Gangelt. In Gangelt bestimmt das Coronavirus derzeit den Alltag der Menschen. Landrat Stephan Pusch erreicht mit seinen Facebook-Posts 300.000 Menschen.
Vor der Grenzland-Apotheke mitten in Gangelt hat sich mal wieder eine Schlange gebildet. Ein Dutzend Menschen wartet im strömenden Regen. „Der Andrang nimmt nicht ab, so ist das jetzt jeden Tag“, erzählt eine Anwohnerin. Denn die Kunden der Apotheke werden derzeit nur über die Notdienstklappe betreut, sie müssen klingeln und werden einzeln hi- neingebeten. „Das ist wegen der Ansteckungsgefahr wahrscheinlich besser so“, sagt Inge Königs. Sie will eigentlich nur eine Salbe besorgen. „Die meisten Bekannten haben sich mit Desinfektionsmittel eingedeckt, ich halte einfach Abstand und achte auf Hygiene“, erzählt sie.
Sagrotan, Desinfektionssprays und anderes gebe es in den Supermärkten derzeit nur sporadisch, die Nachfrage sei zu groß. Mit Abstand leben im Kreis Heinsberg die meisten Infizierten in Deutschland, die Zahlen steigen immer noch täglich. In Gangelt, wo der erste Infizierte herkommt, gehe bei manchen die Panik um, erzählt Königs. „Aber die meisten bleiben gelassen, wir können ja doch nichts ändern und müssen das jetzt aussitzen.“ Königs’ Enkelin ist im Moment häufig bei ihr, die Schulen haben geschlossen, die Eltern arbeiten. „Die Kinderbetreuung ist für viele derzeit das größte Problem, nicht jeder hat Oma und Opa im Nachbarort“, erzählt Königs. Sie versuche, ihre Enkelin so gut wie möglich zu beschäftigen. „Aber klar, langsam fällt ihr die Decke auf den Kopf, weil alle angehalten sind, zuhause zu bleiben.“
Nur wenige Menschen unterwegs
Jacqueline Peeters, die den Laden „Die Blumenperle“ betreibt, hat in diesen Tagen viel weniger Kundschaft als sonst. „Langsam kommen wieder ein paar mehr Kunden in den Laden“, erzählt sie. „Zu schließen wäre das falsche Signal, davon bin ich überzeugt.“ Aber natürlich habe sie starke Einbußen verzeichnet. „Fast alle Händler im Kreis leiden unter der Situation, aber das Krisenmanagement ist gut und ich bin stolz, wie wir hier alles bewältigen“, so Peeters. Wenn andere Gemeinden etwas von der Situation im Kreis Heinsberg lernen könnten, dann wie alle zusammenstehen und sich unterstützen würden.
Für Helmut Mingers könnte das Virus eigentlich die Chance sein, mehr einzunehmen. Er hat einen mobilen Frühstücksservice und fährt mit seinem Wagen durch den Kreis zu Stammkunden und zu Firmen, beliefert sie mit belegten Brötchen, Eiern und Frikadellen. „Bei meinen Kunden ist die Stimmung nicht so gedrückt, wir halten alle nur ein bisschen mehr Abstand voneinander“, erzählt Mingers.
Unsicherheit beschäftigt viele
Der 72-Jährige ist seit 42 Jahren im Geschäft. „Die Leute rufen mich jetzt trotzdem nicht häufiger an, sie decken sich immer noch lieber bei Aldi ein“, sagt er. „Oder lassen sich von Freunden und Verwandten etwas mitbringen, wenn sie in Quarantäne sind.“ Das Virus, glaubt er, werde den Kreis sobald nicht in Ruhe lassen. „Das dauert sicher noch Monate, was das für mein Geschäft bedeutet, weiß ich nicht.“
Die Unsicherheit, wie es weitergeht, treibt viele Einwohner um. Landrat Stephan Pusch, der in den sozialen Medien für seine sachliche und transparente Informationspolitik seit Wochen gelobt wird, weiß, dass Corona das Potenzial habe, Menschen vereinsamen zu lassen. „Wir werden das aber nicht zulassen. Wenn man der Krise etwas Positives abgewinnen will, dann, dass wir hoffentlich als Gemeinschaft gestärkt aus der Situation herauskommen“, sagt Pusch.
Bei Facebook: „Pusch for President“
Das sei auch für andere besonders betroffene Gebiete wichtig. „Der Zusammenhalt bei uns ist groß, auch weil wir nun teilweise diese Stigmatisierung als Krisengebiet erfahren“, so Pusch. Dass viele seine ehrlichen und solidarischen Beiträge loben, ist dem Landrat fast unangenehm. Er sei eigentlich kein großer Fan der sozialen Medien. „Aber nirgendwo sonst kann ich so viele erreichen und sie aus erster Hand informieren. Das ist mir in diesen Tagen am wichtigsten.“
Die Heinsberger danken es ihm. „Pusch for President“ oder „Lieber Stephan Pusch, warum kleiner Landrat? Das ist ja schon große Außenpolitik“ – so steht es unter seinen Videos, die er mit dem Hashtag „hsbestrong (Heinsberg, sei stark) kennzeichnet. Bis zu 300.000 Menschen erreicht Pusch mit seinen Botschaften. „Angst und Panik bringen uns gar nichts“, so Pusch, der den amerikanischen Präsidenten Trump scharf für seine Angriffe auf die Europäer kritisiert. „Populisten sind keine guten Krisenmanager, sie gießen nur Öl ins Feuer für eine weltweite Rezession.“
Rund 300 Menschen werden täglich getestet
Im Kreis Heinsberg setzen Pusch und sein Krisenstab weiterhin darauf, möglichst viele Menschen zu testen, rund 300 täglich seien es derzeit. Das öffentliche Leben steht weiter still, Schulen bleiben wohl bis nach Ostern geschlossen. „Wir greifen massiv ins Leben der Menschen ein, das wissen wir. Wir hoffen aber, dass diese Vorgehensweise Wirkung zeigt.“ Da der Kreis dem Rest des Landes bei den Corona-Fällen um etwa zehn Tage voraus sei, konnte Pusch Erfahrungen sammeln. „Eine Lehre ist, dass wir dringend eine zentrale Stelle brauchen, um einen Überblick über freie Krankenhausbetten zu erhalten“, so Pusch. Das sei wichtig, wenn die Zahl der Infizierten weiter steige.