Voerde/Duisburg. Jackson B. wird nach dem tödlichen Stoß in Voerde strafrechtlich nicht belangt. So begründet das Gericht die Unterbringung in der Psychiatrie.

Als Richter Joachim Schwartz gegen 11.20 Uhr das Urteil verliest, ist es mucksmäuschenstill im großen Saal 201 im Landgericht Duisburg. Nur das leise Flüstern der Dolmetscherin von Jackson B. und das stetige Klackern einiger Journalisten-Laptops sind zu hören. Im Zuschauerraum kämpfen einige Zuhörer still mit den Tränen.

Das Urteil selbst kommt wenig überraschend. Die dauerhafte Unterbringung des 28-Jährigen in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus war von vielen Prozessbeobachtern erwartet worden.

Das, was da am 20. Juli auf dem Bahnsteig in Voerde geschehen ist, als eine junge Frau völlig unvermittelt aus dem Leben gerissen wurde, ist schwer zu fassen. Auch die Prozessbeteiligten tun sich damit schwer. Eine „verstörende Tat“ nennt es der Vorsitzende Richter, weil es sich den „normalen psychologischen Erklärungen“ entzieht.

Landgericht Duisburg wertet Tat von Voerde als heimtückischen Mord

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Juristisch bewertet die Kammer das Geschehen als heimtückischen Mord. Anja N. hatte nicht den geringsten Anlass gehabt, von einem Angriff auszugehen, „sie war arg- und wehrlos“. Auch die Frage, ob der Beschuldigte das spätere Opfer gestoßen, geschubst oder sich nur bei ihr habe abstützen wollen, bewertet die Kammer nach der Beweisaufnahme eindeutig. Es sei kein Anlehnen und auch kein Abstützen gewesen, so Richter Schwartz. Jackson B. habe sein Opfer mit massiver Kraft und mit beiden Händen gestoßen. „Der Beschuldigte handelte mit Absicht, daran lassen die Tatumstände keine Zweifel.“

So klar das Geschehen durch die vielen Zeugenaussagen, Gutachten und Videobänder auch zu sein scheint, so unklar bleibt nach dem Verfahren weiterhin das Motiv. Der Beschuldigte selbst hatte jegliche Absicht bestritten. An die Tat habe er keine Erinnerung, ließ er von seiner Verteidigerin zu Prozessbeginn mitteilen und schwieg ansonsten. Auch zum Abschluss des Verfahrens. „Ich habe nichts zu sagen“, übersetzt seine Dolmetscherin, als der Richter nach den Plädoyers Jackson B. die Möglichkeit eines letzten Wortes gibt.

Notwendigkeit der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik

„Für meinen Mandanten ist es schwer zu verstehen, was überhaupt passiert ist“, sagt Verteidigerin Marie Lingnau nach dem Verfahren. Für das Gericht steht nach der Anhörung eines psychiatrischen Gutachters während der Beweisaufnahme indes fest, dass der Beschuldigte die Tat aufgrund einer psychischen Erkrankung, einer „undifferenzierten Psychose“, wie Richter Schwartz in der Urteilsbegründung erklärt, beging. Deswegen gebe es auch Zweifel an der Schuldfähigkeit des Beschuldigten am Tattag.

Für die Tat kann Jackson B. wegen seiner psychischen Erkrankung nicht belangt werden. Stattdessen sieht das Gericht die Notwendigkeit einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik – auf unbestimmte Dauer. „Bliebe er in Freiheit, wären vergleichbare Taten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten“, so der vorsitzende Richter.

Öffentlichkeit soll vor gefährlichem Täter geschützt werden

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Die Kammer folgte mit dem Urteil weitgehend dem Antrag der Staatsanwaltschaft, hat das Merkmal der Mordlust aber nicht angenommen. In seinem Plädoyer machte Staatsanwalt Alexander Bayer nochmal deutlich, dass nur eine dauerhafte Unterbringung von Jackson B. in einer geschlossenen Einrichtung mögliche Gefahren, die von ihm ausgehen, abwenden kann. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft war die Schuldfähigkeit des Beschuldigten am Tattag vermutlich vollständig eingeschränkt. Er sei aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage gewesen, sich selbst zu steuern.

Die Tat am 20. Juli im beschaulichen Voerde hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. „Es war eine gnadenlose und grauenhafte Tat, die für Angst in den Köpfen der Menschen sorgt“, sagt Til Heene. Der Anwalt hatte im Prozess den Bruder der Getöteten vertreten. Dass Jackson B. nicht wegen Mordes verurteilt werden könne, damit müsse die Familie nun leben, sagt Heene. Das könne sie auch. Schließlich bringe auch eine Bestrafung das Opfer nicht zurück. „Wichtig ist, dass die Öffentlichkeit vor einem derart gefährlichen Täter geschützt wird.“

>>> Die Tat am 20. Juli 2019

  • Die Tat von Voerde hatte damals bundesweit für Entsetzen gesorgt. Am Bahnsteig waren Blumen niedergelegt worden – als Zeichen der Trauer. Die 34-jährige hatte nach Zeugenangaben keine Chance, dem Angriff zu entgehen. Die Frau hinterlässt eine 13-jährige Tochter und ihren Mann. Sie wurde nur 34 Jahre alt. Der Täter war noch auf dem Bahnsteig von Passanten überwältigt und bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten worden. (red/dpa)