An Rhein und Ruhr. Vegan, bio, regional: In der Gastroszene setzen immer mehr Existenzgründer auf hippe Cafés und Bistros mit einem besonderen Angebot.

Noch besetzt das Café von Nicole Gettler eine Nische. Denn: „Ob man ein veganes Café in Essen oder auf dem Mond eröffnet, vegan wird anfangs immer komisch beäugt.“ Die Inhaberin des „Café Fleischlos“ in Essen-Borbeck wagte vor ein paar Jahren den Sprung in die Selbstständigkeit – mit einem sehr individuellen Konzept. Und genau das brauchen Existenzgründer heute in der Gastroszene, um zu überleben.

Denn immer mehr prägen hippe, moderne Cafés oder Bistros das Straßenbild. Zahlen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) belegen: In den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl der Cafés von rund 10.700 auf 11.600 gestiegen, die Kneipen beispielsweise dagegen von rund 36.700 auf 30.100 und die der Restaurants von 81.300 auf 71.200 gesunken. Auch im Ruhrgebiet und am Niederrhein ist dieser Trend zu beobachten. Die Niederrheinische Industrie- und Handelskammer listet aktuell rund 4000 Unternehmen im Gastgewerbe. 2018 gab es 887 Neuanmeldungen und 896 Abmeldungen.

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Die meisten Gründer sind Mitte 30 bis 50 Jahre alt – und sie sollten „branchenerfahren sein“, sagt Mariann Ludewig, Beraterin für Existenzgründer bei der Industrie- und Handelskammer in Duisburg. Natürlich gebe es auch immer wieder Quereinsteiger. Aber gerade derzeit müssten sich die Gastronomen schon gut überlegen, mit welchem Konzept sie an den Start gehen. „Heute braucht man Nischen. Den zehnten Imbiss in der Straße zu eröffnen, das kann nicht gut gehen“, sagt Mariann Ludewig.

Nicht jeder kann einfach eine Kneipe aufmachen

Auch ihr Kollege bei der IHK in Wuppertal Thomas Grigutsch wird hellhörig, wenn er Existenzgründer berät und Kneipe, Nagelstudio oder Café hört, denn „viele Gründer glauben, dass in diesem Bereich geringe Liquidität und geringe Qualifizierung ausreichen würden. Frei nach dem Motto: eine Kneipe aufmachen - das kann doch jeder. Eben nicht!“, sagt Grigutsch.

Um den Preis für eine Tasse Kaffee zu kalkulieren, brauche man nämlich kaufmännisches Know-how – und durchaus auch ein paar Tausend Euro Startkapital. „Bei einem Café-Bistro müssen die Existenzgründer mit rund 1500 Euro Kosten pro Quadratmeter für die Einrichtung, Küche etc. rechnen“, weiß Mariann Ludewig. Hinzu komme, dass die Gastronomen den Markt kennen müssen: Wer ist die Konkurrenz? Was macht die gut, was schlecht? Wie ist die Parkplatzsituationen vor Ort?

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Es gibt viele Ideen, mit denen die Gastronomen punkten. „In Kneipen schaut man zusammen Fußball oder trinkt sein Bier oder auch Wein nur aus Flaschen. In Cafés rösten die Betreiber mit den Gästen den Kaffee“, zählt Thorsten Hellwig, Pressesprecher der Dehoga Nordrhein, auf. Er spricht von einer „Eventisierung der Gesellschaft, die sich auf in der Gastronomie widerspiegelt.“ Es gebe zwar keine Mega-Trends, aber klar sei auch, dass sich Cafés und Restaurants über das gastronomische Angebot hinaus positionieren müssten, um erfolgreich zu sein. „Heute wollen die Gäste verwöhnt und nicht versorgt werden.“

Mariann Ludewig berät bei der niederrheinischen IHK Existenzgründer.
Mariann Ludewig berät bei der niederrheinischen IHK Existenzgründer. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Bei den Restaurants kehre man immer öfter zur guten alten, traditionellen Küche zurück, internationale Speisekarten finde man an jeder Ecke. Und auch den Klimawandel und Ressourcenmangel spüre man in der deutschen Gastronomie. „Weniger wird mehr und regional schlägt Bio“, sei der Trend auf eine kurze Formel zu bringen.

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Ganz wichtig für Existenzgründer sei es, „eine Zielgruppe zu haben“, sagt Thorsten Hellwig. Den Sprung in die Selbstständigkeit nach dem Motto zu wagen: „Na ja, Cafés gehen immer“, kann schiefgehen. Ein Café, das in Duisburg Marxloh eröffnet wird, kann und muss womöglich anders aussehen als eines in Essen Rüttenscheid oder in Düsseldorf Benrath anders als in Wesel.

Aber eines haben die Cafés, die derzeit eröffnet werden, alle gemeinsam: Sie haben nichts mehr mit der alten, klassischen Konditorei mit Samtstühlen und bunten Vorhängen an den Fenstern zu tun. Nicole Gettler setzt bei der Inneneinrichtung auf Holztische, -stühle und bunte Decken. Auf der Hausordnung steht: „Viel lachen, einander lieben“ und den Hundenapf säumen Blümchen.