Rees. Jost Borcherding untersucht Fischpopulationen im Rhein. Besonders die Grundel vermehrt sich. Jetzt erreicht der Fisch die Nebenflüsse des Rheins.

Etwas verlassen wirkt das weiße Gebäude in Rees-Grietherbusch. Im Hinterhof riecht es nach Fisch, ein großes Netz hängt am Carport zum Trocknen. Früher war das Haus mal eine Ein-Klassen-Volksschule - für drei oder vier Jahre - dann kaufte die Universität zu Köln die Liegenschaft am Niederrhein.

Unterrichtet wird in dem renovierungsbedürftigen Bauwerk allerdings noch immer, wie Jost Borcherding erklärt, hauptsächlich Studenten, die hier auch eine Zeit lang wohnen. Jost Borcherding ist Professor für Tierökologie am Institut für Zoologie der Universität zu Köln. Er leitet die Außenstelle.

Tote Fische auf dem Esstisch

Hier in Grietherbusch gibt es keine Hörsäle oder moderne Seminarräume. In Rees wird geforscht: Eine kleine Gruppe Wissenschaftler kommt rein. Sie stellen zwei große Plastikdosen auf den Tisch, an dem sie ansonsten frühstücken. Die Fische in den Dosen sind tot - und exakt sortiert: In der einen Dose sind Tiere, die im Rhein heimisch sind. In der anderen Dose sind Grundeln.

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Die Studenten waren morgens am Rhein fischen. Die Tiere wurden nach dem Fang betäubt und in Alkohol eingelegt. Der Professor zeigt auf die Dose mit den Grundeln und erklärt: „Wir wollen wissen, warum diese Fische so viel erfolgreicher sind als die heimischen.”

150.000 Euro für drei Jahre

Grundeln sind eine invasive Art im Rhein. Sie haben den größten Fluss in Deutschland so erfolgreich erobert, dass die Fischereiverbände in Sorge um die heimischen Arten geraten sind. Der Fischereiverband NRW förderte das Projekt zwischen 2012 und 2015 mit 150.000 Euro – das Ergebnis war eine Doktorarbeit und das Wissen, wie sich die Grundeln in dem fremden Fluss behaupten. „Der Rhein ist in Nordrhein-Westfalen mit den großen Blocksteinen am Ufer für Grundeln der ideale Lebensraum”, erklärt Jost Borcherding die explosionsartige Ausbreitung der invasiven Art.

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Für Frank Molls, einst selbst Doktorand in Grietherbusch und heute Geschäftsführer des Rheinischen Fischereiverbands, zeigt die Forschung aus Rees, wie wichtig eine Renaturierung des Rheins für das Ökosystem ist: „Für die Grundeln bieten die Ufer-Blocksteine ein perfektes Röhrensystem. Die Auen am Rhein, die für heimische Fischarten wichtig sind, wurden geradezu amputiert.”

Allerdings meint Molls auch, dass die meisten invasiven Arten anfangs sehr stark ansteigen, um sich dann wieder bei einem verträglichen Maß ein zu pendeln. Bei den Grundeln sei das derzeit nicht der Fall, weil sich der Flussbarsch – als möglicher natürlicher Fressfeind – in einem gestörten Habitat nicht mehr so ausbreiten kann, wie es sein sollte.

Grundeln dringen vor

Die Grundel wird im Rhein etwa 20 Zentimeter groß, in der Ostsee sogar bis zu 30 Zentimeter.
Die Grundel wird im Rhein etwa 20 Zentimeter groß, in der Ostsee sogar bis zu 30 Zentimeter. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Fuhrmann

Und was im Rhein seit etwa zehn Jahren der Fall ist, erreicht jetzt erst die Nebenflüsse des Stroms: Der Rheinische Fischereiverband geht davon aus, dass die Nebenflüsse wie Ruhr und Lippe erst in den kommenden Jahren von den Grundeln geradezu besiedelt werden. Welche Folgen das für den dortigen Fischbestand haben wird, ist noch gar nicht abzusehen. Die Grundel sei in ihrem Wesen zielgerichteter als viele heimische Arten, meint Borcherding.

Grundlagenforschung am Niederrhein

Die Außenstelle des Zoologischen Instituts in Rees-Bienen wird seit vielen Jahren von Prof. Jost Borcherding geleitet. Hier werden ökologische Grundlagenforschung und angewandte ökologische Feldforschung miteinander verzahnt.

So laufen aktuell Untersuchungen zur Fischfauna des Rheins und seiner Nebengewässer und Baggerseen. Die Station wird auch von Studierenden anderer Universitäten regelmäßig besucht.

Für seine Forschungsarbeiten ist Jost Borcherding überwiegend auf Drittmittel angewiesen. Von seinem Institut erhält er für die Untersuchungen 3000 Euro im Jahr. Die Fixkosten der Forschungsstation zahlt die Universität zu Köln. Feste Wissenschaftliche Mitarbeiter hat er nicht.

Studenten und Doktoranden kommen für einige Wochen bis Monate nach Rees. Sie übernachten in der Forschungsstation.

Um Fische im Rhein geht es in der Station etwa seit 1997. Davor wurden Insekten, Larven, Käfer und anfangs auch mal Vögel untersucht.

Derzeit plant die Universität Köln einen Neubau in Rees-Bienen, wo die Forschungsstation dann direkter Nachbar des Naturschutzzentrums wird. Das neue Gebäude wird dann auf die Bedürfnisse der Wissenschaftler zugeschnitten.

Doch wie finden die Wissenschaftler so etwas überhaupt raus? „Ganz einfach, wir haben Verhaltensstudien an den Tieren vorgenommen. Wir haben die verschiedenen Fischarten in Aquarien gesetzt und unter verschiedenen Bedingungen beobachtet, wie sie sich verhalten. Wir haben auch feststellen können, dass die invasive Art deutlich erfolgreicher in der Nahrungsaufnahme ist”, so Borcherding.

Auch das geht am Ende eigentlich ganz einfach, wie der Experte erklärt: Die Forscher haben die Fische ausgenommen. Besonders interessant war dabei der Magen - Größe und Inhalt können Aufschluss darüber geben, ob ein Fisch am Ende des Tages auch wirklich satt geworden ist. „Die Grundeln erreichen im Durchschnitt 60 Prozent ihres Nahrungsaufnahme-Ziels, der Flussbarsch nur 30 Prozent”, erklärt der Tier-Ökologe.

Jost Borcherding rät dazu, die Grundeln zu angeln, zu Tierfutter zu verarbeiten oder selbst zu essen. Außerdem müssten die Auen am Rhein wieder hergestellt werden, damit heimische Fischarten eine Chance haben, sich in den Beständen zu erholen.
Jost Borcherding rät dazu, die Grundeln zu angeln, zu Tierfutter zu verarbeiten oder selbst zu essen. Außerdem müssten die Auen am Rhein wieder hergestellt werden, damit heimische Fischarten eine Chance haben, sich in den Beständen zu erholen. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Fuhrmann

So eine Arbeit bedarf Feinmotorik. Die Fische, die die Wissenschaftler aufschneiden, sind oft nur wenige Zentimeter groß. Ein falscher Schnitt und der Magen ist unbrauchbar.

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Für seine Forschungsarbeiten ist Jost Borcherding überwiegend auf Drittmittel an gewiesen, wie die meisten Wissenschaftler. Von seinem Institut erhält er für die Untersuchungen 3000 Euro im Jahr. Die Fixkosten der Forschungsstation zahlt die Universität Köln. Feste Wissenschaftliche Mitarbeiter hat der Professor auch nicht. Trotzdem glaubt Borcherding, in der Forschungsstation ein kleines Paradis gefunden zu haben.

Auch privat beschäftigt sich der Experte mit Fischen: „Über 50 verschiedene Süßwasserarten habe ich zu Hause”, sagt er. Und die Grundeln? „Die schmecken übrigens sehr gut”, sagt Borcherding und lacht.