wusste gar nicht, dass das so lustig wird.“

Die Szene ist bezeichnend für den Zustand der AfD in Nordrhein-Westfalen. Vor den Kommunalwahlen eskalieren interne Auseinandersetzungen in einer Weise, die selbst für die Verhältnisse der ohnehin tief zerstrittenen Partei bemerkenswert brutal und selbstzerstörerisch ist.

Die jeweiligen Motivlagen für die Grabenkämpfe im Kapillarsystem der Partei sind vielfältig, häufig ist schwer, wenn nicht unmöglich zwischen politischen und persönlichen Beweggründen für gegenseitige Attacken und Diffamierungskampagnen zu unterscheiden.

Sehr häufig taucht in Gesprächen und Dokumenten der Vorwurf an Funktionäre auf, die Partei auf einen strammen Rechtsaußenkurs zu führen, was bisweilen zu skurrilen Situationen führt. Am Montag hat etwa der Bezirksvorstand Münster Einspruch gegen die Kandidatenaufstellung des Kreisverbandes Münster eingelegt. Das könnte zur Folge haben, dass die AfD in Münster nicht zur Kommunalwahl antreten kann.

Bezirksvorsitzenden droht Parteiausschluss

Der Münsteraner Bezirksvorsitzende Steffen Christ begründet den Einspruch damit, dass auf der Liste mindestens ein Kandidat aus „dem rechtsradikalen Milieu“ stünde. Der Kreisvorsitzende Martin Schiller hält Christ hingegen vor, ein Anhänger des völkischen „Flügels“ zu sein, jener rechtsextremistischen Strömung in der Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, und die deswegen im Mai offiziell aufgelöst wurde.

Schiller ist gleichzeitig Notvorstand des Kreisverbandes Coesfeld, dessen kompletter Vorstand Anfang Juli das Handtuch warf. Auch gegen die rudimentäre Kandidatenliste in Coesfeld hat der Bezirksvorstand Einspruch eingelegt, weswegen der Landesvorstand nun ein Parteiausschlussverfahren gegen Steffen Christ einleiten will.

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In Herne tritt der zutiefst zerstrittene Kreisverband mit zwei Listen an, es droht ein Rechtsstreit. Im Kreis Unna, wo der langjährige Kreissprecher Michael Schild Anfang Juli frustriert das Handtuch warf, hat der Bezirksvorstand Arnsberg Einspruch gegen die Kandidatenliste eingelegt, dort wird die AfD definitiv nicht mit einer Reserveliste für den Kreistag antreten.

Im Oberbergischen Kreis kandidiert für die Kreistagswahl und die Gemeinderatswahl in Radevormwald ein Mann, der zuvor auf dem Ticket der rechtextremistischen Vereinigung Pro NRW in beide Gremien gekommen war. Für Pro NRW gilt eigentlich ein Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD. Dass der Kandidat aufgestellt wurde, bezeichnet der AfD-Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen als „nicht besonders glücklich“. Da er aber kein Parteimitglied sei, greife der Unvereinbarkeitsbeschluss nicht.

Kritiker: Kreisverband Wesel auf klarem Rechtskurs

Besonders heftig brodelt es derzeit in den Kreisverbänden Duisburg und Wesel. In Wesel wird Kreissprecher Renatus Rieger seit Jahren von Parteimitgliedern für seinen Führungsstil kritisiert. Im April 2018 trat der komplette Restvorstand zurück, weil mit dem früheren Bundeswehr-Hauptmann keine „konstruktive Zusammenarbeit“ möglich sei.

Rieger, so heißt es, führe den Verband autoritär, quasi-militärisch und auf einen klaren Rechtskurs. Kritiker dieses Kurses würden bedroht, die lichter werdenden Reihen der Mitglieder durch „Jogginghosenträger“ aufgefüllt. Rieger bestreitet, den Kreisverband auf einen rechten Kurs zu führen. Völkisches Gedankengut „widert mich an“, sagt er auf Anfrage.

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Vor den Kommunalwahlen ist der Konflikt nun vollends entgleist. Am 6. Juni erhalten einige Parteimitglieder eine Zuschrift, abgeschickt angeblich von einer privaten Mailadresse Riegers. Inhalt: Die Absage der für den nächsten Tag geplanten Aufstellungsversammlung in Rheinberg. Diese aber findet statt, weswegen die Partei-Renegaten behaupten, sie hätten von der Versammlung ausgeschlossen werden sollen.

Der Kreissprecher bezeichnet die Mail als gefälscht, fühlt sich diffamiert und stellt eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft in Kleve. Allerdings wird auch eine Absage an ein Parteimitglied durchgestochen, die von Riegers offiziellem AfD-Account verschickt worden sein soll. Auch diese hält der Kreissprecher für gefälscht.

Strafanzeige gegen den Kreisverbandsvorsitzenden

Gegen die Aufstellungsversammlung liegen beim Kreis Wesel fünf Beschwerden vor, mutmaßlich sämtlich von Parteimitgliedern. Gibt der Wahlausschuss diesen Beschwerden statt, stünde die AfD in Wesel ohne Kandidaten dar. Jedoch ist der Partei ohnehin nur gelungen, Kandidaten für den Kreistag und die Stadtratswahl in Moers und Rheinberg aufzustellen.

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In sämtlichen anderen Kommunen im Kreis Wesel tritt die AfD mangels Bewerbern nicht an. Zudem hat mindestens ein Parteimitglied im Zuge der Querelen um die Aufstellungsversammlung gegen Rieger Anzeige wegen Nötigung bei der Kreispolizeibehörde in Wesel gestellt.

Auf Facebook agitiert Rieger mit grenzwertigen Ausfällen gegen den Moerser SPD-Bürgermeisterkandidaten Ibrahim Yetim, den er als „linken Hassprediger“ diffamiert. Gegen seinen Stellvertreter wurde im Frühjahr vergangenen Jahres parteiintern ermittelt, weil er in Chat-Gruppen rassistisch und nationalistisch ausfällig geworden sein und damit die Partei geschädigt haben soll. Das geht aus einem Schriftsatz aus dem Frühjahr 2019 hervor, der als Formulierungshilfe für den damaligen Landesvorstand dienen sollte. Laut Rieger bestreitet sein Stellvertreter die Vorwürfe, das Verfahren wurde später eingestellt.

Einspruch gegen Aufstellungsversammlung der AfD Duisburg

Der damalige und als vergleichsweise moderat geltende Landesvorsitzende Helmut Seifen konnte sich in seinem Bemühen, die Rechtsausleger im Landesverband aus der Partei zu werfen oder sie zumindest ihrer Ämter zu entheben, nicht durchsetzen, weswegen im Juli vergangenen Jahres ein Großteil des Landesvorstands zurücktrat. Gegen Seifen selbst wurde in diesem Frühjahr ein Parteiausschlussverfahren in die Wege geleitet, das aber ebenfalls im Sande verlief.

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Neben Riegers Stellvertreter stand auch Andreas Laasch auf der Liste derjenigen Parteimitglieder, gegen die der damalige Landesvorstand vergeblich wegen rechtsextremer Umtriebe im Internet vorgehen wollte. Laasch ist der Kreissprecher der Duisburger AfD. Auch in diesem Kreisverband geht es hoch her. Mindestens ein Parteimitglied hat bei der Kreiswahlleiterin Einspruch gegen die Aufstellungsversammlung am 12. Juli eingelegt, bei der zwei interne Kritiker von der Reserveliste gewählt wurden.

Rechtsextremismusvorwürfe gegen Duisburger Kreissprecher

Aus den Reihen der Kritiker wird Laasch vorgeworfen, er führe den Verband „wie eine Sekte“ und ebenfalls nach rechtsaußen, es ist von einer „braunen Ursuppe“ die Sprache. Der NRZ wurde die Kopie eines Dokuments zugespielt, das belegen soll, dass Laasch in den frühen neunziger Jahren im Umfeld der 1995 verbotenen neonazistischen FAP aktiv war.

Das Schreiben wurde von einem damaligen FAP-Funktionär unterzeichnet wurde, ein Gutachter bestätigte im November 2019, dass es zu der damaligen Zeit, also 1992 geschrieben worden sein könnte. In dem Schreiben heißt es, „in und um das Stadium und den MSV“ seien diverse Aktivisten, darunter ein Andreas Laasch, „besonders aktiv“ gewesen und hätten „viele Sympathisanten für unsere Sache gewinnen können“.

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Laasch weist diesen Vorwurf auf Anfrage strikt zurück. Er habe sich in den neunziger Jahren „nicht im Neo-Nazi-Umfeld bewegt“. Ebenso wehrt sich Laasch dagegen, als Freund des 1979 wegen Rechtsterrorismus verurteilten Lothar S. bezeichnet zu werden. Dieser sei ihm als „als älterer Herr mit Hund“ aus seiner Nachbarschaft bekannt.

Zwar sei S. einmal auf einer AfD-Veranstaltung in Duisburg aufgetaucht, er habe aber Hausverbot für künftige Veranstaltungen erhalten. Denn, so Laasch: Die Parteistatuten der AfD duldeten „keine ‘ehemaligen‘, wenngleich auch möglicherweise geläuterten Rechtsextremen auf ihren Veranstaltungen“.

Landesvorsitzender spricht von innerparteilichem Widerstand

Der Duisburger Kreisparteichef wirft seinen Kritikern vor, gegen ihn zu agitieren, weil er den „moderaten Kurs“ des jetzigen Landesvorsitzenden Rüdiger Lucassen unterstütze. Der wiederum erklärt den desolaten Zustand der Partei damit, dass „sich unter dem Deckmantel des ehemaligen Flügels“ Gruppen und Gruppierungen manifestiert hätten. „Diese leisten zum Teil weiterhin innerparteilichen Widerstand“, so Lucassen. „Offensichtlich scheint das ein wenig symptomatisch für den Landesverband NRW zu sein.“