Düsseldorf. In Düsseldorfs Altstadt ist es am Wochenende wieder zu eng geworden. Die Polizei zieht Bilanz und berichtet von Schlägereien und Messerstecherei.
Mit der Enthemmung steigt das Risiko, mit dem Pegelstand sinkt die Einsichtsfähigkeit. Die Polizeibilanz vom Wochenende in der Düsseldorfer Altstadt: Freitagnacht 1 Uhr: Schlägerei auf dem Burgplatz, Pfeffersprayeinsatz. Sonntagfrüh 4.17 Uhr: Messerstecherei, zwei junge Männer, 19 und 21 Uhr, kommen erst ins Krankenhaus und werden dann festgenommen. 4.42 Uhr: Massenschlägerei, und 40 Minuten später gleich nochmal.
Und in fast allen Fällen berichten die Beamten: Selbst Umstehende seien alkoholisiert, aggressiv, provozierten und hielten Abstände nicht ein. Einzige Lösung: Mehr Beamte, „robustes Einschreiten“, so die Polizei. Klingt ein wenig nach Stuttgart vor einer Woche, doch solche Szenen will die Stadt Düsseldorf vermeiden. Dabei beginnen die Nächte harmlos, freundlich, nahbar. Der Oberbürgermeister erfährt es am eigenen Leib, buchstäblich: Den Spagat zwischen Rausch und Risiko, zwischen Feiern und Vorsicht.
Der Oberbürgermeister mahnt: „Das geht so nicht, das ist zu eng!“
Als sich Thomas Geisel am späten Freitagabend in den Trubel stürzt, kommen einige freudestrahlend auf ihn zu. Flugs hat er einen Cocktail in der Hand und Leute im Arm – und nicht jeder trägt einen Mundschutz. Dem Gedrängel vorm Brauhaus Kürzer entronnen, nimmt er noch einen Schluck der fruchtigen Mischung „Sex on the Beach“ und macht dann aber klar: „Das geht so nicht, das ist zu eng!“
Wie kriegt Düsseldorf die Altstadt in den Griff?
Das weiß auch der Troß in seinem Gefolge: Ordnungsdezernent Christian Zaum und Vertreter von Ordnungsdienst, Polizei, Feuerwehr und Rheinbahn. „In den letzten Wochen ist die Düsseldorfer Altstadt von Wochenende zu Wochenende voller geworden“, erklärt Zaum. Schon um neun marschiert ein weitgehend nackter Cowboy mit umgeschnallter Gitarre die gut gefüllte Bolker Straße zwischen „Villa Wahnsinn“, „Ballermann 6“ und „Bolker 9“ hinunter, die Menschen am Rand nuckeln am Happy-Hour-Cocktail zu 7,90 Euro und singen mit.
Energy-Drink-Gummibärchenduft, gemischt mit Wodka und Testosteron
Meist sind es um diese Zeit noch Pärchen. Gepflegtes Essen gehen zu zweit, aber es gibt auch Frauengruppen, hochhackig, kurzrockig, parfümschwer von denen sich einige im Laufe der Nacht in jeder Hinsicht zerstreuen werden. Und es gibt die Jungmännergruppen, die schon auf der Rolltreppe von der U-Bahn-Station aufwärts den Plastikbecher kreisen lassen: Duftkreation aus Energy-Drink-Gummibärchen-Aroma, gemischt mit Wodka und Testosteron.
Schön für die Wirte, schön für die Besucher, die auch an diesem Abend die Frage, warum es am Rhein so schön ist, für sich beantworten: Je nach Geschmack mit Altbier und Frikadelle an der längsten Theke der Welt, mit Weißweinschorle und Scampi im Biergarten der Weißen Flotte oder mit Beatbox und Bierkasten auf den Stufen des Burgplatzes. Leute gucken, Schiffe zählen, Shisha rauchen – und endlich mal wieder das Gefühl genießen, dass alles noch da ist: der Sommer, das pralle Leben und die Lust am Rausch.
Und da genau beginnt das Problem: Mit der Enthemmung steigt auch das Risiko, mit dem Pegelstand sinkt die Einsichtsfähigkeit. Am ersten Sommerwochenende hatten Polizei und Ordnungsdienst in der Altstadt alle Hände voll zu tun. Und mit dem Seitenblick nach Süddeutschland weiß man auch: Ein zweites Stuttgart will hier keiner erleben.
Ein Crowdmanager soll die Menschenmassen zu zerstreuen helfen
Also wird im Besprechungsraum am Freitagabend um 21 Uhr erstmals die Koordinierungsgruppe zusammen gerufen. Und überlegt, wie der Weg aussehen für sommerliches Altstadtleben unter Corona-Bedingungen – denn auch in Düsseldorf steigen die Zahlen wieder. Sicher: Man kennt Junggesellenabende und Fortunaspiele, Großkonzerte und Karneval. Aber Altstadtleben unter Corona-Bedingungen – das ist neu. Deswegen sitzt auch ein Crowd-Manager mit in der Runde. Seine Expertise soll helfen, die Menschenmengen coronagerecht zu verteilen.
Klar ist relativ schnell: Es ist schwierig – und es gibt keinen geraden Weg durch eine Menschenmenge: Man muss auch nüchtern betrachtet Schlangenlinien laufen, wird sich vortasten müssen. Macht eine Maskenpflicht für den gesamten Altstadtbereich Sinn? Eher nicht, weil nicht kontrollierbar und kaum durchsetzbar, lautet die Antwort. Fußgängereinbahnstraßen wie bei den Aufgängen am Hauptbahnhof? Vielleicht.
Auf der Kurzen Straße ist kaum ein Durchkommen
Doch eher geht der Weg dahin, mit den unglücklicherweise besonders erfolgreichen Wirten zu reden. Auch an diesem Freitagabend muss der Betreiber vom Kürzer gegen Mitternacht den Außerhaus-Verkauf einstellen. Zu eng stehen die Menschen auf der Straße, zwischen Cocktail-Bar und Altbierausschank ist kaum ein Durchkommen. Mundschutz? Stört beim Trinken. Mühevoll bahnt sich ein Pfandflaschensammler mit einem Einkaufswagen voller Leergut den Weg. In der obersten Lage unter anderem eine Flasche „Corona Extra“.
Doch das Virus lässt sich nicht so leicht einsammeln wie die Pullen mit Mexiko-Plörre. In dieser Nacht gegen Mitternacht greift die Polizei ein: Belehrung, Ermahnungen und gute Worte und die Menschentraube vor dem Ausschank löst sich auf – mit einigen weniger guten Widerworten auf der Seite der feierdurstigen Besucher, die den Platz an der Säufersonne ungern verlassen.
Immerhin, am nächsten Tag gibt es schon erste Ansätze: OB Geisel ist im Dialog mit Kürzer-Betreiber Hans-Peter Schwemin: Auf dem Burgplatz, wo es etwas luftiger ist, könnte doch ein Biergarten entstehen. Dafür verzichtet Schwemin auf den Außer-Haus-Verkauf. So könnte sich die Altstadtstraßenverengung vielleicht therapieren lassen.
Anti-Anstoßkreise auf dem Burgplatz helfen – zeitweise
Ähnliches auf der Treppe am Burgplatz: Auch hier sind wie am Stadtstrand etwas weiter stromauf und auf dem Burgplatz selbst Kringel aufgemalt worden. Quasi Anti-Anstoßkreise. Pro Kringel eine maximal zehnköpfige Gruppe, ringsrum Flanierraum. Klappt aber auf den Stufen nicht – da sitzen die Menschen lieber in langen Reihen und schauen auf den Rhein. Also muss die Polizei gegen Mitternacht den Straßenmusiker mit Verstärker wegschicken, die Treppe räumen und rollt Flatterband aus. Zunächst ohne große Widerworte. Die Prügelei kommt erst eine Stunde später.
Die Polizei hat schon am frühen Abend Präsenz gezeigt: fünf Mannschaftswagen stehen am Fanshop der Fortuna. Dort wird am Samstagabend Trauerstimmung herrschen über den unerwarteten Zweitligaabstieg. Und die Koordinierungsgruppe schaut wieder aufmerksam auf die Altstadt schauen: Wie viele traurige Fortunafans kommen zum Frustsaufen? Und wie bekommt man es hin, dass zu Dutzenden geteiltes Fortuna-Leid nicht auch noch Corona-Leiden auslöst?
„Aggressive Grundstimmung“ in der Nacht zu Sonntag
Ordnungskräfte und Polizei haben es in der Nacht zum Sonntag auch wieder wie die Schiedsrichter auf dem Platz versucht: Mit Ermahnungen – und schließlich mit Platzverweisen. Und dennoch hatten Polizei und Ordnungsdienst mit diversen Rudelbildungen zu kämpfen. Die Polizei sprach am Sonntag von „latent aggressiver Grundstimmung“ und „fehlender Kooperationsbereitschaft“. Egal, was die Temperaturen machen: Der Altstadt scheinen noch viele heiße Sommerwochenenden bevorzustehen. Und eines wissen auch die Stadtoberen: „Wir haben in Düsseldorf die engste Theke der Welt“ – das kann nicht die Leitlinie sein.