An Rhein und Ruhr. Frauen mit wenig Einkommen können sich Verhütungsmittel oft nicht leisten. Einige Städte übernehmen Kosten für Anti-Baby-Pille oder Kondome.

Der Bundesverband der Familienberatungsstelle Pro Familia fordert eine Kostenübernahme von Verhütungsmitteln für alle Frauen und Männer, vor allem aber für finanzschwache Menschen. Die Auswertung eines bundesweiten Modellprojektes untermauert das, was Beratungsstellen schon lange wissen: Viele Frauen können die Kosten für Verhütungsmittel wie die Anti-Baby-Pille oder die Spirale nicht leisten. Die Folge können ungewollte Schwangerschaften bis hin zu Schwangerschaftsabbrüchen sein.

An sieben Standorten in Deutschland hat der Pro Familia Bundesverband Frauen mit geringem Einkommen die Kosten für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel übernommen. In NRW galt das für drei Städte im Kreis Recklinghausen (Gladbeck, Recklinghausen, Marl).

Ohne finanzielle Hilfe würden einige Frauen nicht verhüten

Zwischen Juli 2017 und Juni 2018 gab es an allen Standorten insgesamt 6104 Anfragen für eine Kostenübernahme. Alle konnten nicht bewilligt werden, weil sie nicht den Förderbedingungen, zum Beispiel dem Wohnort, entsprachen. 4480 Anträge sind schlussendlich bewilligt worden. Dabei sind nicht nur die Kosten übernommen worden, die Antragstellerinnen haben auch Beratungen in Anspruch genommen. Die Hälfte aller Frauen hat in der Evaluations-Befragung angegeben, dass sie ohne die finanzielle Unterstützung durch das Projekt gar nicht oder mit einer deutlich unsicheren Methode verhüten würden.

Deutlich geworden ist in dem Projekt auch, dass der Bedarf an kostenfreier Verhütung nicht nur bei jungen Frauen in der Ausbildung oder bei Bezug von Transferleistungen besteht. Frauen, die trotz Berufstätigkeit über ein geringes Einkommen verfügen, stellen die zweitgrößte Gruppe. Mehr als 59 Prozent der Nutzerinnen haben eines oder mehrere Kinder.

Familienplanung ist ein Menschenrecht

Hinter dem Projekt steht die grundsätzliche Annahme, dass Familienplanung ein Menschenrecht ist, wie es auch auf der Internetseite des Bundesentwicklungsministeriums zu lesen ist. Dort steht: „Alle Menschen haben zudem das Recht, frei zu bestimmen, ob, wann und mit wem sie Kinder haben wollen.“ Mit der Ratifizierung der UN-­Frauenrechtskonvention verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland dazu, die sexuelle und reproduktive Gesundheit RGR für alle Frauen in Deutschland umzusetzen.

Doch die Übernahme der Kosten von Verhütungsmitteln ist von Bundesland zu Bundesland, von Stadt zu Stadt höchst unterschiedlich geregelt. Dem Hartz-IV-Satz zufolge erhalten Bezieherinnen insgesamt einen Zuschuss für Medikamente in Höhe von rund 16 Euro. Der Einsatz einer Spirale hingegen kann bis zu 400 Euro betragen. In Oberhausen, Krefeld oder Köln gibt es kommunale Verhütungsmittelfonds.

In Oberhausen wurden nach Auskunft von der Beratungsstelle Pro Familia in diesem Jahr bis Mitte August 11.774 Euro (87 Fälle) ausgegeben. Mit dem Budget der Stadt und einer Spende stehen 20.000 Euro zur Verfügung, die Beratungsstelle schätzt, dass dieser Etat bis zum Jahresende ausgeschöpft sein wird. Parallel gibt es einen zusätzlichen Topf des Landes NRW für geflüchtete Frauen.

Zuschuss in Höhe von vier Millionen Euro

Das Modellprojekt „Biko – Beratung, Information und Kostenübernahme bei Verhütung“ ist vom Bundesfamilienministerium gefördert worden, das Fördervolumen betrug insgesamt knapp vier Millionen Euro. Die Kostenübernahme für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel umfasste die Pille, Hormon­ und Kupferspiralen, Kupferkette, Hormonimplantat, Vaginalring, Dreimonatsspritze, Verhütungspflaster und die Pille danach.

Anspruchsberechtigt waren Frauen über 20 Jahren bzw. nach einer Gesetzesänderung über 22 Jahren, die Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Kinderzuschlag, BAföG, Berufsausbildungsbeihilfe, Wohngeld sowie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, sowie Frauen, die nachweislich über ein geringes Einkommen verfügten.

Mehr als die Hälfte der Frauen, die am Modellprojekt teilnahmen, entschied sich für Langzeitverhütungsmethoden, darunter die Hormonspirale und Kupferspirale. Etwas mehr als ein Viertel der Nutzerinnen erhielt eine erstmalige Kostenübernahme für die Pille.

Die Stadt Düsseldorf verteilte in diesem Jahr erstmalig 80.000 Euro an Diakonie, Pro Familia, Donum Vitae und das Gesundheitsamt für die kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln, auch für Kondome. Eigentlich wollte sich auch der Sozialdienst katholischer Frauen und Männer (SKFM) an dem Projekt beteiligen – zog sich aber auf Empfehlung des Diözesan-Caritasverbandes Köln daraus zurück.

Beratungsstellen sind keine „Ausgabestellen von Verhütungsmitteln“

Damit wolle man verhindern, dass die Beratungsstellen zu „Ausgabestellen von Verhütungsmitteln werden“, sagte ein Sprecher des Caritasverbandes auf Nachfrage der Redaktion. „Wir beraten zum Leben hin“, unterstreicht der Sprecher. Statt Verhütungsmittel zu bezahlen, übernehmen die Beratungsstellen beispielsweise Ausgaben für Babyerstausstattung oder die Einrichtung eines Kinderzimmers.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) hatte sich bei einer Anhörung im Bundestag im November 2018 zu diesem Thema bewusst nicht positioniert, gibt eine Sprecherin auf Nachfrage der NRZ an, weil es „sich in erster Linie um eine politische Entscheidung handelt“. In einer Stellungnahme aus dem Jahr 2016 schrieb der GKV: „Wenn die Politik bedürftigen Frauen helfen will, ist das sicherlich ehrenhaft, sie müsste die Finanzierung dafür jedoch aus Bundesmitteln vornehmen.“ Anlass war damals ein Vorschlag aus Niedersachsen, die Kosten für Verhütungsmittel zu erstatten.

Der Bundestag entschied sich im Februar 2019 gegen die Übernahme der Kosten von Verhütungsmitteln, entsprechende Anträge von Linken und Grünen sind abgelehnt worden.