Duisburg/Voerde. Jackson B. soll eine Frau in Voerde vor einen Zug gestoßen haben. Der Prozess-Start zeigt, wie sehr die Tat das Leben vieler Menschen veränderte.
Beatrix Reinhardt ist an diesem trüben Donnerstagmorgen zum Duisburger Landgericht gekommen, um das Unverständliche zu verstehen und dem Mann ins Gesicht zu schauen, der ihre Freundin Anja N. vor einem halben Jahr am Bahnhof in Voerde in den Tod gestoßen hat. „Der weiß genau, was er getan hat“, sagt sie. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung glauben nicht daran. Sie gehen davon aus, dass Jackson B. zumindest vermindert schuldfähig war, als er am 20. Juli vergangenen Jahres die junge Mutter vor einen einfahrenden Zug stieß. Auftakt eines Prozesses, in dem eine Tat aufgeklärt werden soll, die bis heute für Entsetzen sorgt.
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Das Verfahren vor dem Landgericht ist ein Sicherungsverfahren. Das heißt, es geht in diesem Prozess darum, ob der beschuldigte Jackson B. möglicherweise auf unbefristete Zeit in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt untergebracht werden muss. Die Staatsanwaltschaft hat keine Anklage eingereicht, sondern einen Antrag, weil sie davon ausgeht, dass der 28-Jährige zwar „heimtückisch und aus Mordlust“ gehandelt hat, dabei aber eingeschränkt schuldfähig war. „Er leidet an einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis“, sagt Staatsanwalt Alexander Bayer zu Beginn des ersten Verhandlungstags.
Eine Welt zwischen Wahrheit und Wahn
Ein Sachverständiger hat viermal mit Jackson B. gesprochen. Was er über diese Gespräche berichtet, lässt in die Welt von Jackson B. blicken, eine Welt, in der es schwer fällt, zwischen Wahrheit und Wahn zu unterscheiden. Der Vater, der einen anderen Mann erschossen hat, und deswegen in Serbien im Gefängnis sitzt. Nach Recherchen der Anwältin richtig. Das Acht-Millionen-Erbe, das ihm zusteht. Schwer vorstellbar. Seine Frau mit den sieben Kindern, die Geliebte, mit der er zwei Kinder zeugte sind real. Die Kinder, die angeblich urplötzlich mit nicht anwesenden Menschen sprechen, womöglich eine Wahnvorstellung.
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„Ich war nicht mehr das, was ich war“, beschreibt er in den Gesprächen die Zeit Anfang 2018. In den Interviews hat sich B. laut dem Sachverständigen nur bruchstückhaft an seine eigene Biografie erinnert, an den Drogenkonsum, an die zahlreichen Probleme mit dem Gesetz. Er habe nie vor Gericht gestanden. In der Realität hat er das aber.
Anwältin von Jackson B. verlas Einlassung vor Gericht
Jackson B. vor Gericht erschienen in hellgrauem Pullover und weißer Jeans, ist seit dem 20. September in einer psychiatrischen Klinik in Essen untergebracht. Über seine Anwältin lässt der 28-Jährige eine Einlassung verlesen. Sehr detailliert schildert er darin die Geschehnisse am Vorabend der Tat, wie er mit seinem Bruder in Düsseldorf den Geburtstag seiner Nichte feierte, dass er Alkohol getrunken und Kokain konsumiert habe.
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Wie er am nächsten Tag am Bahnhof in Voerde stand, dass sich sein Kopf gedreht habe, er geschwankt habe, dass ihn die Leute alle angeschaut hätten. Wie er sich mit einem Mann unterhielt über dessen Sohn, der seinem so ähnlich sähe. Nur an die Tat will er keine Erinnerung haben. Vielleicht habe er Anja N. berührt, aber nicht geschubst. „Ich werde eine Frau nicht absichtlich schubsen. Ich mache so etwas nicht.“ Ihm tue es leid, dass die Frau tot sei.
Die Zeugenaussagen sprechen eine andere Sprache. Äußerlich unbewegt verfolgt Jackson B. den mühsamen Versuch der Rekonstruktion des Tatgeschehens durch das Gericht unter Vorsitz von Richter Joachim Schwartz. So unterschiedlich die Aussagen in Details sind, der Kern ist gleich: Der 28-Jährige hat Anja N. absichtlich, mit beiden Händen und gewaltsam in das Gleisbett gestoßen.
Zeugen schilderten den Morgen am Voerder Bahnhof
Haval Isso Janje, ein irakischer Flüchtling, der in Voerde als Automechaniker arbeitet, sagt gemeinsam mit seiner Frau aus. Mit ihr, den drei Kindern und seinen beiden Schwägerinnen war er an diesem Morgen des 20. Julis am Bahnhof in Voerde. Beide schildern unabhängig voneinander, dass B. sich auffällig verhalten habe, ihre Kinder angeschaut habe. Dass sich zwischen Janje und B. ein Disput entwickelt habe, der aber beigelegt wurde.
Beide beschreiben auch, wie zwei andere Zeugen auch, dass B. sich, als der Zug einfährt, hinter Anja N. stellt, und sie mit Wucht ins Gleisbett stößt. Janje berichtet, dass sich die junge Mutter auf ihr Mobiltelefon konzentriert, als B. sie schubst. „Die Frau hatte keine Chance“, sagt ein anderer Zeuge. Gemeinsam mit einem anderen Zeugen überwältigt Janje B. nach der Tat. „Er hat gesagt, dass er das nicht war“, sagt Janje.
Kinder der Janjes sind immer noch traumatisiert
Dieser Tag zeigt auch, wie sehr dieser 20. Juli das Leben von vielen Menschen verändert hat. Ein Freund von Anja N. sagt aus, er sei mit ihr an diesem Morgen auf dem Weg zu einer Bekannten gewesen. Er kann zum Tatgeschehen nicht viel sagen, ist aber immer noch fertig. Ein Arzt, der vor Ort Ersthilfe leistete und sich vergeblich bemühte, das Leben der Mutter zu retten.
Er berichtet von dem Lokführer, der unter Schock stand und immer wieder gesagt hatte: „Das war Mord, das war Mord.“ Die Kinder der Janjes, die noch immer traumatisiert sind. Der Ehemann von Anja N., die Tochter, die heute 14 ist. Und Beatrix Reinhardt, die mit zahlreichen Freundinnen und Freunden von Anja N. nach Duisburg gekommen ist. „Ich empfinde Hass und Trauer“, sagt sie.
Der Prozess wird am 16. Januar fortgesetzt.