Düsseldorf. Studienleiter Prof. Dr. Jörg Timm zieht eine positive Zwischenbilanz. Doch wie sieht er die Erfolgschancen? Und welche Schwächen hat die Studie?

In 110 Düsseldorfer Kitas wird seit dem 10. Juni getestet, was das Zeug hält: Rund 3.900 Kinder und 1200 Erzieherinnen und Erzieher nehmen an einer vierwöchigen Modellstudie der Uniklinik Düsseldorf teil. Zweimal wöchentlich werden Speichelproben aus den Kitas eingesammelt. Studienleiter Prof. Dr. Jörg Timm spricht mit Volontär Dennis Freikamp über den Start der Tests – und die Erfolgschancen der Studie.

Was genau möchten Sie mit Ihrer Kita-Studie herausfinden?

Mit den engmaschigen Untersuchungen wird das Ziel verfolgt, möglichst alle Infektionen in einer frühen Phase zu erfassen und damit ein möglichst gutes Bild des Infektionsgeschehens in Kitas zu erhalten. Mit der zweimal wöchentlichen Untersuchung gehen wir davon aus, dass die Phase der hohen Virusausscheidung in den ersten Tagen der Infektion vor Symptombeginn erfasst wird, die als eine besonders wichtige Zeit für Ansteckungen gesehen wird. Falls Infektionen in den Kitas gefunden werden, soll dann gemeinsam mit dem Gesundheitsamt untersucht werden, ob es zu weiteren Infektionen im Umfeld gekommen ist.

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Klappt bei der Probenabgabe bislang alles reibungslos oder sind bereits Unregelmäßigkeiten aufgetreten?

Bisher laufen die Untersuchungen sehr gut. Natürlich wird auch mal eine Probe vergessen oder ein Röhrchen wird leer abgegeben, aber der Einsatz der Kitas und der Eltern ist wirklich toll, sodass vergessene Proben zum Teil sogar persönlich ins Institut für Virologie gebracht werden. Bei den ersten Untersuchungen hatten wir einen Rücklauf von etwa 90 Prozent. Das ist mehr als wir erwartet hatten.

Auch die Ruhr-Uni Bochum will herausfinden wie ansteckend das Virus bei Kita-Kindern ist. In der Bochumer Studie werden allerdings Bluttests durchgeführt. Welche Methode liefert genauere Ergebnisse?

Mit Bluttests ist es möglich, eine Bestimmung der Antikörper gegen das neue Coronavirus durchzuführen und damit eine Abschätzung der Häufigkeit von abgelaufenen SARS-CoV-2-Infektionen zu machen. Das ist eine andere Fragestellung als in unserer Studie. Wir interessieren uns mehr für Neuinfektionen und die Dynamik des Infektionsgeschehens in Kitas. Ich denke, dass beide Ansätze ihren eigenen Wert haben und sich prinzipiell gut ergänzen.

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Mithilfe der Tests soll unter anderem die Rückkehr zum eingeschränkten Regelbetrieb überwacht werden. Wäre es dann nicht sinnvoller gewesen, während der Testphase ausschließlich die an der Studie teilnehmenden Kitas zu öffnen?

Die politische Entscheidung für eine Öffnung der Kitas hängt natürlich von vielen Faktoren ab, von denen das aktuelle Infektionsgeschehen nur ein Aspekt ist. Die Entscheidung für den eingeschränkten Regelbetrieb ist unabhängig von der Planung der Studie getroffen worden. Mit der Studie wollen wir neue Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Rolle Kinder in Kitas für die Verbreitung des neuen Coronavirus haben. Für so eine Untersuchung ist die Phase der Öffnung im eingeschränkten Regelbetrieb ein guter Zeitpunkt. Wobei wir auch einschränkend sagen müssen, dass dank der aktuell glücklicherweise niedrigen Infektionsaktivität in Deutschland die Aussagekraft der Untersuchungsergebnisse möglicherweise limitiert ist.

Mal angenommen, Sie stellen in einer der Testreihen fest, dass fünf Kinder einer Kita-Gruppe infiziert sind. Können Ihre Ergebnisse zeigen, ob sich die Kinder untereinander und nicht etwa zuhause bei Verwandten infiziert haben. Oder geht es erstmal nur darum, die Gesamtzahl der Infektionen zu ermitteln?

Die Gesamtzahl der Infektionen ist ein erstes wichtiges Ergebnis, aber wir würden sehr gerne mehr erfahren. Wenn mehrere Kinder in einer Einrichtung infiziert sein sollten, haben wir die Möglichkeit, mit einer weiteren Untersuchung über einen Vergleich der Gensequenzen der Viren zu klären, ob es sich um das gleiche Virus handelt oder ob es zu unabhängigen Infektionen gekommen ist. Ähnlich wie zwischen zwei Menschen gibt es zwischen den neuen Coronaviren genetische Unterschiede. Diese Unterschiede können wir nutzen, um Übertragungswege genauer darzustellen.

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Lässt die Gesamtzahl der Infektionen Rückschlüsse darüber zu, wie stark Kinder das Virus verbreiten? Oder könnte es auch sein, dass sich zwar viele Kinder mit Corona infizieren, aber als Überträger nur eine untergeordnete Rolle spielen?

Allein die Gesamtzahl lässt darüber keine Rückschlüsse zu. Diese Unterscheidung ist tatsächlich nicht einfach und lässt sich auch mit genetischen Untersuchungen der Viren nicht sicher beantworten. Über eine Untersuchung und intensive Befragung von infizierten Personen in den Kitas und im häuslichen Umfeld kann die wahrscheinlichste Chronologie der Infektionen rekonstruiert werden. Darüber lassen sich durchaus Rückschlüsse ableiten, ob Kinder das Virus weitergegeben haben. An dieser Stelle sind wir auf das Gesundheitsamt angewiesen, das uns dabei stark unterstützt.

Die Speichelproben zeigen nicht, ob Kinder schon früher Corona hatten. Werden dadurch die Ergebnisse nicht stark beeinflusst? Es ist ja völlig unklar, wie viele der Kinder und Erzieher bereits immun sind und sich gar nicht mehr infizieren können.

Tatsächlich haben wir keine Informationen darüber, wie häufig bei den Studienteilnehmern ausgeheilte Infektionen sind. In unterschiedlichen Schätzungen und Untersuchungen außerhalb der besonders stark betroffenen Gebiete wie der Region Heinsberg liegt die Häufigkeit von Antikörpern bei etwa einem bis zwei Prozent. Wir gehen davon aus, dass die Zahlen in Düsseldorf in einer ähnlichen Größenordnung liegen. Dazu sind aktuell Untersuchungen geplant. Bei dieser Größenordnung spielt Immunität für das Infektionsgeschehen kaum eine Rolle und wird unsere Ergebnisse nicht wesentlich beeinflussen.

Das Ergebnis der Probe wird den Eltern nach etwa 24 bis 36 Stunden mitgeteilt. Was passiert, falls ein Kind positiv getestet wird?

Dann werden zunächst die Eltern und anschließend das Gesundheitsamt informiert. Das Gesundheitsamt wird die Kontaktpersonen der infizierten Person ermitteln und je nach Enge des Kontakts möglicherweise Quarantänemaßnahmen anordnen. Zu den engen Kontaktpersonen würde das Gesundheitsamt voraussichtlich die Kinder und das Personal aus der Betreuungsgruppe, das infizierte Kind sowie die Personen aus dem gleichen Haushalt zählen. Allen Kontaktpersonen werden dann unabhängig von einer Studienteilnahme ebenfalls Untersuchungen angeboten.

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Familienstaatssekretär Andreas Bothe hat gesagt, auf Grundlage der Ergebnisse könne der Gesundheitsschutz in den Kitas weiter verbessert werden. Angenommen, die Ergebnisse legen nahe, dass Kinder das Virus genauso häufig verbreiten wie Erwachsene: Welche Schlüsse könnten daraus gezogen werden?

Wenn unsere Ergebnisse zeigen sollten, dass Kinder ähnlich wie Erwachsene als Infektionsquelle infrage kommen, müssen vor diesem Hintergrund die Maßnahmen zur Infektionsprävention weiter diskutiert werden. Entscheiden darüber müssen die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung. Übliche Maßnahmen wie Masken und Abstand werden bei den sehr kleinen Kindern nicht umsetzbar sein. Andere Maßnahmen wie der konsequente Aufenthalt und das Spielen im Freien dagegen schon. Ich könnte mir auch vorstellen, dass ein Frühwarnsystem speziell für den Kita-Bereich entwickelt wird, damit die häufig asymptomatischen Infektionen bei Kindern möglichst früh gefunden und damit größere Ausbrüche verhindert werden.

Die Speichelproben werden in den Kitas eingesammelt und anschließend ins Institut für Virologie der Uniklinik Düsseldorf gebracht. 
Die Speichelproben werden in den Kitas eingesammelt und anschließend ins Institut für Virologie der Uniklinik Düsseldorf gebracht.  © Uniklinik Düsseldorf | Uniklinik Düsseldorf

Wie positiv stimmt Sie die aktuelle Entwicklung der Corona-Zahlen in Deutschland?

Die Entwicklung der Infektionszahlen in den letzten Wochen ist ein großartiger Erfolg und zeigt, dass durch die ergriffenen Maßnahmen die Kontrolle über das Infektionsgeschehen erlangt werden konnte. Ich denke, das war ganz wichtig. Welche Rolle dabei vielleicht auch das wärmere Wetter gespielt hat, wird sich erst im Herbst zeigen. Mein Eindruck ist daher, dass die meisten Menschen ihr Verhalten durchaus angepasst haben und dadurch größere Infektionsketten verhindert werden können.