An Rhein und Ruhr. Wegen Lokführermangels hat Abellio den Zugbetrieb auf zwei Linien eingestellt. Jetzt fahren rund 50 Jahre alte Züge. Manchen freut das zu sehr.

Es ist gewissermaßen der Zug eines Bahnfans für Bahnfans, der da jetzt immerhin einen Stundentakt auf der S-Bahnlinie 3 von Oberhausen über Mülheim und Essen nach Hattingen sicherstellt: Auf der Strecke rollen seit dem 3. Mai bis zu 60 Jahre alte Wagen, die Bahnfahrer vor allem aus den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als „Silberlinge“ kennen. Abellio hatte den Verkehr zuvor kurzfristig eingestellt.

Bahnnutzerin Sandra Polert empfindet die Bahnen als „Schrottzüge“: „Die Türen haben Hebel, nix mehr mit ,Türen öffnen automatisch wegen Corona’. Darf man mit Gewalt irgendwie aufwuchten“, ärgert sie sich. In den alten Bahnen muss man Türen mit Kraft und von Hand öffnen - und also Griffe anpacken, die alle anpacken. Vor allem für Schulkinder und alte Leute ungewohnt und schwierig. Hinzu kommt: die Wagen haben deutlich weniger Türen pro Wagen als die neuen S-Bahnen, die dort eigentlich rollen sollten.

Betreiber der Züge ist die Firma „Train Rental International“ - kurz TRI. Was gleichzeitig die Initialen des Geschäftsführers Tobias Richter sind. Der aber Stein und Bein schwört, die Bahn nach der ersten Holzeisenbahn im Kindergarten benannt zu haben. Jedenfalls: Schrottzüge sind es nicht. Die so genannten N-Wagen, die die Bundesbahn einst zwischen 1958 und 1980 beschaffte, sind saniert und aufgearbeitet, frisch gepolstert und gepflegt und extrem robust.

„Wir wollen bewusst museumsreife Züge in Bewegung halten.“

Aber, das räumt auch Richter ein, sie sind eben alt. „Wir wollen bewusst museumsreife Züge in Bewegung halten“, so das Credo des in Süddeutschland beheimateten Unternehmens, das es immerhin schaffte, nach einem Hilferuf von Abellio am 30. April nach drei arbeitsfreien Tagen am Montag mit zwei Zügen samt Personal die S-Bahn wieder im Stundentakt rollen zu lassen. „Ein Kraftakt“, wie Richter einräumt. Erfahrungen im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr hat sein Unternehmen bereits: TRI fährt immer mal wieder Züge zwischen Wuppertal, Köln und Bonn als Subunternehmer für Nationalexpress.

Am 30. August 1965 waren Silberlinge der neueste Schrei: vor 55 Jahren wurde der Grundstein für das S-Bahnnetz an Rhein und Ruhr gelegt. Ab 1967 fuhren zwischen Düsseldorf-Garath und Ratingen-Ost die ersten „Silberlinge“ im S-Bahntakt. Das Bild stammt von 1968 und zeigt den alten Düsseldorfer Hauptbahnhof mit dem brandneuen Zug.
Am 30. August 1965 waren Silberlinge der neueste Schrei: vor 55 Jahren wurde der Grundstein für das S-Bahnnetz an Rhein und Ruhr gelegt. Ab 1967 fuhren zwischen Düsseldorf-Garath und Ratingen-Ost die ersten „Silberlinge“ im S-Bahntakt. Das Bild stammt von 1968 und zeigt den alten Düsseldorfer Hauptbahnhof mit dem brandneuen Zug. © Hans-Jürgen Vorsteher | Bild:

Aber wer Klimaanlage, Barrierefreiheit oder automatisch öffnende Türen sucht, der kommt mit den Ersatzzügen nicht gut zurecht. Auf der anderen Seite sah sich Richter jetzt gezwungen, im Eisenbahn-Fanforum „Drehscheibe“ an die Zugfans zu appellieren, doch bitteschön nicht vor lauter Freude über die Nostalgiebahn das gute Benehmen zu vergessen.

Dauer-Bahnfahrer mögen bitte aussteigen, damit die normalen Nahverkehrsnutzer nicht zu beengt stehen müssen. Außerdem: Ja, die Züge haben Fenster zum Öffnen, aber nicht jeden Mitfahrer freut es, wenn der Wind der Eisheiligen durch den Wagen fegt, weil die Bahnnostalgiker sich samt Kamera aus dem Fenster lehnen, um Fotos zu machen. Zudem registrierte man Diebstähle von Zugschildern und sogar unbefugtes Eindringen in den Führerstand des Wendezugwagens. Bei den alten Zügen braucht es dafür nur etwas Werkzeug und keinen speziellen Schlüssel.

Bahnfreunde genießen offene Fenster - und „sammeln“ Zuglaufschilder

Bahnfan Richter, selbst seit 40 Jahren Sammler von Zuglaufschildern, macht den mitnahmefreudigen Bahnfans denn auch ein charmantes Angebot: „Zugführer nehmen wann immer abhanden gekommene Gegenstände anonym zurück und wir verzichten auf eine Anzeige.“

Wie es kommt, das TRI Züge und Personal hat, wo doch sonst derlei überall knapp ist? Das Geschäft der Firma sind sonst vor allem Sonderzüge im Ferienverkehr oder zu Fußballspielen - und da ist derzeit kein Bedarf. Und wie lange kommen Bahnfreunde - und normale VRR-Kunden - noch in den etwas zwiespältigen Bahngenuss? Das, so Richter, ist offen. Zunächst sind die Einsätze auf die Linie S3 und den Stundentakt beschränkt.

Für einen Halbstundentakt bräuchte es nach seiner Einschätzung zwei weitere Züge - die sind noch nicht geordert. Abellio schafft das zwar mit drei Zügen, wenn sie denn fahren. Aber Richter weiß auch: „Wir haben am Wochenende Verspätung eingefahren. Vor allem, wenn viele Menschen mit Fahrrädern einsteigen, dauert das Ein- und Aussteigen länger.“ Da der Fahrplan an den Endhaltestellen immer nur wenige Minuten Wendezeit vorsieht, will er lieber einen Zug mehr haben, um nicht ständig dem Fahrplan hinterher zu rollen.

VRR fordert Abellio „schnellstmöglich“ zu Verbesserungen auf

„Wir wollen unsere Züge möglicht pünktlich fahren.“ Für weitere Aushilfen im Bereich des VRR, zum Beispiel auf der ebenfalls bereits bis Ende Mai abgesagten Linie Wesel-Dinslaken-Oberhausen-Essen-Wuppertal, stünde sein Unternehmen sonst gern zur Verfügung.

Dem VRR sind die Mängel auf einigen Linien, darunter auch der geplanten Verlängerung der S9, bekannt. Der Stundentakt mit den alten Zügen sei „längst nicht ausreichend aber ein erster wichtiger Schritt und alternativlos, um dort überhaupt SPNV-Leistungen anzubieten“, so der VRR. Wegen der Ausfälle auf diversen Linien hat der VRR Abellio „nicht nur deutlich ermahnt sondern auch unmissverständlich aufgefordert, schnellstmöglich alle Maßnahmen zu ergreifen, um die verkehrsvertraglichen Leistungen jederzeit in einem ausreichenden Maß erfüllen zu können.“ Ein Ersatzkonzept liege vor und werde derzeit auf Wirksamkeit und Robustheit geprüft. Nun, robust sind die nostalgischen Waggons im S-Bahnverkehr auf jeden Fall.