An Rhein und Ruhr. In NRW verteilen einige Tafeln keine Lebensmittel mehr. Düsseldorf sucht Unterkünfte für Obdachlose. Wohlfahrtsverbände befürchten Isolation.
Hier in Wesel ist man vorbereitet. Eine Dame lässt nur Besucher in den Tafelladen, wenn sie sich am Eingang die Hände desinfizieren. Mehr als fünf Personen dürfen sich gleichzeitig nicht mehr im Gebäude aufhalten. Für Wartende hat das Tafel-Team deshalb drei Biergartenbänke vor das Gebäude gestellt. Wäre nicht Krise, wäre das ein netter Rastplatz mitten in der Sonne. Doch auf den Bänken sitzt niemand.
In allen Bundesländern schließen die Tafeln, in NRW sind es mehr als zwei Dutzend. Ehrenamtliche, meist ältere Menschen, haben Angst, sich dem Risiko Coronavirus auszusetzen. Gleichzeitig brechen die Spenden der Lebensmittelmärkte weg – eine direkte Auswirkung von Hamsterkäufen.
Nach Düsseldorf und Mülheim entschlossen sich am Dienstag auch die Tafeln in Goch und Kleve dazu, die Ausgabestellen für sozial Schwache Mitmenschen zu schließen. Ausgerechnet diejenigen, die eine solche Versorgung gerade bitter nötig haben, stehen vor dem Nichts.
Brot, Eier - und eine Papaya
Die Weseler Tafel hält die Türen noch offen. Eine Dame, die hier ihre Lebensmittel abholt, ist glücklich darüber. Sie habe ein Kind mit Behinderung zu versorgen, daher kann sie nicht öfter als einen Tag pro Woche arbeiten gehen. Würde die Tafel schließen, wäre das für sie "schlimm". Der Einkauf wäre teurer. Heute hat sie in Wesel Eier, Brot und Joghurt bekommen. „Und eine Papaya“, sagt sie lachend, befreit von Angst. Für die zwei gut gefüllten Taschen hat sie vier Euro bezahlt. Eine Spende. Familien geben vier Euro, Alleinstehende zwei, erklärt Tafel-Mitarbeiter Mustafa Kardas.
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Eine andere Dame lobt das Tafelteam. „Hier ist man sicherer als im Supermarkt“, sagt sie. „Die haben dort kein Desinfektionsmittel. Hier schon!“ Würde die Tafel schließen, wäre es „das sinnloseste, was man tun kann“. Doch bevor sie die Einkaufstaschen nach Hause bringt, kehrt sie nochmal um. „Und wissen Sie was? Diese Hamsterkäufe, die regen mich so sehr auf!“ Mustafa Kardas pflichtet ihr bei: Die Supermärkte müssten die Produkte strenger rationieren, meint er.
Wegen der Hamsterkäufe erhalten Tafeln weniger Lebensmittel
Noch reichen die Lebensmittel bei der Weseler Tafel. Allerdings kommen seit Montag auch weniger Kunden, stellen die Mitarbeiter fest. An diesem Dienstag sind es 23, normalerweise werden hier pro Tag 50 Menschen bedient. „Vielleicht haben sie auch Angst, sich mit dem Virus anzustecken“, überlegt Manfred Lauth, der 2. Vorsitzende der Weseler Tafel.
Wenn auch die Lebensmittelspenden wegbrechen, so freut er sich dennoch über Hilfe. Gerade hat es eine stattliche Geldspende für fehlende Lebensmittel gegeben.
Auch die Oberhausener Tafel verteilt die Lebensmittel weiter. Maximal zwei Besucher haben zeitgleich Zutritt zum Tafelladen und nehmen vorgepackte Tüten entgegen. Und klar: Alle müssen den Sicherheitsabstand von zwei Metern wahren. Einen Mundschutz haben die ehrenamtlichen Helfer nicht, wohl aber Handschuhe, erläutert Sabine Ceballos Munoz von der Tafel. Wie sich aber die Regale demnächst füllen sollen, weiß sie nicht. „Mit den Lebensmittelspenden sieht es wirklich mau aus“, sagt sie.
Mangel an Geld bedeutet oft Mangel an sozialen Kontakten
Michael Kreuzfelder, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände und Caritas-Direktor in Oberhausen, weiß, dass benachteiligte Menschen gleich mehrfach von der Krise bedroht sind. „Oft geht für die betroffenen Menschen der Mangel an Geld auch mit dem Mangel an sozialen Kontakten und geschwächter Gesundheit einher“, sagt er der NRZ.
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Günstige Versorgungsangebote wie das Gleis 51 des Caritasverbandes in Oberhausen mussten im Rahmen der allgemeinen Präventionsmaßnahmen schließen. „Damit fällt neben den preisgünstigen Mahlzeiten ebenso die Funktion als soziale Begegnungsstätte weg“, sagt Kreuzfelder. „Sich vollständig selber zu versorgen bedeutet gerade für Menschen mit psychischer Einschränkung und körperlichen Vorerkrankungen ein sehr großes Problem, wenn ihnen neben der angeschlagenen Gesundheit auch noch das nötige Geld und der Mut zum Einkauf fehlen. Infizieren sie sich mit Corona, gehören viele von ihnen nämlich zur Hochrisikogruppe. Sie sind daher in der jetzigen Situation besonders verletzlich.“
Steigt die Zahl der Kindeswohlgefährdungen?
Er befürchtet, dass durch die Krise auch die Zahl der Kindeswohlgefährdungen steigen könnte, weil Familien nun eng und lange beieinander sind. Eltern und besonders Alleinerziehende aus prekären Verhältnissen könnten mit der Erziehung, Betreuung und Freizeitgestaltung überfordert seien. Zu befürchten sei auch, dass sich mehr Menschen verschulden könnten, weil sie im Internet Bestellungen aufgeben oder Glücksspiele konsumieren. Und für ältere Menschen kommen längst vergessene Ängste hinzu, sie erinnern sich an Kriegszeiten, sie können nicht digital kommunizieren, nicht mehr zum Kaffeekränzchen gehen. Die Angst vor Isolation nimmt reale Gestalt an.
Die Wohlfahrtsverbände prüfen, wie sie diesen Menschen helfen können. Aber jeder könne etwas beitragen, meint Kreuzfelder. Das kann ein ausgiebiges Telefonat sein oder ein Spaziergang an der frischen Luft mit ausreichendem Abstand.
Fifty Fifty bittet um Spenden: Schlafsäcke, Zelte, Lebensmittel
Auch die Verkäufer des Straßenmagazins Fifty Fifty sorgen sich. Sie verkaufen weniger Magazine, unterm Strich kommt weniger Geld zusammen. Von den 2,40 Euro dürfen die Verkäufer 1,20 Euro behalten. Die Initiative appelliert an die Menschen, Straßenmagazine zu kaufen, Obdachlose nicht zu meiden.
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Fifty Fifty aus Düsseldorf bittet um Lebensmittelspenden, aber auch um Sachspenden wie Schlafsäcke oder Zelte. Solche Schlafstätten können dazu beitragen, etwas Freiraum zu schaffen. Denn gerade in Notunterkünften für Wohnungslose ist die Ansteckungsgefahr groß, weil viele auf engem Raum zusammen kommen. Die Bürgerstiftung in Düsseldorf plant, Gutscheine an Bedürftige auszugeben, damit sie sich versorgen können.
Miriam Koch, Leiterin des Amtes für Migration und Integration bei der Stadt Düsseldorf, weiß um die Notlage. Sie tauscht sich nun in täglichen Telefonkonferenzen zum Beispiel mit den Trägern der Wohnungslosenhilfen aus. „Der Druck auf die Notschlafstellen und die Tagesstätten ist gewachsen“; sagt sie. Mehr Wohnungslose würden diese Stätten nun aufsuchen. Gleichzeitig haben die Träger der Notunterkünfte selbst Personalausfälle zu verarbeiten. „Wir brauchen dringend weitere Notschlafstellen“, sagt sie der NRZ. Zwei Objekte habe sie derzeit im Auge. Auch die Essensausgabe des Drogenhilfezentrums bricht weg, sagt sie. 45 warme Essen seien hier täglich ausgegeben worden. „Das müssen wir auffangen“, sagt Koch und will finanzielle Hilfen zur Verfügung stellen.