Aus den Niederlanden. In Deutschland sind Hausgeburten eher Ausnahme als Norm, in den Niederlanden sind es hingegen rund 13 Prozent. Doch die Zahlen gehen zurück.
Für die meisten Frauen in Deutschland ist eine Hausgeburt keine Option. Das kann verschiedene Gründe haben, rein praktische bis ideologische. Etwa, weil immer weniger Hebammen Hausgeburten begleiten, oder weil sie von der Schwangeren gar nicht gewünscht ist. In Deutschland haben 2017 nur 1,28 Prozent überhaupt außerklinisch entbunden, wie die Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) veröffentlichte. Sie zählte 5.494 Hausgeburten für das Jahr.
In den Niederlanden sieht das anders aus, hier gebaren laut Statistik des Verbands Perined 2017 rund 12,7 Prozent der Schwangeren zu Hause. „Hausgeburten sind noch tief in unserer Kultur verankert“, sagt Gynäkologe Jan Nijhuis aus dem niederländischen Maastricht. „Eine Geburt wird hier als etwas Natürliches betrachtet.“ Das habe Auswirkung auf das Gesundheitssystem, das noch sehr „auf Hausgeburten ausgerichtet“ sei.
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Hebamme, Hausarzt oder Gynäkologe?
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Geht es nach einem positiven Schwangerschaftstest in Deutschland in der Regel zum Gynäkologen, läuft es in den Niederlanden meist anders: Schwangere gingen hier vorrangig zu ihrem Hausarzt, der sie weiter an eine Hebammenpraxis verweise, sagt Nijhuis. Denn: „Die Hebammen sind eine vollständig autonome Berufsgruppe.“ Mit eigenen Praxen und „eigenen Vorstellungen“.
Auf der deutschen Seite der Grenzregion betreut Lucia Bald seit 30 Jahren Hausgeburten – und ist damit eine der letzten am Niederrhein. Sie kennt das System in den Niederlanden, fährt die Hebamme aus Geldern doch regelmäßig zu Schwangeren über die Grenze. Etwa zu Familien, die in den Niederlanden leben, aber in Deutschland arbeiten. Unter diesen Umständen hätten es deutsche Schwangere versicherungstechnisch schwer, sich von Hebammen im Nachbarland betreuen zu lassen. Aber auch am deutschen Niederrhein gebe es weiterhin Bedarf. „Ich habe jeden Tag Anfragen, muss aber Frauen abweisen“, sagt Lucia Bald.
Mehr Anfragen als Zeit für Hausgeburten
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Die Hebamme findet, dass Schwangere in Deutschland „schon pathologisiert“ würden. Das beginne bereits mit dem Mutterpass, in dem Gesundheitsdaten und medizinische Untersuchungen dokumentiert werden. „Eine Schwangere ist nicht krank.“ An diesem Umstand störten sich auch viele Frauen, die Bald bei einer Geburt zu Hause betreut. Sie hätten oft Angst vor dem Krankenhaus – davor fremdbestimmt zu werden, in der Masse der Patientinnen unterzugehen, oder sie hätten bereits schlechte Erfahrungen in Kliniken gemacht. „Die Frauen wollen selbstbewusst, selbstbestimmt und in Ruhe mit genügend Zeit gebären“, sagt Bald. „Bei uns war das in den 50er und 60er Jahren auch so.“
Während Lucia Bald davon berichtet, am Niederrhein nicht alle Anfragen für Hausgeburten annehmen zu können, gehen in den Niederlanden die Hausgeburten inzwischen zurück. Unter anderem, weil es Bedarf an Schmerzbehandlung in Krankenhäusern gebe, sagt Jan Nijhuis. „Oft ist die Rede davon, dass es in den Niederlanden so viele Hausgeburten gebe. Das ist aber nicht der Fall.“
Hohe Erwartung an eine Hausgeburt
Viele Frauen beginnen laut Nijhuis die Geburt zunächst zu Hause, müssten dann aber ins Krankenhaus verwiesen werden. Der Gynäkologe spricht hier von rund 65 Prozent bei Frauen, die ihr erstes Kind gebären. Nur 7,5 Prozent dieser Schwangeren, würden ihr erstes Kind schließlich auch zu Hause bekommen. „Die Erwartungen an eine Hausgeburt sind hoch. Frauen können dann enttäuscht sein, wenn sie doch in ein Krankenhaus müssen.“
Ein Kind zu Hause zu bekommen, gilt in Deutschland mitunter als gefährlich. Gegen Hausgeburten spricht sich Gynäkologe Nijhuis aber nicht aus. „Man kann nicht sagen, dass Hausgeburten per se gefährlich sind.“ Einen Zusammenhang zwischen perinataler Sterblichkeit von Babys und Hausgeburten sieht der Gynäkologe ebenfalls nicht. Lag die perinatale Sterblichkeit in den Niederlanden noch vor zehn Jahren über dem europäischen Durchschnitt, so sei sie inzwischen auf westeuropäischem Durchschnittsniveau. Das geht auch aus einem Bericht des EU-Gesundheitsprogramms Euro Peristat aus dem Jahr 2018 hervor.
„Ich werde Hausgeburten machen, bis ich 70 bin“
Jan Nijhuis findet aber: „Kinderärzte, Hebammen und Gynäkologen müssen in den Niederlanden besser zusammenarbeiten.“ Die Regierung strebe bereits eine „integrale Geburtshilfe“ an. „Das heißt, dass Krankenhäuser sehr intensiv mit den umliegenden Hebammenpraxen zusammen arbeiten müssen.“
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In Deutschland helfen die meisten Hebammen von sich aus eher in Krankenhäusern bei der Geburt als in Privathaushalten. Das liege daran, dass Versicherungsbeiträge weit über den Krankenkassenleistungen pro Geburt lägen, sagt Lucia Bald. Es rechne sich für deutsche Hebammen nicht. Dennoch: „Ich werde Hausgeburten machen, bis ich 70 bin“, sagt die Hebamme. „Wenn ein Kind zuhause geboren wird, merke ich: Ich bin eine Wegbegleiterin.“ Und die möchte sie weiterhin bleiben.
- Laut Perined fanden 2017 27,8 Prozent der Geburten in den Niederlanden in der Verantwortlichkeit eines Geburtshelfers oder eines Hausarztes statt. Diese Geburten fanden zu 12,7 Prozent zu Hause und zu 15,1 Prozent ambulant oder in einem Geburtshaus statt. 71,5 Prozent der Geburten in 2017 fanden in Verantwortlichkeit eines Gynäkologen statt. Das heißt: Rund 13 Prozent der Geburten in den Niederlanden finden zu Hause statt.