An Rhein und Ruhr. Vor allem wochentags leben viele Jugendherbergen in NRW von Schulklassen. Eine baldige Rückkehr scheint aber unwahrscheinlich. Die Lage vor Ort.

Ursula Hiepler sitzt im Innenhof der Xantener Jugendherberge, den Mundschutz griffbereit unters Kinn geklemmt. „Normalerweise wäre die Eingangshalle jetzt komplett voll“, erzählt die Leiterin. Tobende Kinder, umherfliegende Koffer, laute Schreie: „Der klassische Abreisestress, bevor ab Mittag die neuen Gäste eintreffen.“ Aufgedrehte Schüler und Lehrer, die in dem ganzen Durcheinander um etwas Ordnung bemüht sind, sucht man jedoch vergeblich. „Ich arbeite seit 2004 hier“, sagt Hiepler. „Aber eine Phase, in der so wenig los war, habe ich noch nie erlebt.“

Bis Pfingsten musste die Einrichtung wegen der Corona-Pandemie geschlossen bleiben. Seit der Wiedereröffnung würden die Besucherzahlen zwar steigen – allerdings nur an Wochenenden und Feiertagen. „Auch für die Ferien überschlagen sich die Anfragen von Familien und Jugendgruppen“, so Hiepler. „Die große Frage ist aber: Wie geht es danach weiter?“ Was fehle, seien die Schulklassen, ohne die sich ein Betrieb unter der Woche kaum lohne. „Wir nutzen Montag bis Freitag hauptsächlich zum Reinigen.“

Ohne Schulklassen fehlt eine wichtige Einnahmequelle

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Rund 40 Kilometer entfernt, vor den Toren der MSV-Arena, leitet Thomas Kralik die Duisburger Jugendherberge am Sportpark. Auch hier dürfen seit Pfingsten wieder Gäste übernachten. An Wochentagen halte sich die Besucherzahl aber in Grenzen. „Wir haben heute elf Gäste“, so der 51-Jährige. Während von Montag bis Freitag zwischen zehn und 40 Besucher einchecken, kämen an Wochenenden bis zu 100 Gäste – eine Auslastung von rund 50 Prozent. Viel mehr sei wegen der Corona-Auflagen auch gar nicht möglich. „Es sei denn, es kämen ausschließlich Familien“, erklärt Kralik.

Die Einrichtung profitiere davon, dass der Fokus neben Klassenfahrten auch auf Tagungen, Veranstaltungen und Sportvereinen liege. „Wir sind nicht ganz so abhängig von Schulklassen wie andere Jugendherbergen“, so Kralik. Trotzdem hätten Klassenfahrten vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie unter der Woche rund 50 bis 60 Prozent der Belegung ausgemacht. Diese Einnahmen sind nun komplett weggebrochen. „Außerdem hätten wir hier viele große Veranstaltungen gehabt, die leider abgesagt werden mussten.“

Auslastung im Herbst „wird mitentscheidend sein“

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Cathrin Arnemann, Marketingchefin des DJH-Landesverbands Rheinland, zu denen auch die beiden Jugendherbergen in Xanten und Duisburg gehören, warnt vor massiven finanziellen Folgen. „Derzeit konnten wir wirtschaftlich bedingte Schließungen vermeiden“, so Arnemann. „Die Auslastung im Herbst wird mitentscheidend sein, wie die Zukunft der rheinischen Jugendherbergen aussehen wird.“ Da Klassenfahrten in NRW nach den Sommerferien wieder erlaubt sind, hofft die Marketingchefin auf eine baldige Stabilisierung der Auslastung.

Zurück in Xanten: Leiterin Hiepler führt durch die Jugendherberge und erläutert einige Maßnahmen des 20-seitigen Hygienekonzepts: Plexiglasscheiben am Empfang, Markierungen in den Fluren, Desinfektionsmittelspender. An eine schnelle Rückkehr der Schülerinnen und Schüler glaubt sie nicht. „Ich denke, das wird in diesem Jahr ganz schwierig.“ Die meisten Schulen hätten ihre Klassenfahrten bereits bis Dezember abgesagt. „Viele Lehrer sagen uns, sie würden unheimlich gerne anreisen“, so Hiepler. „Aber sie müssen hinterher den Kopf hinhalten, falls doch etwas schiefläuft.“

Gemeinschaftscharakter leidet unter Corona-Regeln

Gäste treffen wir während unseres Rundlaufs nicht an. Lediglich einige Küchenhilfen und Gärtner, die ungestört ihrer Arbeit nachgehen. Weil neben den Schulklassen derzeit auch zwei Drittel der Belegschaft fehlen, herrsche wochentags eine gespenstische Stille. „Was dazu geführt hat, dass sich auf dem Gelände Kaninchen ausgebreitet haben“, sagt die Leiterin. Hunderte Löcher hätten ihre Mitarbeiter gezählt. „Selbst auf dem Beachvolleyballplatz.“ Etwas Ruhe vom stressigen Alltag sei zu Beginn der Pandemie gar nicht so verkehrt gewesen, meint Hiepler: „Aber nicht diese Totenruhe.“

Über Kaninchenlöcher kann sich in der Duisburger Jugendherberge keiner beklagen – wenngleich es in der Einrichtung derzeit ähnlich ruhig zugehe. „Die Corona-Auflagen verhindern, dass die Gäste miteinander ins Gespräch kommen, neue Freunde kennenlernen oder sich einfach spontan auf dem Fußballplatz treffen“, sagt Kralik. Am sichtbarsten werden diese Einschränkungen im Speisesaal: Absperrband vor den Getränkeautomaten, Namenskärtchen statt freier Sitzwahl, Bestellung statt Selbstbedienung. Selbst die Stuhlordnung wurde angepasst, damit die Gäste den Mindestabstand wahren.

Auch Kralik glaubt an einen langen Gewöhnungsprozess. „Bis sich das Schulfahrten-Geschäft normalisiert, wird es noch dauern.“ Aufgrund des verpassten Lehrstoffs hätten Lehrer und Eltern derzeit andere Sorgen. „Da sind Klassenfahrten derzeit nicht Priorität A.“ Dennoch will der zweifache Vater nicht aufgeben. Auch Hiepler hofft auf eine baldige Rückkehr der Schulklassen. Schließlich seien ihr tobende Kinder und umherfliegende Koffer deutlich lieber als die gespenstische Stille in der Eingangshalle.