Essen. Elsa hat das Nazi-Regime und den Krieg erlebt. Aus Angst um die Demokratie und vor der neuen Rechten zeigt sie Haltung. Ihr Ziel: nie wieder!

Der vergangene Sonntag hängt mir noch in den Kleidern. Genau vor 80 Jahren hatte dieser Krieg begonnen. Und am Abend dann die Meldung, dass die Rechten bei zwei Landtagswahlen ein Viertel der Stimmen bekommen hatten. Darf man das in einen Zusammenhang stellen? Oder muss man es nicht sogar? Ich würde gerne mit jemandem reden, der den langen Blick auf die Thematik hat.

Mein Vater wäre ideal gewesen, ich habe gerne und viel mit ihm über das Dritte Reich gesprochen. Er kannte die Facetten. Er war Hitlerjunge, Soldat in Afrika, Verwundeter, Kriegsgefangener, der am Mississippi das Erdnusspflücken und die Demokratie erlernte. Mein Vater aber kann mir nicht mehr helfen, er ist schon Jahre tot.

Erinnerung an Kriegsbeginn

Ach, ich geh mal zu Elsa rüber, die wohnt drei Häuser weiter. Eine kluge Frau. Elsa Sippel hat Zeit für mich. Im Oktober wird sie 90, damals war sie also zehn. Kann sie sich erinnern? „Natürlich. Ich war mit den Großeltern im Sauerland.

Dann kam ein Telegramm für Opa, Urlaubsstopp. Sofort zurück. Er hat bei Krupp gearbeitet. Wir mussten am Bahnhof ewig lange warten, es fuhren nur Züge mit Soldaten oder Geschützen. Was passiert hier? In Essen haben uns die Eltern abgeholt. Eine Hurra-Stimmung herrschte nicht. Der erste Weltkrieg war den Älteren noch sehr nah.“

Die Emanzipation entdeckt

Und bei Dir? „In der Schule waren wir schon von der Wehrmacht angetan. Auf der Landkarte steckten wir Fähnchen in jedes eroberte Land. Aber dann war da auch der Bombenangriff auf unsere Straße in Fulerum, schon 1942, elf Nachbarn kamen ums Leben. Kurz darauf wurde ich dann aber mit der Kinderlandverschickung nach Tschechien gebracht. Sieben Menschen aus der engeren Familie starben im Krieg. Auch Uschi, meine kleine Cousine, sie wurde nur fünf, eine Bombe.“

Elsa arbeitet erst bei der Post, sie heiratet, bekommt eine Tochter, studiert gegen den Willen ihres Mannes, sie trennen sich. „Es war die 68-er Zeit. Ich hatte die Emanzipation entdeckt. Mein Mann dachte fortschrittlich, aber nicht im privaten Leben.“ Sie wird Lehrerin in Essen und 1990 pensioniert. „Das Dritte Reich habe ich mein Leben lang aufgearbeitet. Ich habe alles über die Verbrechen gelesen, was ich bekommen konnte. Ich bin immer politischer geworden.“

Aktiv wach sein

Und machst du Dir jetzt Sorgen wegen der neuen Rechten. „Ja, ich hätte nie gedacht, dass es zurückkommt. Ich empfinde Unverständnis, Ungeduld. Warum begreifen die es nicht? Man muss sich doch nur informieren. Für mich gibt es da nur eine Haltung: Nie wieder. Ich habe mir vorgenommen alles zu tun, damit sich das nicht wiederholt.“

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Was kann man tun? „Wach sein. Aktiv wach sein. Wir müssen den AfD-Oberen durch Argumente das Publikum nehmen. Den Wählern klarmachen, dass bei der AfD auch so Kadetten dabei sind, die nur Unruhe stiften und die Leute verunsichern wollen, um selbst an Macht zu kommen.“ Debattierst du auch im privaten Kreis? „Natürlich. Ich kann da auch richtig in Fahrt kommen. Etwa wenn es gegen Flüchtlinge geht.“

Würdest Du auch gegen die Rechten auf die Straße gehen? „Ich bin da schon immer sehr aktiv gewesen. Ich habe vor der Synagoge gegen Antisemitismus demonstriert und vor einem Flüchtlingsheim gegen Pro NRW. Man muss Haltung zeigen.“ Und was ist der Kern dieser Haltung? „Die Demokratie muss verteidigt werden. Ich habe nun mal noch nichts Besseres als die Demokratie erlebt.“ Und Elsa hat viel erlebt. In diesen 90 Jahren.