Xanten. Niederrhein-Guide Andrea Schulze nimmt seit Jahren mit auf Exkursionen in die Vogelwelt. Doch etwas hat sich in letzter Zeit verändert.
Eisiger Wind fegt über die Bislicher Insel und lässt die Kopfweiden am Wegesrand erzittern, während es sich zahlreiche arktische Gänse auf den weiten Wiesen gemütlich gemacht haben. Im Gegensatz zum Winter in ihrer Heimat ist die Temperatur am Niederrhein selbst an einem grauen Februartag für sie ziemlich erträglich.
Doch in nicht allzu weiter Zukunft könnten Spaziergänger in windabweisenden Regenjacken bei einem Gang durch das Naturschutzgebiet viel weniger Überwinterungsgäste sehen. „Die Erderwärmung bedeutet auch für die Gänse eine Veränderung“, meint Niederrhein-Guide Andrea Schulze. Denn bei steigenden Temperaturen müssten sie irgendwann nicht mehr den langen Weg bis zum Niederrhein fliegen, sondern könnten stattdessen in dem momentan noch zu kalten Skandinavien überwintern. Ein echter Verlust für alle (Hobby-) Ornithologen. Deshalb hält sie fest: „Wer das Naturschauspiel arktischer Wildgänsen sehen will, sollte nicht erst bis zur Rente warten.“
Blick durchs Fernglas
Am einfachsten geht das bei einer der regelmäßig stattfindenden Touren mit Schulze selbst. Und die beginnt am NaturForum zunächst einmal mit einer kleinen Einweisung in den Gebrauch eines Fernglases – selbst, wenn es das eigene ist. „Das erkläre ich jedes Mal, weil die meisten gar nicht wissen, wie so etwas funktioniert“, sagt die 62-Jährige. Erst am mittleren Rädchen drehen, dann am rechten und schon ist das Bild scharf gestellt. So vorbereitet kann es losgehen mit dem rund vier Kilometer langen Gang über die Bislicher Insel. Wobei es bis zum ersten Stopp nicht lange dauert.
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Lautes Geschnatter lässt Schulze innehalten: „Das lange Bruuuut ist ein Paarungsruf, das könnte eine Kanadagans sein.“ Sehen lässt sich aus der Ferne bislang noch nichts, dafür erklärt sie direkt etwas zum Tier selbst: „Kanada- oder Nilgänse sind keine Zuggänse, sondern wurden vom Mensch hergebracht und kommen hier das ganze Jahr über gut klar.“ Auch die heimischen Graugänse bleiben dauerhaft auf den grünen Wiesen des Niederrheins, um sich zu paaren, zu brüten und vor allem zu futtern. „Gänse fressen täglich ein Drittel ihres Körpergewichts.“ Und wer es noch etwas genauer wissen will: „Was sie jetzt zu sich nehmen, ist in 45 Minuten schon wieder aus ihrem Körper raus.“
Faszination für die Vogelwelt
Langsamen Schrittes geht es weiter die Straße entlang, den Blick stets wachsam in die Ferne gerichtet. Plötzlich ruft Schulze leise: „Schnell ins Fernglas gucken.“ Für Ungeübte gar nicht so leicht, auf Kommando das gesuchte Objekt zu finden. Dann klappt es aber schließlich doch. „Dort neben den zwei Weißwangengänse sind ganz viele Blässgänse.“ Aha? „Blässgänse sind arktische Wildgänse. Man erkennt sie an ihrer hellen Blässe über dem Schnabel und ihrem gestreiften Bauch.“ Aha. Jetzt zeigen sich tatsächlich Unterschiede zu den Weißwangengäsen mit schwarzem Hals und weißen Wangen.
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Doch lange lassen sich die Tiere nicht aus relativ geringer Distanz beobachten, schon watscheln sie langsam weiter die Weide hoch. Schulze erklärt auch wieso: „Bei Stufe eins der Störungsbiologie hören sie auf zu fressen, bei Stufe zwei gehen sie weg und bei Stufe drei fliegen sie. Letzteres versuchen wir aber möglichst zu vermeiden, denn sonst benötigen sie noch mehr Futter.“ Nicht weiter schlimm, denn heute präsentieren sich noch viele andere Gänse. Und bis zum nächsten Halt erzählt die 62-Jährige, wie sich vor 15 Jahren ihre eigene Faszination für die Vogelwelt entwickelt hat: „Ich bin aus dem Westerwald wieder zurück an den Niederrhein gezogen und habe eine ehrenamtliche Arbeit gesucht.“ Schnell fand sie den Aufruf des Nabu, ließ sich zum Niederrhein-Guide ausbilden und blieb bei den Gänsen hängen.
Mildes Klima am Niederrhein
So hat Schulze in den vergangenen Jahren vor allem die Entwicklung der arktischen Wildgänse am Niederrhein aufmerksam beobachtet. Eine Feststellung, die sie darauf aufbauend trifft: „Früher gab es am unteren Niederrhein mehr Saatgänse, heute dagegen mehr Blässgänse.“ Das könnte daran liegen, dass Saatgänse nicht so kälteempfindlich sind und schon jetzt weiter östlich überwintern. Blässgänse mögen es dagegen lieber wärmer und flogen früher dafür noch weiter südlich, jetzt reicht ihnen bereits das milde Klima am Niederrhein. Wie sich das Ganze mit Blick auf den Klimawandel weiterentwickeln wird, kann sie nicht sagen. Nur eines: „Das ist keine Geschichte, die abgeschlossen ist.“
>>> Gänseexkursion auf der Bislicher Insel
Die nächste Gänseexkursion zum Thema „Erderwärmung“ veranstaltet Andrea Schulze am Samstag, 22. Februar, von 13 bis 15.30 Uhr. Los geht es am NaturForum, Bislicher Insel 11.
Nach einer kurzen Einführung startet der rund vier Kilometer lange Naturspaziergang über die Bislicher Insel. Anschließend kehren die Teilnehmer wieder im NaturForum ein, um noch offene Fragen zu stellen oder über das Thema zu diskutieren.
Die Teilnahmegebühr für die Gänseexkursion liegt bei neun Euro für Erwachsene, Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren sind in Begleitung frei. Eine verbindliche Anmeldung ist erforderlich unter der Rufnummer 02801/988230.